Gastkommentar

Ein handelspolitisches Minenfeld

Als China 2001 der WTO beitrat wurde dem Land zugesichert, dass es nach 15 Jahren de jure den Status einer Marktwirtschaft erlangen würde. Nun, da diese 15 Jahre vorbei sind, stehen EU und USA vor einem Dilemma.

Georg Erber
Drucken
Georg Erber. (pd)

Der Beitritt Chinas WTO im Jahr 2001 wurde lange in seiner Tragweite für die Weltwirtschaft unterschätzt. Das änderte sich jedoch, als China begann, die Weltmärkte mit seinen Produkten zu erobern, Jahr für Jahr hohe Aussenhandelsüberschüsse erzielte und zur Werkstatt der Welt aufstieg. Im Zuge der WTO-Verhandlungen wurde China zudem zugesichert, dass es nach einer Übergangsfrist von 15 Jahren de jure den Status einer Marktwirtschaft erlangen würde.

Strafzölle nicht mehr so einfach

Diese Zusicherung hat für die handelspolitischen Auseinandersetzungen, die folgen werden, eine herausragende Bedeutung, da bei Streitigkeiten nicht wie bisher Strafzölle auf der Basis verhängt werden können, die auf einem Vergleich mit Produktionskosten mit Ländern ähnlichen Entwicklungsstands beruhen. Ein Einzelnachweis anhand von Daten über die Produktionskosten chinesischer Hersteller war bisher nicht erforderlich.

Immer wenn es zu Auseinandersetzungen über Dumpingpreise chinesischer Produkte kam, konnten Länder wie beispielsweise die USA oder auch die EU sich auf Preisvergleiche mit Produktionskosten anderer ausländischer Hersteller – wie beispielsweise Indien oder Thailand – berufen und diese als Massstab für die Feststellung unlauteren Preiswettbewerbs heranziehen. Würde ab dem kommenden Jahr diese Möglichkeit entfallen, dann kämen auf die USA und EU insbesondere Beweisnotprobleme zu.

Der Zugang zu solchen Informationen chinesischer Hersteller ist problematisch. Hinzu kommt, dass weiterhin ein grosser Teil der chinesischen Unternehmen sich in Staatseigentum befindet oder indirekt durch den Staat kontrolliert wird. Mithin ist China noch keineswegs eine de facto Marktwirtschaft im Sinne westlicher Länder, d.h. die Trennung von Staat und Wirtschaft ist nicht soweit fortgeschritten, wie man sich das zum Zeitpunkt des Beitritts Chinas zur WTO erhofft hatte.

USA und EU im Dilemma

Nun steht man daher seitens der USA und EU vor einem Dilemma. Man hatte China damals zugesichert, dass es nach Ablauf der Übergangsfrist den de jure Status einer Marktwirtschaft automatisch erhalten sollte. Würde man diese Vertragsvereinbarung im kommenden Jahr erfüllen, dann droht eine Eskalation der Konflikte im Handel mit China wegen Preisunterbietungen. Das Verhängen von Strafzöllen in der bisherigen Weise wäre jedoch nicht mehr möglich, d. h. man müsste den preislichen Verdrängungswettbewerb chinesischer Hersteller gegen solche in den USA und der EU hinnehmen.

Nicht zuletzt wegen dieser Sorge um die heimische Wirtschaft hat sich das EU-Parlament im Mai diesen Jahres dafür ausgesprochen, China den Status einer Marktwirtschaft bei der WTO zu verweigern. Dies will die chinesische Regierung jedoch keineswegs hinnehmen. Schon die vorangegangene chinesische Regierung von Hu Jintao und Wen Jiabao hatte nichts unversucht gelassen, um vorzeitig die Anerkennung als Marktwirtschaft seitens der WTO zu erreichen. Dies konnte bisher aufgrund der Rechtslage verhindert werden.

