«Sie sind nicht zufrieden», sagt Ueli Maurer und blickt ins Publikum, «und ich bin auch nicht zufrieden»

In Bern trafen sich Ärzte, Impfgegner, Juristen, Corona-Skeptiker und ein Alt-Bundesrat zum grossen Pandemie-Symposium. Manche wollen die jüngste Vergangenheit verstehen, andere gemeinsam wütend sein – und mindestens einer hat seine politische Agenda dabei.

Nadine A. Brügger 7 min
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«Wer kritisch war, wurde aussortiert», sagt Alt-Bundesrat Ueli Maurer beim Symposium «Corona – Fakes und Fakten» in Bern.

«Wer kritisch war, wurde aussortiert», sagt Alt-Bundesrat Ueli Maurer beim Symposium «Corona – Fakes und Fakten» in Bern.

Peter Klaunzer / Keystone

Den gesamten Samstagmorgen über steht er vorne links; weisses Hemd, tadelloser Anzug, gross und unübersehbar: Toni, der Sicherheitsmann von Alt-Bundesrat Ueli Maurer. Neben ihm sitzt, von vielen erst tatsächlich übersehen, der ehemalige SVP-Bundesrat selbst. Es ist neun Uhr in der Früh, Köpfe werden gereckt, «Mou, äs isch nä», sagt ein Herr zu seiner Begleitung. «Dass dä iz scho da isch», antwortet sie beeindruckt.

Dass er da ist, jetzt schon und überhaupt, ist der grosse Coup von Hausarzt Daniel Beutler, der das «1. CH-Symposium zum gesundheitspolitischen Rückblick und Ausblick 2024» organisiert hat. Dass er es «das erste Symposium» nennt, impliziert, dass Beutler noch viel vorhat. Das Thema diesmal: «Corona – Fakes und Fakten».

Auf der Suche nach Wahrheit – oder?

Beutler kämpft gegen die Corona-Impfung, hat aber auch pädagogische Ambitionen. So weist er kurz vor Maurers Auftritt nach dem Mittagessen «alle Medienschaffenden, die erst jetzt gekommen sind» darauf hin, dass sie zu spät seien. Rosinenpicker, die in der Hoffnung auf ein Skandälchen nur Maurer hören wollen, würden enttäuscht. «Die wichtigen Vorträge fingen um 9 Uhr an.»

Den Auftakt machte der Zürcher Herzchirurg Paul Vogt. «90 Prozent der Patienten starben wegen des Virus. Dass es nicht gefährlicher war als eine Grippe, stimmt einfach nicht», sagt Vogt. Im Raum wird es unangenehm still. Keiner klatscht. Erst als es um die Impfung geht, kann der Chirurg das Publikum abholen. Denn während Vogt die Schutzmassnahmen gut fand, ist er der Impfung gegenüber äusserst kritisch.

Ein kurzes Video zeigt Alt-Bundesrat Alain Berset. Eine Frau im Publikum flüstert: «Ich kann ihn kaum ansehen, den Mephisto.» Im Video sagt Berset, der Corona-Impfstoff sei getestet worden, wie jeder andere Impfstoff auch. «Wer hat ihm das in den Mund gelegt?», fragt Vogt und führt aus, dass das nicht stimme – in der kurzen Zeit gar nicht möglich sei. Möglich sei dagegen, dass manche Impfstoffe etwa das Tumorwachstum beschleunigen könnten.

Auf Vogt folgt der Wettinger Arzt Thomas Binder, der von «antisozialer Distanzierung», von der «asymptomatischen Bevölkerung», die man doch früher einfach «Gesunde» genannt habe, oder vom «Covid-Nonsense-Test» spricht. Weiter geht es mit dem Gesundheitsökonomen Konstantin Beck, der sich fragt, ob die Impfung ein Grund für den Geburtenrückgang in der Schweiz sein könnte. Auf die Mediziner folgen die Juristen, auf deren Ausführungen folgt das Mittagessen. Dann geht es weiter mit der Politik.

War er nicht gekommen, um auszupacken?

