Noch mehr Roboter und vollautomatische Produktionsstrassen: Die Pandemie verspricht Automatisierungsspezialisten wie ABB und Siemens glänzende Geschäfte

Das Coronavirus hat vielen Industriebetrieben schmerzlich vor Augen geführt, welche Risiken der Faktor Mensch birgt. Viele Unternehmen dürften – auch aus Kostengründen – künftig noch stärker auf eine Automatisierung ihrer Produktion und Logistik setzen.

Dominik Feldges
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Roboter stehen längst nicht mehr nur in Autofabriken im Einsatz, sondern finden in immer mehr Industriebranchen Verwendung.

Roboter stehen längst nicht mehr nur in Autofabriken im Einsatz, sondern finden in immer mehr Industriebranchen Verwendung.

Roni Rekomaa / Bloomberg

Ein Roboter braucht sich nicht vor einer Ansteckung mit Sars-CoV-2 zu fürchten. Viele Industrieunternehmen wären wohl schon zu Beginn der Pandemie froh gewesen, sie hätten mehr dieser Automaten im Einsatz gehabt. Stattdessen mussten und müssen sie immer noch genau darauf achten, dass ihre Produktionsmitarbeiter, die sich anders als Büroangestellte nicht ins Home-Office schicken lassen, genügend Abstand zueinander halten. Fällt eine grössere Zahl von ihnen aus, weil sie sich beispielsweise in Quarantäne begeben müssen, bringt dies unweigerlich Schichtpläne durcheinander. Manch ein Patron konnte davon in den vergangenen Monaten ein Lied singen.

Absicherung gegen Personalausfälle

Wer seine Produktion technisch noch nicht umfassend aufgerüstet hat, dürfte es nun erst recht tun. Die meisten Branchenexperten sind sich einig, dass Industriefirmen aufgrund der Erfahrungen während der Pandemie künftig noch stärker auf die Automatisierung und Digitalisierung ihrer Geschäftsprozesse setzen werden. Im Rahmen einer globalen Erhebung der Unternehmensberatung McKinsey & Co. gaben vor kurzem zwei Drittel der befragten Unternehmen an, ihre Ausgaben für die Automatisierung verdoppeln zu wollen.

Der Einsatz von Robotern sowie weiteren Systemen zur Automatisierung ermöglicht Firmen nicht nur, sich gegen Ausfälle in ihrer Belegschaft abzusichern. Derartige Anlagen erhöhen auch die Flexibilität bei plötzlichen starken Nachfragesteigerungen. Von solchen waren seit dem Ausbruch der Pandemie diverse Industriefirmen betroffen - von Herstellern medizintechnischer Güter über die Anbieter von Laptops fürs Arbeiten zu Hause bis hin zu den Produzenten von Reinigungsmitteln und Toilettenpapier.

Auch im Handel erlebten viele Unternehmen, vor allem solche mit einem starken Standbein im E-Commerce, auf einmal Nachfragespitzen, die es so zuvor noch nie gegeben hatte. Diese Firmen dürften künftig ebenfalls stark in die weitere Automatisierung ihrer Infrastruktur investieren.

Unterstützung beim Reshoring

Wie die International Federation of Robotics (IFR) in Erinnerung ruft, spielen besonders Roboter nach wie vor eine zentrale Rolle bei der Senkung von Kosten: «Sie ermöglichen es Unternehmen, Produkte rasch und kostengünstig herzustellen.» Der Branchenverband der Roboterhersteller schreibt ihnen vor diesem Hintergrund auch eine Schlüsselrolle bei der Erhaltung von Produktionstätigkeiten in Industriestaaten oder sogar beim Zurückholen solcher Aktivitäten aus Niedriglohnländern (Reshoring) zu.

Von Letzterem ist allerdings schon länger die Rede, passiert ist bis anhin in den wenigsten Industriezweigen viel. Nach Einschätzung vieler Experten könnten Erfahrungen aus der Pandemie aber auch diesbezüglich für einen Schub sorgen. Die Verletzlichkeit globaler Lieferketten ist vielen Unternehmen verstärkt bewusst geworden. So könnten sich manche Firmen fragen, ob sie sich weiter auf einen einzelnen Lieferanten vor allem aus China verlassen wollen oder ob sie nicht besser auf ergänzende Bezugsquellen in Europa und den USA achten.

Ein jahrelanger Boom?