Wie eine Statistik der WTO zeigt, sind die handelspolitischen Konflikte zwischen China einerseits und den USA, der EU und Japan andererseits jene, die die WTO besonders heftig beschäftigten. Insbesondere wenn massive globale Überkapazitäten in bestimmten Wirtschaftszweigen auftreten, wird der Ruf nach Schutz vor unlauterem Wettbewerb laut. Beispiele sind die Auseinandersetzung um Photovoltaik-Panels oder aktuell um Produkte der Stahlindustrie.

Wer die Last von Chinas Hyperwachstum trägt

Das weltweit nachlassende Wirtschaftswachstum führt bei nachlassender Nachfrage nach zahlreichen Produkten dazu, dass sich der preisliche Wettbewerb zwischen den jeweiligen Herstellern intensiviert, um die vorhandenen Kapazitäten auslasten zu können. Misslingt dies, sind schmerzhafte Anpassungen unvermeidlich, wobei Produktionskapazitäten abgebaut und Arbeitsplätze verloren gehen. China steht mit einer Investitionsquote von über 40% (in etwa doppelt so hoch wie jene in den westlichen Industrieländern) unter dem Verdacht, unter staatlicher Regie systematisch Überkapazitäten zu produzieren.

Streudiagramm der durchschnittlichen Investitionsquoten und der realen Wirtschaftswachstumsraten des Bruttoinlandprodukts ausgewählter Länder für den Zeitraum 1991-2011. (Quelle: IMF )

Streudiagramm der durchschnittlichen Investitionsquoten und der realen Wirtschaftswachstumsraten des Bruttoinlandprodukts ausgewählter Länder für den Zeitraum 1991-2011. (Quelle: IMF )

Wenn der heimische Markt diese Kapazitäten nicht auslasten kann, dann werden diese vermutlich auch unter Hinnahme von Verlusten zur Erwirtschaftung von Deckungsbeiträgen durch Exporte in die übrige Welt ausgelastet. Chinas exportgetriebene Hyperwachstum ging damit tendenziell zu Lasten der übrigen Welt, insbesondere der traditionellen Industrieländer. Deren Investitionsschwäche wäre mithin nur das Spiegelbild einer Überinvestition in China.

Neue Rivalität um Zukunftsmärkte

Solange China sich auf Wirtschaftszweige fokussierte, die weniger technologieintensiv waren, bestand eher eine hohe Komplementarität zwischen den Industrieländern und dem asiatischen Giganten. Die Industrieländer forcierten ihren wirtschaftlichen Strukturwandel zu High-Tech-Industrien und überliessen China jene Märkte, die weniger technologieintensiv waren, mehr oder minder freiwillig. Nun will China aber diese Technologielücke zum Westen innerhalb der nächsten Jahre schliessen, d.h. aus einer Komplementarität der Handelsstrukturen entwickelt sich eine zunehmende Substitutionalität. China will nicht Opfer der Middle-Income-Trap werden, d.h. in seiner bisher erreichten Position als Land mit mittleren Einkommen verharren. Hierzu will man die bisher von den westlichen Industrieländern besetzten Märkte auch für chinesische Hersteller erobern. Damit entsteht eine neue Rivalität um Zukunftsmärkte.

Die EU als weltweit immer noch grösster Binnenmarkt nimmt hierbei eine besondere Rolle für die chinesische Wirtschaftsentwicklung ein. Chinas Strategie der neuen Seidenstrasse, d.h. den Ausbau der Handelswege innerhalb des eurasischen Kontinents massiv zu entwickeln, wird auch die Transportkosten aus und nach China weiter nach unten drücken, d.h. allein aufgrund dieser Entwicklung werden Märkte in Europa, die vorher aufgrund hoher Transportkosten und langer Lieferzeiten aus China eher abgeschnitten waren, für chinesische Hersteller contestable.

Dies alles findet in einer Zeit statt, in der der Welthandel deutlich an Schwung verloren hat. Statt wie bisher doppelt so rasch wie die Weltwirtschaft zu expandieren, wächst er nur noch in etwa gleich schnell. Dass sich diese Situation rasch ändern könnte, wird zunehmend in Frage gestellt. Die globale Wachstumsschwäche koinzidiert mit einer noch dramatischeren Wachstumsschwäche des Welthandels.

