Nach der ausgefallenen Rad-WM in Aigle muss der Bund um die Rückzahlung seiner Millionen betteln

Bern hat sich mutmasslich vom Radsport-Weltverband UCI übertölpeln lassen. Jetzt geht es um Schadensbegrenzung.

Sebastian Bräuer
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Die Rad-WM fand nicht wie geplant in der Schweiz statt; der Weltverband UCI hat bereits ausgezahltes Geld dennoch nicht zurückerstattet.

Die Rad-WM fand nicht wie geplant in der Schweiz statt; der Weltverband UCI hat bereits ausgezahltes Geld dennoch nicht zurückerstattet.

Jean-Christophe Bott / Keystone

Eigentlich war die Strassenrad-WM 2020 aus Schweizer Perspektive eine Erfolgsgeschichte. Marlen Reusser gewann Silber, ihre männlichen Kollegen Marc Hirschi und Stefan Küng holten Bronze. So gut war die Bilanz von Swiss Cycling an globalen Titelkämpfen auf der Strasse lange nicht gewesen.

Aus finanzieller Sicht entpuppen sich die Titelkämpfe im September 2020 nun allerdings als Desaster. Obwohl die Veranstaltung wegen der Corona-Pandemie kurzfristig ins italienische Imola verlegt wurde und nicht wie geplant in der Region Aigle - Martigny stattfand, droht der Schweiz ein enormer Verlust – mehrere Millionen Franken stehen auf dem Spiel.

Womöglich hat sich die Politik vom Radsport-Weltverband UCI übertölpeln lassen, der nach aktuellem Stand als Profiteur aus der Angelegenheit hervorgehen könnte.

Insgesamt hatten der Bund, die Kantone Waadt und Wallis sowie die beteiligten Gemeinden 11,8 Millionen Franken für den Anlass bewilligt. Allein der Bund hatte 5 Millionen Franken gesprochen, was als grosszügige Geste zur Förderung des Radsports galt, mit Blick auch auf die Titelkämpfe 2024 in Zürich. 4 Millionen davon hatte das lokale Organisationskomitee bereits erhalten, 0,5 Millionen gingen für sportliche Begleitmassnahmen an Swiss Cycling. Nur die letzte halbe Million hatte der Bund noch einbehalten, um die abschliessende Buchhaltung abzuwarten.

Die Grosszügigkeit droht sich nun zu rächen. Ein signifikanter Teil des Gesamtbetrags floss vom Organisationskomitee an den Weltverband UCI, denn dieser verlangt von den Ausrichtern von Strassenrad-Weltmeisterschaften vorab eine Gebühr in Millionenhöhe. Davon werden Leistungen finanziert, die grösstenteils erst während der Veranstaltung anfallen, von der Zeitmessung bis zu den Dopingkontrollen.

Obwohl der Anlass letztlich nicht in Aigle - Martigny stattfand, hat die UCI bis heute kein Geld rückerstattet. Einen entsprechenden Antrag des Bundesrates hat der Verband, der ebenfalls in Aigle sitzt, bisher ignoriert. Von Imola kassierte die UCI für die WM 2020 ein zweites Mal eine Veranstaltungsgebühr.

In Bern sorgt die Unverfrorenheit auch bei sportaffinen Politikern für Ärger. «Es wäre ein Unding, wenn ein Weltverband nach ausgefallenen Weltmeisterschaften einen Millionengewinn auf Regierungskosten generiert», sagt die Nationalrätin Aline Trede. «Wir verlangen von der UCI, die erhaltenen Gelder abzüglich entstandener Kosten umgehend an Bund, Kantone und Gemeinden zurückzuzahlen.» Der Radsport-Weltverband habe während der Corona-Krise bereits von der Schweizer Kurzarbeit profitiert, als er seine Mitarbeiter zeitweise nach Hause schickte.

Die UCI beantwortet wiederholte Anfragen zum Thema nicht. Ein Sprecher des Organisationskomitees verweist auf laufende Diskussionen. Swiss Cycling hatte die Titelkämpfe zwar ins Land geholt und intensiv um öffentliche Gelder geworben, fühlt sich nun aber höchstens indirekt dafür zuständig, diese wieder einzutreiben. «Da der Vertrag zwischen dem Organisationskomitee und der UCI abgeschlossen wurde, werden die Gespräche auf dieser Ebene geführt», sagt der Geschäftsführer Markus Pfisterer. «Wir versuchen dennoch, Druck zu machen, das hat für uns höchste Dringlichkeit. Es geht um Steuergelder.» Er gehe davon aus, dass die UCI noch etwas zurückzahle.

Doch Bern ist nun in der Rolle des Bittstellers. Offensichtlich wurden die Risiken eines Ausfalls aufgrund höherer Gewalt vorab nicht adäquat abgesichert. Bei anderen Grossveranstaltungen ist das längst Standard.

Der drohende Verlust ist auch für Swiss Cycling ärgerlich, zumal dadurch gemäss Trede laufende Projekte wie das Frauenförderungsprogramm «Fast & Female» in Gefahr geraten. Es dürfte wenig nützen, dass der Verband an anderer Stelle äusserst sparsam agiert. Von den 9,8 Millionen Franken, die Swiss Cycling aus dem Covid-19-Stabilisierungspaket zugute hätte, werden nur 6,8 Millionen beansprucht.

Der Verband lehnte sorgfältig begründete Anträge auf Unterstützung von Veranstaltern ab, beispielsweise jenen des Ennetbadener Renn-Speakers Christian Rocha. In seinem Fall geht es um etwa 50 000 Franken. Dass anderswo aufgrund von Leichtfertigkeit Millionen verloren zu gehen drohen, dürfte Rochas Unmut noch vergrössern.