«Die Unternehmen haben es sich selbst zuzuschreiben, dass die Generation Z so hohe Ansprüche an sie stellt», sagt der Generationenforscher

Rüdiger Maas befragt Menschen jeden Alters. Er hat gelernt: Die Alten überhäufen die Jungen mit Angeboten, die sie gar nicht brauchen. Seine Daten zeigen auch, was Chefs besser machen können.

Leon Igel 6 min
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Im Café treffen die verschiedenen Generationen friedlich aufeinander, am Arbeitsplatz herrscht jedoch Unverständnis übereinander.

Im Café treffen die verschiedenen Generationen friedlich aufeinander, am Arbeitsplatz herrscht jedoch Unverständnis übereinander.

Boris Bürgisser / LMZ

Sein Praktikant kam am ersten Tag zu spät, ass die Pralinés für die Kunden leer und verzog sich dann ins Home-Office. Der Chef, Rüdiger Maas, dachte über dieses Verhalten lange nach. Der Praktikant war 25 Jahre alt, damit ein Vertreter der Generation Z. Maas ist 45, Generation X. Und er ist Generationenforscher.

Heute, sagt er, wisse er, wo die Probleme zwischen jüngeren und älteren Mitarbeitern liegen. Maas hat ein Buch über die «Generation arbeitsunfähig» geschrieben, wie er sie nennt. Die Formulierung ist reisserisch. Doch Maas’ Argumente sind versöhnlich. Ja, viele der jungen Leute seien faul, verwöhnt oder fordernd. Doch sie seien von den Älteren dazu gemacht worden. Maas sagt: «Die Unternehmen haben es sich selbst zuzuschreiben, dass die Generation Z so hohe Ansprüche an sie stellt.»

Maas leitet ein privates Forschungsinstitut in Deutschland. Seit 2017 befragen er und sein Team alle zwei Monate über 2000 Deutsche aus allen Altersgruppen zu Einstellungen, Werten und Verhalten. Während der Pandemie führte er die repräsentativen Umfragen sogar alle zwei Wochen durch. In regelmässigen Abständen befragen sie auch Menschen aus Österreich und der Schweiz.

Die Älteren verstehen die jungen Leute falsch

Maas hat damit eine ganze Menge Daten gesammelt. Sie zeigen: Die Alten haben ein Bild von der Jugend, das wenig mit dem zu tun hat, was diese über sich selbst sagt. Der Forscher sagt: «Die gängigen Narrative über die Generation Z stimmen nicht.»

Ein Beispiel: Social Media. Instagram, Tiktok und Co. sind zum festen Bestandteil im Leben der jungen Leute geworden. Für die Älteren scheint es, als wären die Jüngeren vollkommen von den Erregungsspiralen der sozialen Netzwerke eingenommen. Als würden sie die digitale über die analoge Welt stellen.

Daraus folgern die Unternehmen, dass sie die jungen Menschen nur über die sozialen Netzwerke erreichen können. So erstellen sie Tiktok-Videos, um sich beliebt zu machen. Weil auf Tiktok emotionale und witzige Inhalte besonders beliebt sind, imitieren die Unternehmen die flapsige Art der jungen Influencer.

Generationenforscher Rüdiger Maas.

Generationenforscher Rüdiger Maas.

PD

Doch die haben in Maas’ Umfragen gesagt: Ein Chef, der in Tiktok-Videos tanze, sei «cringe». Also peinlich. Besser fänden sie ein persönliches Kennenlernen, zum Beispiel an einem Tag der offenen Tür.

«Nicht alles im Leben der jungen Menschen dreht sich um die Logik der sozialen Netzwerke», sagt Maas. Wenn sie eine Arbeit suchen, gehe es ihnen um die Stelle, die Kollegen, das Betriebsklima. Nicht um den Coolness-Faktor des Chefs.

«Arbeitgeber biedern sich den jungen Menschen an – und vergessen dabei ihre eigene Position», sagt er. Das sei ein grundlegendes Problem vieler Unternehmen im Umgang mit den Jungen, was sich auch an anderer Stelle zeige.

Das Überangebot verwöhnt die Generation Z

Früchtekorb, Tischfussball, Hängematte. Mehr Wochenende, mehr Ferien, mehr Geld. In Zeiten des Fachkräftemangels lassen sich Chefs viel einfallen, um junge Bewerber für sich zu gewinnen. Ein Fehler, sagt Maas.

Die vielen Schmeicheleien der Chefs würden ihnen suggerieren, dass sie unglaublich wertvoll seien. Und dass Arbeiten so unangenehm sei, dass man Geschenke dafür anbieten müsse. Maas sagt: «Der Fokus der Arbeitgeber auf Zusatzleistungen entwertet die Arbeitsstelle an sich.»

Es gibt Unternehmen, die bieten den Bewerbern Geschenke an, wenn sie zum Vorstellungsgespräch kommen. Maas fragt diese Unternehmer: Wer würde in ein Restaurant gehen, das einem Geld bietet, wenn man dort isst? Wer sich zu billig verkaufe, dürfe sich über eine mangelnde Nachfrage nicht wundern. Oder darüber, dass er nur ungeeignete Kandidaten finde.

