Spanien atmet auf: Luis Rubiales tritt zurück, bleibt aber uneinsichtig

Der Präsident des spanischen Fussballverbandes verkündet in einem TV-Interview seinen Abgang. Die Politik fordert Reformen, der Weg zu einem echten Neuanfang ist aber noch weit.

Florian Haupt, Barcelona 4 min
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Ohne einen Satz der Entschuldigung räumt Luis Rubiales das Feld.

Ohne einen Satz der Entschuldigung räumt Luis Rubiales das Feld.

Jon Olav Nesvold / Imago

Der Tag, an dem Luis Rubiales ein Einsehen hatte, verlief filmreif – wie so vieles in den letzten Wochen im traurigen Spektakel, das der Präsident des spanischen Fussballverbandes inszeniert hatte. Unbemerkt von Freund und Feind flog Rubiales nach London, wo er sich zu einem Interview mit dem TV-Journalisten Piers Morgan traf. Dort verkündete er, was er um 21 Uhr 30 dann auch seinem Vertreter Pedro Rocha und wenig später der Öffentlichkeit mitteilte: Auf den Tag drei Wochen nach dem infamen Kuss auf den Mund der Nationalspielerin Jenni Hermoso stellt er sein Amt zur Verfügung und gibt auch jenes als Vizepräsident des europäischen Fussballverbandes Uefa auf.

«Ich habe diesen Rücktritt ersehnt, aber nicht erwartet»: Mit diesen Worten reagierte Victor Francos, der Chef der spanischen Sportaufsichtsbehörde CSD – und ein ganzes Land atmete auf. So renitent hatte Rubiales zuvor dem Druck aus Politik und Gesellschaft standgehalten, dass kaum mehr mit dem an sich überfälligen Schritt gerechnet werden konnte.

Rubiales inszeniert sich als Opfer böser Mächte und eines «falschen Feminismus»

Gespräche mit seinem engsten Umfeld sowie die unmissverständliche Haltung des Weltverbands Fifa und hinter den Kulissen offenbar auch eine Intervention des lange loyalen Uefa-Chefs Aleksander Ceferin haben Rubiales nun doch zum Einlenken gebracht. «Es ist evident, dass ich nicht in mein Amt zurückkehren kann», schrieb Rubiales, der wenige Tage nach dem WM-Final von der Fifa für drei Monate suspendiert worden war. «Unter anderem, weil es faktische Mächte gibt, die es verhindern werden.»

Einsicht oder eine aufrichtige Entschuldigung sucht man in dem Communiqué wie in dem bisher bekannten Schnipsel des TV-Interviews mit Morgan vergeblich (das komplette Gespräch soll im Verlauf der Woche ausgestrahlt werden). Vielmehr liess Rubiales schon mit der Wahl seines Gesprächspartners ein letztes Mal die Maske fallen. Morgan ist nicht nur der Journalist, bei dem sich Cristiano Ronaldo vorigen Herbst gezielt aus seinem Vertrag bei Manchester United quasselte. Der ehemalige Boulevard-Reporter gilt auch als ausgewiesener Chauvinist. «Ist der internationale Frauentag schon vorbei? Ich sterbe vor Hunger», twitterte er am 8. März 2022.

Zwei, die sich wohl mögen: Luis Rubiales bei Piers Morgan.

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Rubiales, gegen den ein Strafverfahren wegen sexueller Nötigung eingeleitet worden ist, inszenierte sich bis zuletzt als Opfer eines «falschen Feminismus», den er in einer peinlichen Rechtfertigungsrede an einem Verbandstag fünf Tage nach dem Vorfall ins Feld führte. Bewusst versuchte er, seinen Fall in den in Spanien besonders virulenten Kulturkampf zwischen Feminismus und Antifeminismus hineinzuziehen.

Doch weil er sich nach Abpfiff des WM-Finals auf der Ehrentribüne unweit von Königin Letizia und Prinzessin Sofia triumphal ins Gemächt gegriffen hatte, galt er auch in konservativen Kreisen als untragbar. Einzig die ihm in Günstlingswirtschaft verbundenen Verbandsleute, die von ihm berufenen Nationaltrainer Luis de la Fuente (Männer) und Jorge Vilda (Frauen), der mittlerweile entlassen wurde, oder Nationalspieler wie Dani Carvajal («Ich habe seinen Umgang als exzellent kennengelernt») verteidigten Rubiales noch ansatzweise.

Der Rücktritt erfolgte auch aus Rücksicht auf die WM-Kandidatur 2030

Als ob er dafür nicht mit seinem Übergriff und den folgenden Sottisen und Manipulationsversuchen selber verantwortlich wäre, schrieb Rubiales jetzt: «Ich möchte nicht, dass der spanische Fussball von einer so unverhältnismässigen Kampagne beschädigt wird.» Konkret erwähnte er Spaniens WM-Bewerbung für 2030, die bis zur Turniervergabe im kommenden Sommer noch viel Aufräumarbeit wird leisten müssen.

Nun geht er also, der Macho im Chefsessel. Aber geht auch der Machismo? In Medien wie Politik dominierten in den ersten Reaktionen die Aufrufe, dass Rubiales’ Rücktritt nur der erste Schritt eines grossen Reinemachens im Verband sein dürfe. Die frühere Nationalspielerin Vero Boquete postete fallende Dominosteine. «Jetzt geht der Fall Rubiales erst richtig los», sagte auch der CSD-Chef Francos dem Radiosender Cope.

Zur Debatte steht konkret etwa das Wahlsystem im Verband. Bis jetzt wird der Präsident von einer Versammlung gekürt, deren Mitglieder er zum Teil selber ernennen kann. Schlüssel seiner Macht sind ausserdem die 19 Chefs der Regionalverbände – bisher allesamt Männer –, denen der Zentralverband finanzielle Mittel zuweist. Es ist eine Einladung zur Vetternwirtschaft. Francos kündigte in mehreren Interviews an, die Regierung werde nun Anpassungen der nationalen Sportgesetzgebung prüfen.

Das Wahlgremium hat sich mit einer Standing Ovation disqualifiziert

Fürs Erste zeichnet sich aber ein Dilemma ab. Nach den geltenden Statuten muss alsbald ein Rubiales-Ersatz gewählt werden, der dessen Mandat (bis Mitte 2024) zu Ende führt – und zwar von derselben Versammlung, die seine Rede vor zwei Wochen ganz überwiegend mit Standing Ovations bedachte.

Die Regierung darf sich nach einem Urteil des nationalen Sportverwaltungsgerichts nicht direkt in die Angelegenheit einmischen, weil dieses die Vorwürfe gegen Rubiales nicht als «sehr schwerwiegend» einstufte. Und so wird jetzt nach einem Ausweg gesucht, der zeitnah einen echten Neuanfang mit einem anderen Wahlgremium ermöglichen soll.

Doch Spaniens Fussball muss auch seine Kultur hinterfragen. Kurz bevor Rubiales am Sonntagabend zurücktrat, hatte der Spieler Víctor Mollejo mit einem Torjubel Aufsehen erregt. Der Stürmer von Real Saragossa feierte seinen Treffer im Zweitligamatch bei Cartagena mit einem demonstrativen Griff an die Hoden. Die Liga hat ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet.

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