Drei Schweizer Teams wollen über den Atlantik rudern – das Vorhaben wird ihnen physisch und psychisch alles abverlangen

Über 40 Tage lang, rund 1 Million Schläge und den Gefahren der hohen See ausgesetzt: Eine Einzelkämpferin und zwei Teams aus der Schweiz rudern an der Atlantic Challenge 4800 Kilometer weit von den Kanaren bis nach Antigua, aus ganz unterschiedlichen Beweggründen.

Walter Rüegsegger
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Die Schweizer Ruderin Gabi Schenkel zeigt grossen Durchhaltewillen.

Die Schweizer Ruderin Gabi Schenkel zeigt grossen Durchhaltewillen.

Dutch Ocean Expeditions

Gabi Schenkel rudert allein gegen sechs Männer

Fragen nach dem Warum kann Gabi Schenkel nicht beantworten. «Viele Entscheidungen in meinem Leben habe ich aus dem Bauch heraus getroffen. Der Kopf wird es vielleicht erst später verstehen.» Allein wird Gabi Schenkel über den Atlantik rudern, allein auf sich gestellt, 4800 Kilometer weit, von La Gomera aus, einer der sieben Inseln der Kanaren, nach Antigua, einer Insel in der Ostkaribik. Allein im Atlantik, nur durch ein Satellitentelefon mit der Aussenwelt verbunden.

40 oder mehr Tage wird sie unterwegs sein, über ihr das unendliche Universum, das, so glaubt sie, punkto Schicksal die Hand im Spiel hat. «Miss Universe» heisst ihr Offshore-Ruderboot, das sie in den Niederlanden bauen liess, für rund 75 000 Franken. Fast noch einmal so viel muss sie für die weiteren Kosten aufwenden; das Gesamtbudget deckt sie durch Sponsorengelder und ein zinsloses Darlehen der Familie.

Ein Jahr lang hat sich Gabi Schenkel auf das Abenteuer ihres Lebens vorbereitet. Eine harte Zeit sei es gewesen, möglicherweise, so sagt sie, härter als das Rennen selbst. Sie habe alles allein auf die Beine stellen müssen. Von Beginn an sei ihre Glaubwürdigkeit angezweifelt worden; hinter vorgehaltener Hand habe man sie kritisiert. Das Projekt passe nicht zu ihr, mit ihren kaum sechzig Kilogramm Gewicht sei sie zu fragil für dieses Abenteuer. Schenkel liess sich nicht beirren, sie sei eine Macherin, und sie wachse an Widerständen. Dabei weist die 42 Jahre alte Zürcherin auf ihre Karriere als Marathonläuferin hin. Über hundert Läufe hat sie bestritten, den Marathon in Lausanne legte sie unter dreieinhalb Stunden zurück. Dazu kamen etliche Ultramarathons bis zu einer Distanz von 200 Kilometern dazu. Ihr Durchhaltewillen sei gross, sowohl körperlich als auch mental.

Bis vor einem Jahr hatte Gabi Schenkel mit Rudern nichts am Hut. In dieser Sportart sei sie Anfängerin gewesen, das wisse sie. Sie habe jedoch, wie das ihre Art sei, das Projekt äusserst seriös und minuziös angegangen. Sie habe viel trainiert und noch mehr gelernt, die Technik des Gleichschlags, die richtige Körperhaltung, das ergonomische Sitzen. Trainiert hat sie zuerst auf dem Zürichsee, dann mehrere Wochen in den Niederlanden mit dem neuen, speziell für die Überquerung von grossen Meeren konzipierten Boot, das 625 Kilogramm schwer ist. «Ich habe bei den Trainingsfahrten meinen Rhythmus gefunden. Ich werde in der Nacht, von 1 Uhr bis 5 Uhr früh, schlafen. In der übrigen Zeit werde ich, je nach den Verhältnissen, rudern.» Sie habe gesehen, dass sie bis zirka 22 Knoten Gegenwind rudern könne, danach stehe das Boot mehr oder weniger still. Dank der Strömung und den Passatwinden sollte diese Situation eher selten eintreffen.

Von La Gomera bis Antigua

In der Soloklasse wird Gabi Schenkel gegen sechs Männer antreten. Vorschrift ist, für 90 Tage Essensrationen mitzunehmen, vorwiegend gefriergetrocknete Nahrung. Sie musste einen Essensplan vorlegen; verlangt werden täglich 60 Kilokalorien pro Kilogramm Körpergewicht. Streng sind auch die Sicherheitsvorkehrungen der Organisatoren. Die Ruderinnen und Ruderer mussten Rettungs-, Navigations- und Sprechfunkkurse absolvieren. Zwei Segeljachten begleiten die Teilnehmer, die jedoch so weit auseinanderliegen werden, dass sie die beiden Begleitschiffe kaum je zu Gesicht bekommen werden. Wetter- und andere Informationen werden von der Rennleitung im Idealfall täglich mitgeteilt werden.

