Der FC Sion dreht sich als Patient im Kreis – Paolo Tramezzani wird zum 4. Mal Trainer

Die Walliser sind im Krisenmodus. Der Präsident Christian Constantin entmachtet den Trainer David Bettoni während der 0:5-Niederlage in Genf. Er stellt in dieser Saison bereits den dritten Coach frei und holt einen zurück, den er vor wenigen Monaten entlassen hat.

Peter B. Birrer 5 min
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Der in der Halbzeit ausgewechselte Mario Balotelli (links) symbolisiert in Genf das Verlorensein des FC Sion. Auch der Trainer David Bettoni ist Geschichte.

Der in der Halbzeit ausgewechselte Mario Balotelli (links) symbolisiert in Genf das Verlorensein des FC Sion. Auch der Trainer David Bettoni ist Geschichte.

Laurent Gillieron / Keystone

Der FC Sion kann sich glücklich schätzen, dass in diesem Jahr niemand direkt absteigt. Er offenbart schlimmste Krisenzeichen und verliert am Samstag in Genf gegen den Servette FC nach einer desolaten Performance 0:5. Schon nach 10 Minuten hiess es 0:3. Der Klubpräsident Christian Constantin greift in der Pause ein, in der Kabine wird es laut, und am Ende sagt der Spieler Reto Ziegler, dass er glaube, dass David Bettoni nicht mehr Trainer der Sittener sei.

Am Montagmorgen ist der nächste Trainerwechsel Tatsache, der dritte allein in dieser Saison. In einer einzeiligen Mitteilung kommuniziert der FC Sion auf seiner Website, dass er sich von Bettoni trennt. Sein Nachfolger wird der Italiener Paolo Tramezzani, der Anfang Saison bereits Trainer war, entlassen wurde und nun zum insgesamt dritten Mal zum Klub und zu Constantin zurückkehrt. Orientierungsloser geht’s fast nicht.

Der FC Sion ist in den letzten Jahren immer tiefer gefallen, das System des Präsidenten Christian Constantin steckt in der Klemme. Kein Plan ist zu erkennen, seit Jahren, selbst die von Emotionen begleiteten Strohfeuer im Schweizer Cup bleiben aus. Der Klub wirkt führungslos und dreht sich auf niedrigem Niveau im Kreis. Jedes Jahr schwebt das Damoklesschwert Abstieg über dem Stade de Tourbillon. Auch das verändert sich nicht.

Das alles vor dem Hintergrund, dass Constantin auf Mitte 2024 seinen Abgang ankündigt. Die Grosswetterlage im Fussball-Wallis ist schwierig einzuschätzen, hat aber gleichwohl etwas Bedrohliches. Nirgends riecht es nach Kehrtwende. Nicht ein Indiz, das positiv stimmen würde, ist auszumachen. Eine Bilanz des Schreckens.

Die Walliser üben sich in Ablenkungsmanövern

Der FC Sion regt sich über Schiedsrichter auf. Die Bösen und Unfähigen sind dort draussen, nicht hier drinnen. Nach der 0:1-Niederlage vor einer Woche gegen den FC Winterthur, nach einem zweifelhaften Eingreifen des Videoschiedsrichters, einem nicht gepfiffenen Handspenalty und nach dem Fall ans Tabellenende strickt der Walliser Klub wieder einmal Verschwörungstheorien.

Dass Fragen zum Verhalten des Videoschiedsrichters gestellt werden, ist nachvollziehbar. Aber die Schärfe der Walliser Reaktion ist reines Ablenkungsmanöver. Greif die (Video-)Referees an, so musst du nicht über dich reden.

Ja, der FC Sion ist gegen Winterthur benachteiligt worden und hätte den Handspenalty erhalten sollen. Nur: Der FC Sion hat in dieser Saison gegen den Aufsteiger Winterthur keinen Match gewonnen: 1:3, 0:1, 1:1, 0:1. 1 Punkt, 2:6 Tore. Auch darum fällt das Tabellenende nicht vom Himmel. Die Walliser liegen 20 Punkte hinter dem Servette FC zurück.

Der FC Sion leidet unter einer eklatanten Heimschwäche und hat in sechzehn Anläufen zwei Heimspiele gewonnen. Da liegt kein Rechenfehler vor: zwei. Torverhältnis im Tourbillon: 16:33.

Die Walliser reihen sich mit dem jährlichen Personalaufwand von etwas über 15 Millionen Franken im Durchschnitt der Liga ein, abgesehen von YB und Basel (mehr als doppelt so viel) und vom FC Winterthur (etwas mehr als ein Drittel). Manchmal machte Constantin Geld mit Transfers, jetzt beträgt der Transfersaldo minus 3 Millionen. Vor allem wegen der Verpflichtung Mario Balotellis.

