Der Schweiz fehlt noch etwas zur Musterschülerin

Die Altersvorsorge und die Schuldenbremse bieten im Länderexamen des Internationalen Währungsfonds Reibungsflächen für die Schweizer Politik

Hansueli Schöchli
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Rachel van Elkan (zweite von rechts) spricht neben Serge Gaillard (von links nach rechts), Eidgenössische Finanzverwaltung, Alexandre Karrer, Staatssekretär für internationale Finanzen, und Thomas Moser, Schweizerische Nationalbank, an der Pressekonferenz in Bern. (Bild: Anthony Anex / Keystone)

Rachel van Elkan (zweite von rechts) spricht neben Serge Gaillard (von links nach rechts), Eidgenössische Finanzverwaltung, Alexandre Karrer, Staatssekretär für internationale Finanzen, und Thomas Moser, Schweizerische Nationalbank, an der Pressekonferenz in Bern. (Bild: Anthony Anex / Keystone)

Es gibt schlimmere Examen als dieses. Wie alle anderen Mitglieder des Internationalen Währungsfonds (IMF) muss auch die Schweiz regelmässig eine Evaluation von IMF-Experten in Sachen Geld- und Finanzpolitik über sich ergehen lassen. Angereichert ist die Sache typischerweise mit Einschätzungen zu weiteren Themen der Wirtschaftspolitik und zur Finanzmarktstabilität. In diesen Disziplinen steht die Schweiz in der Regel relativ gut da, spielen hier doch die in den letzten Jahren für das Land besonders «schwierigen» Fächer wie Bankgeheimnis und Steuertransparenz höchstens am Rand eine Rolle.

So scheinen die IMF-Experten auch bei ihrem jüngsten Besuch in der Schweiz einen ziemlich guten Eindruck erhalten zu haben, wie den am Montag vor den Medien in Bern präsentierten Ergebnissen zu entnehmen ist. Die Konjunktur laufe gut, die Wirtschaft habe sich an den starken Franken angepasst, die Staatsfinanzen seien solide, und die Stabilität des Bankensektors habe sich verstärkt.

Doch Haare in der Suppe finden sich immer: So warnt der IMF vor einem möglichen Einbruch an den Immobilienmärkten im Fall eines starken Zinsanstiegs. Die Experten empfehlen unter anderem striktere Belehnungsregeln bei Hypotheken und die Abschaffung der steuerlichen Abzugsfähigkeit der Hypothekarzinsen.

Lockerung der Schuldenbremse

Aus Sicht der Schweizer Politik bietet die IMF-Erklärung vor allem in zwei Punkten Reibungsflächen. So empfiehlt der IMF eine Lockerung der Schuldenbremse des Bundes. Derzeit führen die Regeln der Schuldenbremse in der Tendenz zu einem fortlaufenden Abbau der nominalen Bundesschulden. Der IMF regt an, dass ungeplante Bundesüberschüsse das Ausgabendach für das Folgejahr erhöhen sollten, statt in den Schuldenabbau zu fliessen. Auch der Bundesrat liebäugelte vergangenes Jahr mit dieser Idee, verzichtete aber vorderhand darauf, nachdem eine von der Regierung eingesetzte Expertengruppe davon abgeraten hatte.

Aus Sicht des Finanzdepartements ortet der IMF hier ein Problem, wo keines existiert. Zentral ist die Frage, ob es Anzeichen für öffentliche Unterinvestitionen gibt. Rachel van Elkan, die aus Australien stammende Chefin der IMF-Delegation, konnte am Montag auf Nachfrage keine solche Anzeichen benennen und verwies nur generell darauf, dass auch die Sozialausgaben zu betrachten seien. Doch die Sozialausgaben nehmen ebenfalls laufend zu und sind seit Einführung der Schuldenbremse 2003 deutlich stärker gewachsen als die Volkswirtschaft. Die vom Bundesrat eingesetzte Expertengruppe war 2017 zum Schluss gekommen, dass die ungeplanten Bundesüberschüsse eher ein Indiz für zu hohe Steuern als für zu tiefe Bundesausgaben seien. IMF-Vertreterin van Elkan wollte sich in diesem Punkt auf Anfrage nicht festlegen.

Für höheres Rentenalter

Politische Reibungsfläche lieferte die IMF-Gruppe auch mit ihren Hinweisen zur Schweizer Altersvorsorge vor dem Hintergrund der ständig steigenden Lebenserwartung. Diese Hinweise lassen sich als Empfehlung zu einer Erhöhung des ordentlichen Rentenalters und zu einer Senkung des minimalen Umwandlungssatzes bei den Pensionskassen lesen. Doch mit solchen Erinnerungen an die Realitäten der Demografie und des Grundschulrechnens war bisher in der Schweiz keine Volksmehrheit zu gewinnen.

Schwierig wird es auch für die Urheber der Vollgeld-Initiative, eine Volksmehrheit zu erhalten; der Urnengang ist für den 10. Juni vorgesehen. Die Initianten, welche das Geldschöpfungsmonopol der Nationalbank ausweiten wollen, verweisen gerne auf ein Papier zweier IMF-Ökonomen von 2012. Diese hatten sich sehr positiv über Reformideen geäussert, die Ähnlichkeiten mit der Vollgeld-Initiative aufweisen. Rachel van Elkan macht am Montag aber deutlich, dass der Währungsfonds kein Freund der Vollgeld-Initiative ist, unter anderem weil Probleme in Sachen Kreditversorgung zu erwarten seien. Das besagte Papier von 2012 war laut van Elkan eine «theoretische» Arbeit gewesen, die praktische Schwierigkeiten ausgeblendet habe.