Handelswege von Produkten des verarbeitenden Gewerbes zwischen ausgewählten Ländern nach Art der Produktgruppen und nach dem Skill-Gehalt im Jahr 2011. (Quelle: 2013 - Global Manufacturing Competitiveness Index, Deloitte, S. 25.)

Handelswege von Produkten des verarbeitenden Gewerbes zwischen ausgewählten Ländern nach Art der Produktgruppen und nach dem Skill-Gehalt im Jahr 2011. (Quelle: 2013 - Global Manufacturing Competitiveness Index, Deloitte, S. 25.)

All dies trägt dazu bei, dass es zu einer Neubewertung in den USA und der EU hinsichtlich der Handelsbeziehungen mit China gekommen ist.

Zwar hat man China seitens des Internationale Währungsfonds (IMF) im vergangenen Jahr den Status einer Weltreservewährung zuerkannt, aber damit wird es auch insbesondere für die USA und die EU schwieriger, China wegen einer Unterbewertung seiner Währung gegenüber den anderen Weltreservewährungen unter Druck zu setzen. Eine Yuan-Aufwertung des realen effektiven Wechselkurses könnte ja als Mittel gegen eine zu hohe preisliche Wettbewerbsfähigkeit der chinesischen Wirtschaft gegenüber der übrigen Welt eingesetzt werden. Geht der Wechselkurs jedoch in die andere Richtung, dann tritt eben genau das Gegenteil ein.

Man beobachtet daher derzeit mit Argusaugen die Wechselkursentwicklung des chinesischen Yuan. Die USA haben China bereits seit langem wiederholt als Currency Manipulator inoffiziell angeprangert. Die derzeitige Debatte der US-Präsidentschaftskandidaten lässt auch Zweifel aufkommen, ob die USA im kommenden Jahr nicht noch deutlich protektionistischer als bisher werden, um die heimische Beschäftigung gegen – aus ihrer Sicht – unfairen Wettbewerb zu schützen. China spielt dabei eine Schlüsselrolle.

Da Chinas Wirtschaft seit etwa zwei Jahren insgesamt deutlich schwächer als in den zurückliegenden Jahren wächst und das bisherige Wachstumsziel von mindestens 7% derzeit auch aus Sicht der chinesischen Zentralregierung unerreichbar scheint, besteht das Risiko, dass die fortschreitende Wachstumsverlangsamung der chinesischen Wirtschaft tendenziell durch eine erneute Steigerung der chinesischen Exporte gemindert werden soll. Da China zudem den Strukturwandel der eigenen Wirtschaft auf eine Konvergenz mit denen der bisher führenden westlichen Industrieländern forciert, kommen eben genau diese Wirtschaftszweige unter absehbaren zunehmenden Konkurrenzdruck aus China.

Angst vor einseitiger Abhängigkeit

Deutschland als grösster Handelspartner der EU mit China nimmt dabei eine Schlüsselstellung ein. Man war aufgrund seiner Spezialisierung auf Personenwagen im hochpreisigen Segment und des Maschinenbaus einer der grossen Profiteure des Investitionsbooms in China. Nun zeigt sich jedoch die Kehrseite in Form einer nachlassenden Investitionstätigkeit dort und einer wachsenden Sättigung des PKW-Marktes.

Zudem verfolgt die chinesische Regierung eine Industriepolitik, die Indigenous Innovation heimischer Produzenten verfolgt, um vom Technologietransfer aus dem Ausland unabhängiger zu werden. Soweit die technologische Lücke nicht rasch durch eigene Innovationsanstrengungen geschlossen werden kann, soll dies durch den Aufkauf von Technologiefirmen im Ausland erfolgen. Das nährt aber dort die Sorge, dass ein Aushöhlen der einheimischen Wissensbasis erfolgt, die langfristig die internationale Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Wirtschaft gefährdet.

In Deutschland löst das Übernahmeangebot eines chinesischen Herstellers des deutschen Roboterherstellers Kuka entsprechende Sorgen aus, zumal eine Reziprozität für den Zugriff auf chinesische Firmen keineswegs garantiert ist. Man befürchtet so in eine einseitige Abhängigkeit zu geraten. Während China den Zugriff ausländischer Investoren auf chinesische High-Tech-Firmen beschränkt, ist dies derzeit bisher in den westlichen Industrieländern in wesentlich geringerem Masse der Fall.

