Wie ein hemdsärmeliger Weltverbesserer in Traiskirchen die FPÖ klein hält

Als bekennender Linker solidarisiert sich Andreas Babler mit den Ärmsten der Armen. Das sind für den Bürgermeister von Traiskirchen die Flüchtlinge im überbelegten Massenlager. Trotz der augenscheinlichen Probleme im Ort wird Bablers Kurs honoriert: Vor einem halben Jahr wurde er mit 73 Prozent im Amt bestätigt. Wie schafft er das?

Wolfgang Rössler
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(Bild: Ursula Röck)

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Mitte der neunziger Jahre lernte Andreas Babler Lula da Silva kennen. Der spätere brasilianische Staatspräsident war damals ein populärer Arbeiterführer, dessen Ideen zur Bekämpfung der Armut die Herzen vieler Linker beflügelte. Lula war Starredner bei einer internationalen Sozialistentagung in Italien. In Jeans und schwarzem T-Shirt kletterte er aufs Podium.

Babler, Anfang 20, Schichtarbeiter, Bundessekretär der SPÖ-Jugend und Vizepräsident der sozialistischen Weltjugendinternationalen, verstand nur Bruchstücke der Rede. Zwar hatte er wie viele andere junge Linke aus Begeisterung für den lateinamerikanischen Sozialismus an der Volkshochschule Spanisch gebüffelt. Doch Lula sprach schnell und mit stark portugiesisch gefärbtem Einschlag. So prägte sich bei dem österreichischen Jungsozialisten vor allem der Gesamteindruck ein. „Von allen Politikern, die ich getroffen habe, würde ich den frühen Lula fast an die Spitze stellen“, sagt er heute. Es war die Verbindung aus Programmatik und Volksnähe, die Babler tief beeindruckte.

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Heute ist Babler einer der bekanntesten Bürgermeister Österreichs. Der mittlerweile 42-Jährige gibt nahezu täglich Interviews zur Situation im überfüllten Erstaufnahmelager Traiskirchen. Er ist das wandelnde schlechte Gewissen der Innenministerin, die den Flüchtlingsansturm nicht in den Griff bekommt. Der Landeshauptleute, die die Errichtung von Erstaufnahmezentren in ihren Ländern hintertreiben. All jener Bürgermeister, die trickreich verhindern, dass in ihrer Gemeinde Asylwerber einquartiert werden.

In der ehemaligen k.u.k Kadettenanstalt – gebaut für 500 Soldaten – schlafen derzeit mehr als 3.700 Flüchtlinge, viele von ihnen unter freiem Himmel. Untertags bevölkern die Asylwerber die öffentlichen Grünflächen, Spielplätze und Parkbänke. Das Stadtbild von Traiskirchen wird geprägt von Menschen aus fremden Ländern, die zum wochenlangen Nichtstun verdammt sind und sich die Zeit vertreiben.

Man sollte meinen, dass Konflikte mit den Einwohnern vorprogrammiert sind. Doch tatsächlich begegnen die Traiskirchnerinnen und Traiskirchner den Flüchtlingen mit bemerkenswerter Langmut. Babler, der nicht müde wird, in der Bevölkerung um Verständnis für die Situation der in Traiskirchen Gestrandeten zu werben, wurde vor einem halben Jahr mit 73 Prozent im Amt bestägt. Ausgerechnet in Traiskirchen verfangen die rechten Sprüche der FPÖ nicht. Wie macht das Andreas Babler?

Der mit dem größten Kirschbaum

Der junge Vater ist mit dem Fahrrad zu seinem Lieblingsheurigen gekommen. „Fuchs“ heißt die Gaststätte unweit der Badner Bahn, die Traiskirchen mit dem 30 Kilometer entfernten Wien verbindet. Hier sind die Traiskirchner unter sich, selten verirrt sich ein Asylwerber in diese Gegend. Die Flüchtlingssituation ist an diesem lauen Spätsommerabend auch nur indirekt Gesprächsthema am Stammtisch. Babler unterhält sich mit einem älteren Gemeindebürger über die bereits zurückliegende Kirschenernte in diesem Jahr. „Du hast den größten Kirschbaum in der Stadt“, sagt der anerkennend. Babler relativiert: „Den größten Kirschbaum im Stadtteil.“

Babler ist mit vielen Traiskirchnern per Du. Das schafft Nähe. (Bild: Ursula Röck)

Babler ist mit vielen Traiskirchnern per Du. Das schafft Nähe. (Bild: Ursula Röck)

Der Bürgermeister ist mit vielen Traiskirchnern per Du. Sogar die Kinder würden ihn auf der Straße mit „Andi“ begrüßen, erzählt er.

Der Vizepräsident des örtlichen Fußballvereins, ein Mittfünfziger mit Baseballkappe, kommt zur Theke. „Danke für deinen Einsatz“, sagt Babler.

Später erzählt er, welcher Einsatz gemeint war. Der Fußballverein organisiert gemeinsam mit anderen Vereinen jeden Donnerstag Abenteuerkurse für junge Flüchtlinge: Schlauchspritzen, Kistenklettern, Kicken. Die Hilfsbereitschaft bleibt trotz der chaotischen Zustände im Lager ungebrochen. Babler sagt: „Ich behaupte mit Stolz, dass die Traiskirchner Bevölkerung überdurchschnittlich sensibilisiert für die Probleme von Flüchtlingen ist.“

Das zeigt sich auch an den Wahlerfolgen der FPÖ, die sich bei den letzten Gemeinderatswahlen in Traiskirchen überdurchschnittliche Erfolge erwartete. Parteichef Heinz-Christian Strache kam persönlich, um vor dem Flüchtlingslager eine Rede zu halten. Doch genutzt hat das wenig: Gerade einmal 14 Prozent streiften die Blauen ein. „Das ist eine Losertruppe“, sagt Babler spöttisch.

