Der Fall Horner zeigt: Teamchefs sind die grössten Egos in der Formel 1

Auf der Strecke dominiert Red Bull auch im zweiten Rennen der Saison, doch im Team rumort es gewaltig. Das hat im PS-Zirkus Tradition, einst liess ein Chef gar seinen Fahrer absichtlich in eine Mauer rasen. Wie der Eigennutz der Bosse immer wieder Rennställe ins Elend bringt.

Elmar Brümmer 5 min
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Lässt sich vom Machtkampf im Team nicht beirren und fährt auch in Saudiarabien allen davon: Weltmeister Max Verstappen im Red Bull.

Lässt sich vom Machtkampf im Team nicht beirren und fährt auch in Saudiarabien allen davon: Weltmeister Max Verstappen im Red Bull.

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Max Verstappen gewinnt auch das zweite Formel-1-Rennen der Saison vor seinem Teamkollegen Sergio Perez. Red Bull scheint überlegener denn je, doch im Team rumort es gewaltig. Im Zentrum steht dabei der dienstälteste Teamchef der Formel 1, Christian Horner. Er hat Red Bull Racing in nur zwei Jahrzehnten zu dem gemacht, was es heute ist, und er ist ein gewiefter Machtpolitiker. Momentan ist er aber vor allem der umstrittenste Rennstallboss in der Königsklasse.

Eine Anwaltskanzlei hat den Briten zwar von den Vorwürfen befreit, sich gegenüber einer Mitarbeiterin unangemessen verhalten zu haben. Doch die inzwischen suspendierte Angestellte zieht vor ein Zivilgericht.

Horner selbst versucht die vermeintlichen Saboteure im Rennstallumfeld loszuwerden, namentlich den Konzern-Motorsportberater Helmut Marko. Nach einem Treffen mit Red-Bull-Sportmanager Oliver Mintzlaff am Samstag bleibt Marko wohl im Amt. Weltmeister Verstappen hatte mit der uneingeschränkten Loyalität zu seinem Förderer erheblichen Druck ausgeübt.

Der Niederländer soll eine entsprechende Ausstiegsklausel besitzen, Vater Jos hat bereits Kontakt mit Mercedes aufgenommen. Der Star-Konstrukteur Adrian Newey könnte folgen, das erfolgreiche Gebilde droht zu zerfallen. So wie es der Gründer Dietrich Mateschitz wohl hatte kommen sehen, als er vor seinem Tod im Herbst 2022 noch eine Übernahme durch Porsche eingefädelt hatte. Die wurde von Horner und Marko, damals noch gemeinsam, in letzter Minute verhindert.

Dass sich Teamchefs für alleinige Architekten des Erfolgs halten, ist kein Einzelfall in der Geschichte der Formel 1. Die Egos passen in kein Cockpit. Es gibt reichlich weitere Beispiele, bei denen das Selbstbewusstsein der Alphatiere ins Selbstzerstörerische abdriftete, nicht selten begleitet von skandalösen Umständen.

Fahrer sind ersetzbare Angestellte

Ungeübten konnte leicht schwindlig werden, wenn sie den Sitzungssaal im Hauptquartier von McLaren betraten. An der linken Stirnseite des Raums reihten sich die wichtigsten Pokale des nach Konstrukteurstiteln dritterfolgreichsten Rennstalls der Formel 1 aneinander. Ging der Blick nach rechts, standen dort exakt die gleichen Trophäen noch einmal. Hausherr Ron Dennis hatte teure Replika anfertigen lassen, um sich, egal wo er sass, immer im Glanz der Erfolge sonnen zu können. Seiner Erfolge.

Der ehemalige Mechaniker ist zum Multimillionär geworden, entsprechend ist das Ego mitgewachsen. Sich selbst hielt er für unentbehrlich, seine Fahrer waren lediglich ersetzbare Angestellte. Der Brite war damit ein Prototyp eines Teamchefs der alten Schule. Es war ihm auch keine Lehre, dass er mit seiner Gutsherrenart nacheinander den Star-Konstrukteur John Barnard, Alain Prost und Ayrton Senna verlor.

Dem Abstieg seines zum Ende der achtziger Jahre hin so dominanten Teams konnte er sich noch einmal entgegenstemmen, als er Mercedes ins Boot holte. Doch mit dem Automobilhersteller wurde oft ein doppeltes Spiel getrieben. Gewann McLaren, hatte das Auto den Ausschlag gegeben. Verlor McLaren, war angeblich der Motor schuld.