Plädoyer für ein Investitionsschutzabkommen

Von daher ist es nicht verwunderlich, dass die Debatte über ein Investitionsschutzabkommen zwischen China und der EU an Aktualität gewonnen hat. Zum einen sehen viele ausländische Investoren ein wachsendes Risiko ihrer Auslandsinvestitionen in China und gleichzeitig fordern sie, einen industriepolitisch motivierten Zugang zu chinesischen High-Tech-Märkten aufzubauen, bevor man im Sinne der Reziprozität dies auch chinesischen Investoren einräumen möchte.

Es bedarf dringend vertrauensbildender Massnahmen, so dass bestimmte wirtschaftspolitische Entscheide, die zu einer Eskalation der bereits jetzt bestehenden Spannungen in den Wirtschaftsbeziehungen führen könnten, auf absehbare Zeit tabu bleiben: Dazu zählen Wechselkursmanipulationen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Wirtschaft oder auch ein Staatsinterventionismus, der die heimische Wirtschaft durch Subventionen den Export auf Auslandsmärkten zu erleichtern versucht. Es braucht besseren Schutz als bisher von Auslandsinvestitionen, d.h. einen verbesserten Marktzugang zu bisher geschützten ausländischen Märkten, mehr Rechtssicherheit, verbesserter Schutz von Rechten an geistigem Eigentum, etc. Hierzu sollten möglichst bald Verhandlungen zwischen der EU und China über ein Investitionsschutzabkommen in Gang gesetzt werden.

Koordinierter Abbau von Kapazitäten

In Märkten mit globalen Überkapazitäten wäre eine Koordination des Kapazitätsabbaus sinnvoll, um ruinöse Preiswettbewerbe zum Arbeitsplatzerhalt der heimischen Industrie zu verhindern. China hat bereits signalisiert, dass es im Bereich der Kohle- und Stahlindustrie zu einem durchaus schmerzhaften Kapazitätsabbau bereit ist. Im Bereich Photovoltaik hat man sich ja auch zwischen der EU und China auf eine Verhandlungslösung einigen können, der sowohl in Europa als auch in China schmerzhafte Anpassungen einschliesslich Unternehmensinsolvenzen zur Folge hatte. Nur durch eine pragmatische Handelspolitik mittels Kompromissen von beiden Seiten kann ein Ausbrechen von wachsenden Handelskonflikten verhindert werden.

Allerdings setzt dies eben entsprechende Kompromissbereitschaft beider Seiten voraus. Nur wenn diese auch von chinesischer Seite praktiziert wird, dürfte China die de jure Anerkennung als Marktwirtschaft bei der WTO erlangen können. Ein Pochen auf vertragliche Vereinbarungen, die vor 15 Jahren betroffen wurden, dürfte eher kontraproduktiv sein.

Es geht ja nicht vorrangig um die Erzwingung von Verträgen, sondern um ein positives wirtschafts- und handelspolitisches Klima der Handelspartner untereinander. Ohne den Geist einer gemeinsamen Bereitschaft, kooperative Lösungen in einem zugegeben schwierigeren weltwirtschaftlichen Umfeld zu erreichen, dürfte die derzeitige Lage sich eher in die falsche Richtung entwickeln. Eine solche Eskalation dürfte am Ende beiden Seiten schaden.

Wichtige Rolle für Deutschland

Deutschland als wichtigster Handelspartner der EU mit China sollte hier möglichst als Moderator aktiv werden. Durch die absehbaren zunehmenden Spannungen zwischen den USA und China ist dies eine sehr schwierige Aufgabe, denn Deutschland sitzt zwischen beiden Stühlen, da sowohl die USA als auch China seine wichtigsten Handelspartner ausserhalb der EU sind. Wenn sich zwei streiten, freut sich nicht immer unbedingt der Dritte.

Georg Erber arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).