Die teure Investition Balotelli hat wenig gebracht

Ja, der Italiener Balotelli, die jüngste Versuchung Constantins, Millionen sind im Spiel. Einige träumten vor der Saison von Balotelli und dem Sturm an die Tabellenspitze. Stattdessen: 18 Balotelli-Spiele, 6 Tore. Ausser medialer Aufregung war und ist da nicht viel. Immerhin hievte die unverschämt teure PR-Aktion mit Balotelli den Klub in die Medien. Sonst? Pechschwarze Nacht.

Balotelli ist nicht austrainiert und tut eines sicher nicht: zu viel rennen. Beim 0:5 in Genf wird er in der Pause ausgewechselt, vermutlich nicht vom Trainer, sondern vom Präsidenten. So deutet dies der Spieler Ziegler an.

Die Sittener hadern zurzeit oft mit den Schiedsrichtern.

Die Sittener hadern zurzeit oft mit den Schiedsrichtern.

Laurent Gillieron / Keystone

Da wuchern Probleme. Wenn es einer Mannschaft nicht läuft, sollten alle Spieler laufen, sich auflehnen. Wer Letzter ist, kann nicht warten. Auch nicht auf einen Spieler wie Balotelli.

Medienpräsenz erhielt der FC Sion in der Vergangenheit wiederholt im Schweizer Cup. Doch auch da will das Feuer nicht mehr brennen. Es ist erloschen. Cup-Viertelfinal Anfang März im Stade de Tourbillon vor 4180 Personen, 0:3 gegen den FC Lugano. Der FC Sion ist zum notorischen Verliererklub geworden, vor allem bei sich zu Hause. Der Spieler Reto Ziegler entschuldigt sich danach vor laufender Fernsehkamera beim Publikum. Adieu, Schweizer Cup, schon wieder.

Mehrere Trainerwechsel bleiben ohne jede Wirkung – aber Sitten ist nicht Yverdon

Interimistischer Trainer war in jenem Spiel Christian Constantin. In dieser Saison beschäftigt er mit David Bettoni bereits den dritten Trainer, sein missglücktes Gastspiel nicht eingerechnet. Paolo Tramezzani führte die Equipe auf den 8. Rang. Punktedurchschnitt pro Spiel: 1,25. Nach einer 2:7-Niederlage gegen den FC St. Gallen war Tramezzani nicht mehr Trainer. Sein Nachfolger Fabio Celestini holte in sechs Spielen zwei Punkte (0,33); 9. Rang. Nach einer 0:4-Niederlage gegen St. Gallen war Celestini weg.

Es kam Constantin (Cup-Aus, dazu 1 Remis) und danach Bettoni, der frühere Assistenztrainer von Real Madrid. Real! Mit Bettoni kommt der Klub auf zehn Partien und acht Zähler (0,8). Das ergibt den 10. und letzten Tabellenplatz. Und jetzt kommt für die letzten drei Spiele Tramezzani zurück. Die obligaten Trainerwechsel haben nicht wenig, sondern nichts bewirkt. Constantin strampelt, versucht – und kommt nicht weiter, sondern fällt immer weiter zurück.

Da erstaunt, dass der Zuschauerdurchschnitt immer noch 8600 beträgt. Das ist nicht wenig für ein Team, das im eigenen Stadion fast nie gewinnt. Aber etwas weniger als vor der Pandemie. Sitten ist nicht Yverdon, wo im Alltag fast niemand Fussball sehen will. Unlängst hat sich im Wallis die Gruppierung «Collectif Tourbillon» formiert. Support für den FC Sion. Unterschriftensammlung. Verankerung. Neuorientierung. Wie weiter? Ein Testballon für die Zeit nach Constantin.

Der Vorstoss aus dem Publikum legt exemplarisch dar, dass einiges aus dem Lot geraten ist. Nicht erst in dieser Saison. Alle Jahre wieder, als müsste sich die verhängnisvolle Geschichte wiederholen. Dem freien Fall wird nicht einmal temporär Einhalt geboten, mit welchen Trainern und Spielern auch immer. Nur einer bleibt. Noch. Der Präsident.

Ihm fehlt ein Werkzeug, worüber die meisten Konkurrenten verfügen, mal besser, mal schlechter: In Lugano, Luzern, Bern, Zürich, Genf, Winterthur und St. Gallen ist eine Linie erkenntlich. Die abermals auf die Spitze getriebene Walliser Polemik gegen die Schiedsrichter ist zu ignorieren. Der Patient weiss, wer Patient ist. Die Schmerzen sind zu gross geworden. Das 0:5 in Genf und die Rückkehr Tramezzanis legen das schonungslos offen.