Den Deutschen, die viel Geld in die Partnerschaft investiert hatten, reichte es irgendwann. Erst drängten sie Anfang 2009 Dennis aus dem aktiven Geschäft, dann beschlossen sie, künftig auf eigene Rechnung zu fahren. Später warben sie noch Lewis Hamilton ab, der auch genug von der ewigen Bevormundung durch Dennis hatte. Sie wurden zum erfolgreichsten Team des Jahrtausends. Der letzte Konstrukteurstitel von McLaren hingegen datiert aus der Saison 1998.

Die Demontage besorgte der heute 76-Jährige Dennis dann endgültig, als er wieder an den Kommandostand zurückkehrte und versuchte, dem saudiarabischen Geschäftsmann Mansour Ojjeh die Macht über den McLaren-Konzern zu entreissen, als dieser nach einer zweifachen Lungentransplantation um sein Leben kämpfte. Doch Ojjeh, dessen Kapital den Aufstieg des Teams überhaupt erst ermöglicht hatte, erfuhr eine wundersame Genesung und siegte im Machtkampf. Ron Dennis wurde 2017 aus dem Unternehmen gedrängt, Begründung: autokratischer Führungsstil.

Geschichte wiederholt sich, das gilt auch für Flavio Briatore, den vielleicht schillerndsten aller Teamchefs. Als Statthalter der Benetton-Familie durfte er die PS-Branche aufmischen, er hatte ein Näschen für gute Geschäfte. So erkannte er sofort das Talent von Michael Schumacher, der 1994 und 1995 prompt den Titel für das italienische Team holte. Als dessen Manager Willi Weber, ein Erzfeind Briatores, ein Angebot von Ferrari bekam, sagte er trotz dem damals grossen Risiko sofort zu. Schumacher hatte vor allem gereizt, auch noch mit einem anderen Team Weltmeister zu werden. Der Rest ist Legende.

Ohne den Paradefahrer verlor Benetton den Anschluss, der Lebemann Briatore verliess das Team. Doch er kehrte wieder zurück, als Renault den Rennstall übernahm und viel Geld im Spiel war. Dem ehemaligen Börsenmakler gelang es, mit Fernando Alonso das Schumacher-Schema zu klonen. Auch der Spanier wurde zweimal in Folge Weltmeister.

Als es 2008 sportlich nicht mehr richtig lief, entstand dann wohl der perfideste Plan, mit dem je ein Grand Prix gewonnen wurde: Auf Geheiss des Teamchefs Flavio Briatore und des Chefingenieurs Pat Symonds fuhr der Brasilianer Nelson Piquet junior zu einem bestimmten Zeitpunkt beim Nachtrennen in Singapur absichtlich in die Begrenzungsmauer, dadurch konnte sein Teamkollege Alonso das Rennen gewinnen. Ein Jahr später flog die Manipulation auf.

Absichtlich in die Mauer gefahren: Nelson Piquet junior 2008 in Singapur.

Das Team trennte sich umgehend von den Drahtziehern Briatore und Symonds, der Automobilweltverband FIA sperrte Briatore lebenslang, ehe ein Zivilgericht das Urteil 2010 aufhob. Da hatten die wichtigsten Sponsoren den Rennstall längst verlassen, und Renault hatte das Team an Investoren verkauft. Auch Briatores Allmacht war am Ende, heute zieht er nur noch die Strippen für Fernando Alonso.

Selbstüberschätzung macht blind

An der Amtsführung von Frank Williams und seinem Partner Patrick Head, den Gründern des Traditionsrennstalls Williams, gab es selten Kritik, es hat sich kaum einer getraut. Die Selfmade-Teamchefs pflegten einen militärischen Führungsstil. Der hat in den neunziger Jahren auch prima funktioniert. Auch aus dieser Sturheit heraus erkannten sie nach dem letzten Titelgewinn 1997 die Gefahr nicht, als sich in der Formel 1 die Regeln änderten, der Ausnahmedesigner Adrian Newey zu McLaren wechselte und durch die in den Sport drängenden Automobilhersteller neue Spielregeln galten.

Die beiden Charakterköpfe vergrätzten dann auch noch ihren Partner BMW, der danach zu Sauber wechselte. Das Geld wurde knapper, die Rennfabrik war veraltet, das Traditionsteam rutschte bis ans Tabellenende ab. Der Ex-Geschäftsführer Adam Parr glaubt: «Frank und Patrick sind derart erfolgreich gewesen, dass sie am Ende der Dekade nicht mehr sahen, was um sie herum vor sich ging.»

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