Betont durchschnittlich stellt man den ersten Redner im Politik-Block vor: Hat eine kaufmännische Lehre abgeschlossen, war beim Bauernverband tätig, kam über Kantons- und Nationalrat schliesslich in den Bundesrat. Und er mag Kuhglocken. Die Bemerkung ist ein kleines Osterei für alle, die sich an den September 2021 erinnern: Damals war Ueli Maurer noch Teil der Landesregierung und liess sich im Oberteil der Freiheitstrychler – fleissige Gegner der Corona-Massnahmen, die Maurers Gremium beschlossen hatte – ablichten. Es dürften sich hier viele gern daran erinnern.

Gleich zu Beginn nimmt Maurer den Bundesrat in Schutz – seine Vorredner hatten unter anderem angezweifelt, ob das während der Pandemie angewandte Notrecht tatsächlich rechtens war. Maurer sagt: «Der Bundesrat hat die politischen Prozesse eingehalten, zu jedem Gesetz wurde eine Vernehmlassung durchgeführt.» Und wenn man schaue, wie Parlament und Kantone agiert hätten, müsse man sagen: «Der Bundesrat war unter diesen drei Akteuren eher der zurückhaltendste.»

Manche rutschen auf ihren Stühlen herum. War Maurer nicht gekommen, um auszupacken? Sein Programmpunkt heisst: «Wer regierte die Schweiz in der Covid-Krise?» Andernorts hatte er die Pandemie noch als «Hysterie» und «Massenhypnose» bezeichnet. Und jetzt das.

Eine Verantwortung, die niemand übernehmen kann

Doch Maurer weiss ganz genau, wie Spannung zu erzeugen ist. «Sie sind nicht zufrieden», sagt er und blickt ins Publikum, «und ich bin auch nicht zufrieden.» Applaus.

Nun beginnt Maurer zu erzählen, von den Experten aus Medizin und Wissenschaft, die dem Bundesrat zu Beginn der Pandemie sagten: «Wenn Sie jetzt nichts machen, riskieren Sie 40 000 Tote!» Das sei eine Verantwortung, die niemand übernehmen könne. Mehrmals sei der Bundesrat derart unter Druck gesetzt worden. «Am Anfang wussten wir noch nicht, was genau läuft. Da war man auf der vorsichtigen Seite und das war wahrscheinlich richtig», sagt er. Und das Stimmvolk habe den Bundesrat bei den Abstimmungen zum Covid-Gesetz auch zweimal in seinem Vorgehen bestätigt.

Heute sagt Maurer: «Die Faktenlage, die dem Bundesrat zur Verfügung stand, war ungenügend und sie war einseitig.» Er kritisiert auch die Task-Force: «Darin sassen nur die Befürworter aller Massnahmen. Wer kritisch war, wurde aussortiert.»

Maurer hielt den Bundesrat für naiv

Den Kollegen im Bundesrat will Maurer nichts unterstellen, bloss nicht. Zwischen den Zeilen klingt aber laut und deutlich durch, dass er sie für einigermassen naiv hält – oder dastehen lassen möchte. Etwa wenn er sagt, die Massnahmen seien übertrieben gewesen, aber alle hätten es richtig machen wollen. Man habe halt zu den moralisch Guten gehören wollen. Als dann er, der Kritische, einmal einen Brief des Herzchirurgen Paul Vogt mit an eine Bundesratssitzung brachte, sei darauf gar nicht eingegangen worden. Vogt hatte vor der Corona-Impfung gewarnt (und an diesem Samstag in Bern ebenfalls bereits am Rednerpult gestanden).

«Das muss einer dieser Leugner sein», habe es damals im Bundesrat geheissen. Immer eigentlich, wenn er, der Finanzminister, andere Meinungen und neue Informationen einbringen wollte. Ohne es zu sagen, macht Maurer klar: Während alle der Wissenschaft folgten, war er kritisch.

«Das sind die 60 Prozent»

Immer wieder betont Maurer, man müsse versöhnlich sein. Aufeinander zugehen. Gräben überwinden. Aber auf welcher Seite des Grabens er steht und wie von dort aus jene gegenüber aussehen, ist von Anfang an klar. Er unterstreicht es etwa mit der Anekdote von den Mitarbeitern im Bundeshaus, die nur noch zu Hause aufs Klo gingen, weil sie sich derart vor einer Ansteckung fürchteten.