Ein Mann mit einer Haltung

Naturgegeben ist die Übermacht der Roten in der 20.0000-Einwohner-Stadt freilich nicht. Bei den letzten EU- und Nationalratswahlen lagen die Freiheitlichen in Traiskichen deutlich über dem Bundesergebnis. Die Traiskirchner sind nicht unempfänglich für rechte Politik. Nur vor Ort vertrauen sie den Sozialdemokraten, die Hilfsbereitschaft mit den Flüchtlingen predigen – und dennoch keiner Diskussion aus dem Weg gehen. Babler sagt:

Wenn ich am Stammtisch sitze, wird natürlich auch manchmal ausländerfeindlich gesprochen. Dann gehe ich rein in die Diskussion und argumentiere. Ein echter Sozialdemokrat darf nicht mitheulen, wenn nach unten getreten wird. Es gibt keinen Widerspruch zwischen Solidarität mit Flüchtlingen und der Solidarität mit den eigenen Leuten.

Doch ebenso schlimm wie die Anbiederung an den Stammtisch sei die Überheblichkeit vieler Linker und Liberaler gegenüber realen Ängsten der Bevölkerung. „Die Leute sind keine Deppen. Sie deklarieren sich nicht ohne Grund, sondern weil es konkrete Probleme gibt.“

Was also sagt Babler einem Traiskirchner, der sich über die Lärmbelästigung aus dem Lager beschwert? Darüber, dass Asylwerber die Spielgeräte für Kinder blockieren? Dass die Spielplätze zugemüllt sind mit Bierdosen und Zigarettenstummeln?

Dass es stimmt. Man darf die Probleme nicht verleugnen. Wir haben Flugzettel an Asylwerber verteilt, um das Problem der Vermüllung in den Griff zu bekommen. Aber man kann von ihnen nicht verlangen, dass sie sich den ganzen Tag hinter Mauern aufhalten. Ich sage den Menschen, dass nicht die Flüchtlinge das Problem sind. Sondern ein System, das ihnen keine andere Wahl lässt.

Nicht jeden könne er damit überzeugen. „Aber die Menschen honorieren es, wenn man eine Haltung hat. Ich wurde auch von Leuten gewählt, die meine Ansichten in der Flüchtlingsfrage überhaupt nicht teilen.“

Stolz, ein Arbeiterkind zu sein

Babler nennt sich stolz ein „Arbeiterkind“, seine Herkunft aus einfachen Verhältnissen sei kein Nachteil, sondern ein Glücksfall. Er macht auch kein Hehl daraus, dass er sich im Wirtshaus wohler fühlt als in linken Salons. „Ich habe eine Allergie gegen Theorie“, sagt er. Damit verschleiert er kokett, dass er im Gegensatz zu den meisten anderen Sozialdemokraten Marx und Engels im kleinen Finger hat. Babler mag das Auftreten eines Dorfbürgermeisters haben. Aber ideologisch steht er den radikal linken Theoretikern innerhalb der SPÖ nahe wie kaum ein anderer amtierender Politiker.

Das schimmert durch, wenn er über den lateinamerikanischen Sozialismus spricht. Es sei schon „spannend“, sagt er, was Evo Morales oder Hugo Chávez bewegt hätten.

Man darf auch Kuba nicht vergessen, das sich dem jahrzehntelangen Diktat des Weltmarktes trotz schwierigster Repression nicht unterworfen hat.

Kritik am Westen

Und die Menschenrechtsverletzungen unter Fidel Castros Regime? Die Demontage von Demokratie und Rechtsstaat unter Chávez?

Ja, natürlich. Ich möchte das nicht relativieren. Aber es gibt auch in Österreich Menschenrechtsverletzungen. Nicht zuletzt im Umgang mit Flüchtlingen.

Nach einer kurzen Pause sagt er: „Ich will nicht, dass nur dieser Satz übrig bleibt. Ich weiß, dass man das nicht vergleichen kann. Aber man sollte manchmal über die unterschiedlichen Maßstäbe nachdenken.“

Babler hat sich die kritische Distanz des Jungsozialisten gegenüber den wohlhabenden Ländern bewahrt. Wenn er sich für die Belange der Flüchtlinge einsetzt, dann tut er das auch aus der Überzeugung, dass es sich dabei um Opfer weltpolitischer Verwerfungen handelt, an denen der Westen mitschuld sei: durch den NATO-Krieg in Afghanistan oder den Einmarsch der USA im Irak, der den Aufstieg des Islamischen Staates begünstigt hat. Babler handelt aus Gesinnung.

Babler ist ein Hoffnungsträger der SPÖ-Linken. Aber noch will er von der Bundespolitik nichts wissen (Bild: Ursula Röck)

Babler ist ein Hoffnungsträger der SPÖ-Linken. Aber noch will er von der Bundespolitik nichts wissen (Bild: Ursula Röck)

Das macht den bekennenden Kritiker an SPÖ-Chef Werner Faymann zu einem Hoffnungsträger des linken Parteiflügels. Babler engagiert sich in der parteiinternen Arbeitsgruppe „Kompass“, die auf einen Kurswechsel der Partei hinarbeitet. Noch will er keine höheren Ambitionen haben, die Arbeit als Bürgermeister sei anstrengend genug.

Ausschließen will er aber auch nichts. „Es ist unmöglich, die Politik der Bundesregierung zu verteidigen. Der Zorn der Menschen ist berechtigt.“