Wie alle Teilnehmer wird Gabi Schenkel die internationale Plattform, die ihr durch die Rennteilnahme gewährt wird, dafür nützen, um Spenden für wohltätige Institutionen zu sammeln. Die Zürcherin will mit Plastic Patrol und Ocean Care zwei Organisation unterstützen, die sich für den Schutz der Meere einsetzen. Achtsamkeit sei ihr sehr wichtig. Achtsamkeit in Bezug auf die eigene Person, Achtsamkeit gegenüber der Natur. Auf ihrer Atlantiküberquerung werde sie nicht nur die fortgeschrittene Verschmutzung erleben, sondern auch die Gewalt der Natur durch schwere Unwetter und hohe Wellen. Die Gefahren, denen sie möglicherweise ausgesetzt sein wird, relativiert sie. An Bord sei sie angeleint, das Boot richte sich nach einer Kenterung von selbst wieder auf, eine mögliche Kollision soll der Aluminiumrumpf aushalten, sieben Luftkammern das Sinken vermeiden.

Ist Gabi Schenkel kurz vor dem Rennstart immer noch der Überzeugung, das Richtige zu tun, wenn sie sich den Gefahren einer Atlantiküberquerung allein in einem Ruderboot aussetzt? Sie bejaht diese Frage mit Nachdruck. Die Kampagne habe sich schon jetzt für sie gelohnt. «Ich habe sehr viel über mich und meine Mitmenschen gelernt. Und ich denke, dass ich mich verändert habe. Ich nehme vieles gelassener und nicht mehr so persönlich.»

Nun träumt die Soloruderin davon, am 26. Januar am Strand von Antigua ihren Geburtstag feiern zu können. Dann wäre Gabi Schenkel 45 Tage unterwegs gewesen. Und mit ihrer Ankunft auf der Karibikinsel wäre sie die erste Schweizerin, die allein über den Atlantik gerudert ist.

Dominic Schaub, Florian Ramp – die rudernden Grasshoppers

«Es ist einfach eine coole Sache!» So die Antwort von Dominic Schaub auf die Frage nach dem Warum. Und sein Kollege Florian Ramp wollte schon immer einmal ein Langstreckenrennen auf dem Meer absolvieren. Die beiden aufgrund dieser Aussage als Leichtfüsse abzutun, die nicht wissen, worauf sie sich einlassen, wäre ein Fehler. Denn im Gegensatz zu den meisten der 35 Teams, die an der Atlantic Challenge teilnehmen, kann das Duo Ramp/Schaub rudern. Sie sind langjährige Mitglieder der GC-Sektion Rudern und haben im Rudersport diverse Schweizer Meistertitel gewonnen. Und die beiden können für sich in Anspruch nehmen, das Unternehmen Atlantic Challenge mit einem hohen professionellen Standard angegangen zu sein.

Florian Ramp, 42 Jahre alt, zweifacher Familienvater, gelernter Koch, mit zehnjähriger Erfahrung im internationalen Bankengeschäft und Startup-Gründer, sowie Dominic Schaub, 28 Jahre alt, mit abgeschlossenem Studium in Banking und Finanzen an der Uni Zürich, haben ihr Projekt mit dem Namen Team Atventure (Wortkombination aus Atlantik und Adventure) mit grosser Sorgfalt und Akribie geplant. Nichts wurde dem Zufall überlassen; wo es nötig war, wurde professionelle Hilfe geholt. So hat der Ernährungswissenschafter Christof Mannhart, der auch den Weltklasseläufer Julien Wanders berät, den Ernährungsplan zusammengestellt. Ein Spezialist im Offshore-Rudern hat die beiden Grasshoppers trainiert. Und ein Wetterspezialist wird dem Team während des Rennens bei der Routenwahl behilflich sein. Professionell wird auch die Medienaufbereitung sein: Täglich soll ein Videobericht online gehen, aus dem Material soll dann ein Dokumentarfilm entstehen. Sogar eine Drohne haben die beiden Ruderer dabei.

Einen eigenen Weg wollen die Zürcher auch in Sachen Ruderrhythmus gehen. Sie wollen einen möglichst grossen Teil des Tages zusammen rudern. Ganz nach der Devise «So schnell wie möglich ankommen». Nachts soll gemeinsam eine längere Schlafperiode eingelegt werden, vormittags und nachmittags rudern beide; nur über Mittag bei grosser Hitze löst der eine den andern ab. Die Hitze und die Gefahr von Infektionen erachten sie als grösstes Problem. Schlafen werden sie getrennt – Florian im Bug, Dominic im Heck. Letzterer ist für die Elektronik an Bord zuständig, der andere für das Essen. 7300 Kilokalorien muss jeder täglich mit drei Hauptmahlzeiten zu sich nehmen. Auf gefriergetrocknete Nahrung wird verzichtet, 9 Kilogramm Schokolade und guter Kaffee aus Kenya sollen für gute Stimmung sorgen. Total befinden sich 200 Kilogramm Lebensmittel an Bord, ausgelegt für 70 Tage auf hoher See.