Das Publikum lacht, Maurer sagt: «Das sind die 60 Prozent» – jene Mehrheit also, die die Schutzmassnahmen guthiess. Lächerliche Menschen, wenn man sich die Anekdote vor Augen führt. Maurer sagt «ängstlich», und betont «nicht böse». Böse war jemand anderes.

Der wahre Feind ist die Wissenschaft

Auch wenn er sagt: «Es gibt keine Schuldigen», hat Maurer den Feind längst ausgemacht. «Ich muss sagen, ich habe das Vertrauen in die Wissenschaft verloren.» Sie habe nicht richtig informiert. Dadurch zu heftige Massnahmen provoziert. Nur darum kam es zu dem Graben, den Maurer nun in seiner Rede immer wieder zu überwinden auffordert. Wer die Schweiz in der Covid-Krise regiert hat: die von Wissenschaftern geschürte Angst.

Auch an dem Versprechen der Impfung sei ja nicht viel dran gewesen. Zu Swissmedic, die die Impfung zuliessen, sagt Maurer: «Wenn eine Behörde die Bevölkerung so in die Irre führt, dann muss man sie auch dort abholen, wo sie jetzt ist.» Was er damit meint, führt er nicht weiter aus. Stattdessen geht es weiter mit den Impfschäden.

«Die Betroffenen müssen ordentlich entschädigt werden können. Aber da ist die Zurückhaltung noch gross. Man ist sich nicht sicher, ob es überhaupt Impfschäden gab.» Maurer macht eine Pause, damit das Publikum herzlich lachen kann. Das alles müsse man nun aufarbeiten, «eine schwierige Aufgabe für die, die sich da etwas verrannt haben.»

Von Leuchttürmen und Neugierigen

Wer sich nicht verrannt hat, sind die Anwesenden – das macht der Organisator Beutler gleich zu Beginn der Vortragsreihe klar: Leuchttürme sässen hier vor ihm im Publikum. Leuchttürme, die ihren Job, Freunde oder den Kontakt zur Familie verloren hätten. «Seid ihr euch bewusst, was ihr für eine Power habt? Dass ihr nicht nur Teil einer Widerstandsbewegung wart, sondern Teil eines neuen Demokratischen Aufbruchs?», ruft Beutler ins Publikum. Nun gehe es darum, gemeinsam die Menschlichkeit wiederherzustellen.

Ein erster Schritt zum Vereinen scheint Beutler tatsächlich gelungen. Das Publikum lässt sich grob in zwei Gruppen einteilen: Da ist der harte Kern, viele kennen sich – es wird umarmt, geschwatzt und gelacht. Andere sind neu und neugierig. Die Masken wünsche sie sich im Tram oft zurück, sagt eine Frau. Sie sei froh gewesen um die leicht zugänglichen Tests, sagt eine andere.

Aber: War die Impfung wirklich eine gute Idee? Hat die Medizin neue Erkenntnisse dazu? Würde es bei einer weiteren Pandemie erneut einen Lockdown geben – und wäre das nach den gemachten Erfahrungen richtig? Auch bei den Rednern sind Vertreter verschiedener Ansichten da. Das führt teilweise zu Applaus-Ausfall und irritierter Stille. Es führt vielleicht aber auch zum differenzierteren Gespräch.

Die WHO-Vorlagen seien «klar abzulehnen»

Immer wieder spricht auch Maurer davon, aufeinander zuzugehen. Es brauche nun «Respekt vor den Schwurblern und Leugnern – und umgekehrt. Wir brauchen den Dialog in unserem Land.» Und als man schon denkt, Maurer habe fertig, kommt er dann doch noch mit seinem politischen Programm.

Die Teilrevision des Epidemiengesetzes, die 2027 in Kraft treten könnte, erklärt Maurer für untauglich. Dagegen müsse das Referendum ergriffen werden. Auch die WHO-Vorlagen seien «klar abzulehnen». Und ganz grundsätzlich gelte, sagt Maurer: «Wir müssen einfach kritisch sein als Staatsbürger.»

Unter Applaus verlässt der Alt-Bundesrat die Bühne und verschwindet wieder beinahe in seinem Stuhl. Neben ihm platziert sich erneut Toni, der Sicherheitsmann, und markiert die Stelle, wo der Staatsbürger sitzt, der einst «euer gut bezahlter Angestellter» war.