Spottgelächter mit Mark Twain

Am Sportgeschehen von heute hätte Mark Twain, Schöpfer zahlloser Bonmots, seinen Spass. Viele Websites folgen heute seinem Rat, eine gute Geschichte nicht durch die Wahrheit zerstören zu lassen.

Rod Ackermann
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«Never let the truth get in the way of a good story»; Mark Twains Rat ist so aktuell wie nie zuvor. (Bild: Keystone)

«Never let the truth get in the way of a good story»; Mark Twains Rat ist so aktuell wie nie zuvor. (Bild: Keystone)

Am Sportgeschehen von heute hätte Mark Twain (1835 – 1910), der unvergleichliche Raconteur und Schöpfer zahlloser Bonmots, umso mehr Spass gehabt, als es seine scharfzüngigen Aphorismen stets aufs Neue bestätigt. Dem Rat des listigen Amerikaners, einer guten Geschichte niemals die Wahrheit in die Quere kommen zu lassen («Never let the truth get in the way of a good story»), folgt eine steigende Anzahl von Websites, die sich auf Satire spezialisieren («Der Postillon» und andere). Offenbar besteht angesichts der Überflutung durch Fakten ein gewisser Bedarf an Klamauk. Entsprechende Hilfe bot schweizerischerseits ein Internetportal, das jüngst die Nachricht eines Aufkaufs des bankrottgegangenen EHC Basel durch Red Bull derart glaubhaft verbreitete, dass sogar seriöse Medien darauf hineinfielen.

Kaum war das Spottgelächter über die Veräppelten verklungen, vollzog die deutsche Fussballnationalmannschaft den Schritt zur Realsatire, indem sie dem brasilianischen Mythos vom «jogo bonito» den Garaus machte. Auch da vernahm, wer genau hinhörte, aus dem Hintergrund das Kichern Mark Twains, denn das 7:1 rief Prognostikern wie Wettfreudigen eine weitere seiner listigen Weisheiten schmerzlich in Erinnerung, nämlich: Mit Voraussagen ist es eine schwierige Angelegenheit, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen.

Nun war Spitzensport seit je Unterhaltung ohne Drehbuch, eine Wundertüte der Surprise quasi, unausrottbar hingegen das menschliche Bestreben, mehr zu wissen als andere, am liebsten im Voraus. Kein Wunder, wird ungeachtet der Warnung Twains munter in die Kristallkugel geguckt, und siehe da: Schon hat «L'Equipe», die führende Sportzeitung Frankreichs, online das vorzeitige Ende der Tour de France heraufbeschworen, weil der Vorjahressieger Chris Froome frühzeitig ausschied und der andere Kronfavorit, Alberto Contador, am Montag ebenfalls nach einem Sturz aufgeben musste.

Doch was wissen die schon? Nicht mehr als die ins Schwitzen geratenen Herren vom Internationalen Olympischen Komitee, für deren Winterspiele sich immer weniger Kandidaten finden, nicht mehr auch als die Bosse des Fussball-Weltverbandes mit ihrem hirnverbrannten WM-Projekt Katar 2022. Wagen wir deshalb als Hommage an Mark Twain unseren höchsteigenen Blick in die Zukunft, machen wir aus zweien seiner Bonmots ein einziges, fordern wir Winter-Olympia am Persischen Golf!