Günstiger tanken: Viktor Orban macht es möglich und stürzt den Benzinmarkt ins Chaos

Ungarns Ministerpräsident versuchte die Inflation zu bekämpfen, indem er bei Treibstoffen eine Preisobergrenze einführte. Damit hat er aber Turbulenzen ausgelöst. Auf die erste Intervention sind viele weitere Eingriffe gefolgt – andernfalls wäre der Markt zusammengebrochen.

Daniel Imwinkelried, Wien
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In Ungarn gilt beim Benzin ein Preisdeckel von rund 1 Franken 17. Dieser niedrige Peis ist nur auf den ersten Blick etwas Positives.

In Ungarn gilt beim Benzin ein Preisdeckel von rund 1 Franken 17. Dieser niedrige Peis ist nur auf den ersten Blick etwas Positives.

Anna Szilagyi / AP

Mit den Autofahrern will es sich kein Politiker verscherzen. Das gilt besonders in Zeiten, in denen der Benzin- und der Dieselpreis in die Höhe schiessen. Deshalb hat Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban bereits Mitte November 2021 bei diesen Treibstoffen eine Obergrenze pro Liter von 480 Forint (1 Franken 17) verfügt.

Den Markt an der Tankstelle hat das allerdings aus dem Gleichgewicht gebracht – immer wieder fehlt es an Treibstoffen, um die Nachfrage zu befriedigen. Orban und seine Entourage haben übersehen: Ein künstlich niedrig gehaltener Preis stimuliert die Nachfrage der Konsumenten und führt zu einer Verknappung des Angebots. Auf die erste Intervention im Winter sind deshalb weitere gefolgt, und die Eingriffe werden immer absurder.

Der niedrige Benzinpreis treibt den Tanktourismus an

In Osteuropa machte sich die Teuerungswelle bereits im vergangenen Herbst bemerkbar und somit etwas früher als im Westen des Kontinents. Für Orban kam diese Entwicklung zu einem schlechten Zeitpunkt, denn Anfang April standen Parlamentswahlen an. Der gewiefte Taktiker reagierte: Im Vorfeld der Wahlen verteilte er fleissig Geschenke, der Preisdeckel bei den Treibstoffen war eines davon.

Bereits im Mai wurde in Ungarn allerdings der Treibstoff vereinzelt knapp. Erdölimporteure beschränkten angesichts des niedrigen Preises die Einfuhr; gleichzeitig deckten sich die Ungarn fleissig mit Benzin ein, weil immer wieder Gerüchte aufflammten, dass der Preisdeckel angesichts der Kollateralschäden bald abgeschafft werde.

Zusätzlich angeheizt wurde die Nachfrage vom Tanktourismus. Slowakische und österreichische Autofahrer aus den Nachbarregionen reagierten rasch auf die Preisunterschiede und kauften den Sprit bevorzugt im Nachbarland.

So ernst wurde die Lage, dass die ungarische Regierung Ende Mai von einem Tag auf den anderen dem Tanktourismus einen Riegel vorschob: Von da an durften nur noch die Fahrzeughalter mit einem ungarischen Kennzeichen zum Vorzugspreis tanken.

Trotzdem beruhigte sich die Situation nicht. Zeitweise bildeten sich an den Tankstellen weiterhin Schlangen. Ende Juni verfügten die Tankstellenbetreiber MOL und OMV deshalb, dass die Autofahrer pro Tag maximal 50 Liter zum Vorzugspreis tanken dürfen – nur noch halb so viel wie zuvor.

Kritik eines Orban-Vertrauten

Der Preisdeckel habe den Konsum künstlich in die Höhe getrieben, klagte das Management des heimischen Erdölkonzerns MOL im jüngsten Semesterbericht. Tatsächlich ist der Benzinverbrauch im ersten Halbjahr in Ungarn im Vergleich mit dem Vorjahr um 20 Prozent gestiegen.

Kein Wunder, kommt Janos Nagy, Analytiker bei der Bank Erste Group, zum Schluss, dass die «nachfrageseitige Inflation in Ungarn auch sehr stark» sei. Der Preisdeckel hat also dazu geführt, dass die Ungarn den Konsum weniger eingeschränkt haben, als dies in einem Szenario ohne Obergrenze der Fall gewesen wäre. Nicht eruieren lässt sich jedoch, in welchem Umfang der Mehrkonsum auf den Tanktourismus zurückzuführen ist.

Gleichzeitig ist die leise Kritik von MOL politisch interessant. Der Firmenchef Zsolt Hernadi zählt zum engen Kreis der Geschäftsleute, die Orban um sich geschart hat. «Zum ersten Mal hat eine Person aus dem inneren Kreis an der Wirtschaftspolitik des Ministerpräsidenten Kritik geübt», sagt der Ökonom und Journalist Zoltan Farkas.

Aus der Sicht des teilstaatlichen Unternehmens MOL hat sich die Lage nicht entspannt. Nur so lässt es sich erklären, dass Regierung und die Mineralölbranche weiter am Markt herumschrauben. So dürfen seit neuerem nur noch Privatpersonen, Taxichauffeure und Landmaschinennutzer zum Vorzugspreis tanken.

Das führt zu eigenartigen Situationen. Der Ökonom Farkas sagt, er tanke für 480 Forint pro Liter; seine Frau dagegen, die mit einem Geschäftsauto für eine Pharmafirma unterwegs sei, müsse den Marktpreis von rund 650 Forint bezahlen.

Ein Schwarzmarkt für Benzin entsteht

Und seit einigen Tagen gilt die auf den ersten Blick sonderbare Regel, wonach Autofahrer nur einmal pro Tag an einer MOL-Tankstelle zum Vorzugspreis Sprit kaufen dürfen. Wer kommt überhaupt auf die Idee, den Benzintank mehrmals am Tag zu füllen?

Ein Mitarbeiter eines in Ungarn tätigen Mineralölkonzerns vermutet, dass sogenannte Arbitragegeschäfte ausgeufert seien: Privatpersonen hätten das Benzin für 480 Forint pro Liter erworben und es dann für etwas weniger als den Marktpreis verhökert. Offenbar haben Mengen- und Preisbeschränkungen auch in Ungarn eine Mangelwirtschaft und einen Schwarzmarkt geschaffen. Das kenne er aus der Zeit von vor 1989, sagt ein Journalist spöttisch im Gespräch.

Mehr von Daniel Imwinkelried (imr)

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