Rund eine Million Ruderschläge müssen Florian Ramp und Dominic Schaub absolvieren, um in Antigua anzukommen. 175 000 Franken betragen die Kosten des Projekts, das vollumfänglich finanziert ist. Dank dem bereits vertraglich abgeschlossenen Verkauf des Ruderbootes wird ein recht grosser Betrag übrig bleiben, der der Spitex zugutekommen soll. Die beiden schliessen nicht aus, dass die Atlantic Challenge ihr letztes Ruderrennen sein wird. So oder so – nach der Ankunft sind mehrwöchige Ferien mit Angehörigen in der Karibik geplant.

Die Swiss Ocean Dancers – vier Frauen auf dem Atlantik

Sie sind zwischen 34 und 54 Jahre alt, sie kommen aus Eglisau, aus Thun, dem Tessin und aus Grenchen, ihr Boot heisst «Heidi», und sie nennen sich Swiss Ocean Dancers. Ein Schweizer Frauenquartett, das über den Atlantik rudern will. «Ich möchte weg von unserer schnellen Welt», sagt Tatiana Baltensperger. «Habe das Abenteuer nicht gesucht, es kam zu mir», sagt Astrid Schmidig. «Warum nicht, habe ich mir gesagt», sagt Sandra Hönig. «Meine Freundin Sandra hat gefragt, ob ich mitmache», erzählt Carla Lemm. Was zu Beginn nach einem lockeren Gedankenspiel aussah, entwickelte sich sehr schnell zu einem handfesten Projekt mit vielen Hindernissen. Allein das gemeinsame Training war wegen der verschiedenen Wohnorte eine geografische Herausforderung. Mit dem Vierwaldstättersee wurde ein Revier gefunden, das für alle einigermassen erreichbar schien. Auch das Projektmanagement war nicht einfach für die Frauen, die aus den unterschiedlichsten Berufen stammen. Auf der «Heidi» werden eine Notfallpflegerin, eine Heilpädagogin, eine Fallschirmtechnikerin und eine Innenarchitektin Platz nehmen.

Initiantin des Projekts war Tatiana Baltensberger. Ihr Sohn Luca war vor zwei Jahren Mitglied des Swiss-Mocean-Teams, das an der Atlantic Challenge teilnahm und auf den 3. Rang ruderte. Der Törn wurde vom Boulevard begleitet, das Schweizer Fernsehen drehte einen Dokumentarfilm. Vom Sohn inspiriert, unternahm die Mutter erste Schritte, um Gleichgesinnte zu finden. Da ihre engsten Freundinnen keine Lust auf ein solches Abenteuer hatten, spielte der Zufall eine Rolle – es entstand ein zusammengewürfeltes Team, das sich der Challenge stellen wollte. Vier Frauen in einem Boot, das über den Atlantik rudert, das war dem nationalen Fernsehen zwei Dokfilme wert, dessen erster Teil im Spätsommer ausgestrahlt wurde. Höhepunkt des Beitrags: die Taufe des neuen Bootes, vorgenommen von der Ruderweltmeisterin Jeannine Gmelin.

Mit der «Heidi» hat der Vierer auf dem Vierwaldstättersee und in den Niederlanden trainiert. Geübt wurden neben der Rudertechnik auch das Durchkentern des Bootes, der Einsatz des Treibankers, mit dem die «Heidi» bei Sturm oder Gegenwind auf Kurs gehalten werden soll, der Einstieg in die Rettungsinsel. Gut neun Meter lang und nicht ganz zwei Meter breit ist das Ruderboot. Die vier Frauen werden jeweils zu zweit während zweier Stunden rudern und sich dann ablösen. Ihr Ziel ist klar: gesund ankommen und keine Risiken eingehen. Rund 200 000 Franken beträgt das Budget. Bei einem allfälligen Überschuss soll eine Organisation unterstützt werden, die sich für sauberes Trinkwasser einsetzt.

Auf den Kanaren angekommen, strahlt der Vierer grosse Zuversicht aus. «Wir fühlen uns angetrieben von der Chance, gemeinsam eine Fülle an unvergesslichen Erfahrungen zu machen», steht auf der Website. Persönlich ist die Erwartungshaltung der vier Ruderinnen unterschiedlich. Tatiana hofft, «dass ich und wir es gut machen», Astrid wünscht sich, «den eigenen Anforderungen gerecht zu werden». Sandra will testen, ob sie «über längere Zeit mit Leuten auskommen kann», für Carla «ist der Weg das Ziel». Dieses liegt in der Karibik, in Antigua, das der Vierer nach mehreren Wochen zu erreichen hofft.

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