Der Markt für Roboter sowie die meisten anderen Lösungen für die Automatisierung von Fabriken wird von wenigen grossen Anbietern kontrolliert. Zu ihnen zählen aus den USA Firmen wie Rockwell Automation und Emerson. Gewichtige europäische Anbieter sind Schneider, Siemens und ABB. Zudem spielen die beiden japanischen Konzerne Fanuc und Keyence eine bedeutende Rolle.

Die gesamte Branche erfreute sich in den vergangenen Monaten an der Börse einer deutlichen Wertsteigerung. Das einflussreiche US-Anlegermagazin «Barron’s» hatte schon im Oktober die Erwartung vertreten, dass Rockwell noch während Jahren von einem industrieweiten Automatisierungsboom profitieren werde.

Auch die Analytiker der Marktforschungsfirma Bloomberg Intelligence sind der Ansicht, dass der Branche ein ausgedehnter Aufschwung bevorsteht. Dieser habe das Potenzial, sich über 2021 hinaus zu erstrecken, meinen sie, denn viele Firmen würden wohl ihre Lehren aus den Produktionsausfällen während der Pandemie ziehen und beschleunigt Massnahmen zur Automatisierung ergreifen.

Musik spielt primär in China

Die Investitionspläne dürften zudem durch stark gestiegene Arbeitskosten in Schwellenländern vorangetrieben werden. So geben die Branchenbeobachter von Bloomberg Intelligence zu bedenken, dass sich die Löhne von Produktionsmitarbeitern in China während der vergangenen zehn Jahre verdrei- und in Indien sogar vervierfacht hätten.

Wie stark der Bedarf an Automatisierung vorab in China ist, zeigt sich in den Marktstatistiken der IFR. So fanden auch 2019 mit Abstand am meisten Roboter im Reich der Mitte einen Käufer. Insgesamt waren es über 140 000 bzw. fast 38% der weltweit verkauften Stückzahl von gut 370 000. Fünf Jahre zuvor waren erst knapp 60 000 dieser Produktionshelfer in China abgesetzt worden.

Die Volksrepublik rangiert mittlerweile auch mit grossem Vorsprung an der Spitze, was die Anzahl sämtlicher installierter Industrieroboter betrifft. Fast 800 000 von weltweit 2,7 Mio. Stück stehen in chinesischen Fabriken im Einsatz. Auf Japan verteilen sich 355 000, auf Deutschland gut 220 000 und auf die USA knapp 300 000 Industrieroboter.

Der Roboterbestand wächst und wächst

Anzahl installierte Systeme weltweit (in Millionen)

Allerdings bildete sich bereits 2019 der weltweite Absatz von Robotern auf hohem Niveau zurück. Der Grund dafür war vor allem die schon damals schwächelnde Automobilindustrie. Für die meisten Anbieter ist der Autosektor noch immer ein zentraler Absatzmarkt, obschon sich Roboter inzwischen auch in zahlreichen Werken anderer Industriebranchen wie der Elektronik-, der Nahrungsmittel- oder sogar der Bekleidungsindustrie finden. In der Sparte Robotik & Fertigungsautomation von ABB trägt die Autobranche laut Bloomberg Intelligence rund 28% zum Umsatz bei, im Geschäftsbereich Digital Industries von Siemens sind es 20% und in der gesamten Rockwell-Gruppe ungefähr 10%.

Welche Auswirkungen die Coronavirus-Pandemie mit ihren vielen Einschränkungen kurzfristig auf die Gesamtnachfrage nach Robotern haben könnte, wollten Vertreter der IFR Ende vergangenen Septembers noch nicht beziffern. Der Verband äusserte indes die Ansicht, dass eine Erholung des Geschäfts sich womöglich bis 2022 oder sogar bis 2023 verzögern werde.

Zu wenig qualifizierte Anwender

Trotz allen hohen Erwartungen könnte die Branche damit gezwungen sein, vorerst noch mit einer gewissen Durststrecke fertigzuwerden. Ein weiteres Problem für die Anbieter von Automatisierungslösungen ist die Knappheit von Fachkräften. Es fehlt an Leuten, die mit komplexen Produktions- und Planungssystemen umzugehen wissen. Berater von Deloitte weisen in ihrem Ausblick für 2021 darauf hin, dass allein in den USA seit langem Monat für Monat rund 400 000 offene Stellen in der Industrie ausgeschrieben seien. Sie plädieren dafür, Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, in Weiterbildungen zusätzliche Qualifikationen zu erwerben. Anderenfalls drohten viele Betriebe an den Anforderungen des digitalen Wandels zu scheitern.

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