Denn wer bloss mit Zusatzleistungen werbe, ziehe auch nur jene an, die sich dafür interessieren. Firma, Stelle? Völlig egal! Hauptsache, das Angebot stimmt. Ein Unternehmen mache sich damit austauschbar.

«Die meisten Unternehmen haben den Fachkräftemangel noch nicht verstanden», sagt Maas. Sie würden Personal suchen wie früher, als das Wort «Fachkräftemangel» noch gar nicht existierte. Unternehmen luden sich ein paar Kandidaten aus Hunderten von Bewerbungen ein und suchten sich dann den besten aus.

Heute bekommen manche Unternehmen kaum Bewerbungen. Doch sie machen es noch gleich: Sie laden Kandidaten ein und nehmen davon den besten. Auch wenn es der Beste unter Schlechten ist. «Arbeitgeber müssen bei der Suche nach Bewerbern auf Qualität statt auf Quantität setzen», sagt Maas. Im Zweifel heisse dies, eine Stelle auch einmal unbesetzt zu lassen. So lange, bis der richtige Bewerber komme.

Willst du gelten, mach dich selten

Lieber keinen als irgendeinen. Ist das die Antwort auf den Fachkräftemangel? Ja, schon, sagt Maas. Wenn bloss irgendwer die freie Stelle bekomme, demotiviere dies das ganze Team. Warum sollten sich erfahrene Kollegen überhaupt noch anstrengen, wenn der unfähige Kollege am Schreibtisch nebenan ebenso gut bezahlt werde?

Maas’ Idee, bei Personalknappheit an hohen Ansprüchen festzuhalten, entspringt einer alten Denkschule: Willst du gelten, mach dich selten! Wer seine Stelle besonders erscheinen lasse, spreche jene Menschen an, die Spass an der Tätigkeit an sich haben. Und nicht nach der Hängematte im Pausenraum lechzen.

Maas hat einmal ein Unternehmen beraten, das seine Praktikumsplätze attraktiver vermarkten wollte. Er empfahl dem Unternehmen, mit dem härtesten Praktikum Deutschlands zu werben. Das Unternehmen adressierte so vor allem leistungsstarke Kandidaten – und kitzelte deren Ego. Die Bewerberzahlen vervielfachten sich.

Mit dieser Form der Ansprache zeigte das Unternehmen den jungen Mitarbeitern noch etwas anderes: Sie dürfen sich dort entwickeln, sie können von den älteren Kollegen und deren Erfahrungen lernen. «Heute sehen sich viele Erwachsene als Berater der Jungen», sagt Maas, «als Wissenspartner auf Augenhöhe.» Dabei würden sie vergessen, dass junge Menschen in vielen Dingen einfach weniger wüssten. Maas sagt: «Ältere müssen wieder lernen, eine Vorbildfunktion in der Gesellschaft einzunehmen.»

Jüngere erwarten mehr von ihrem Chef als Ältere

Die Ergebnisse seiner Umfragen legen nahe, dass die jungen Menschen genau das möchten. «Junge Mitarbeiter legen besonders viel Wert auf eine gute Führung», sagt Maas. Auch Ältere tun das, doch sie haben ein anderes Verständnis davon.

Früher bekam oft derjenige den Chefposten, der sich im Unternehmen besonders verdient gemacht hatte. Ganz egal, ob er cholerisch oder menschenscheu war. Um soziale Fähigkeiten ging es nicht. Für die Angestellten hiess das: Ein Vorgesetzter, der zugänglich ist und nicht schreit, ist schon ein guter Chef.

Junge Arbeitnehmer hätten hingegen klare Vorstellungen. Sie würden etwa erwarten, dass man ihnen zuhört, ihre Stärken und Schwächen erkennt und sie in ihrer Entwicklung fördert. «Arbeitgeber sollten ihre jungen Angestellten ernst nehmen», sagt Maas. Das heisse, dass ein Chef sich in Zukunft verstärkt um seine Mitarbeiter kümmern müsse. Maas sagt: «Die Teams pro Vorgesetzten müssen kleiner werden, mehr als fünf oder sechs Leute geht nicht.»

Maas fordert, das mittlere Management auszubauen. Es ist das Gegenteil dessen, was derzeit in den Firmen geschieht. Die jungen Menschen, sagt Maas, würden jetzt etwas einfordern, wofür die vorherigen Generationen die Grundlagenarbeit geleistet hätten: Unternehmen, die auf jeden Mitarbeiter blicken. Jenseits des Geldes. Und diesseits der guten Arbeitsatmosphäre.

«Die Arbeitgeber müssen sich auf die Generation Z einlassen. Denn wenn sie diese nicht verstehen, haben sie bei den künftigen Generationen überhaupt keine Chance mehr», sagt Maas. Im Generationenalphabet kommt nach dem «Z» übrigens das Alpha. Also all jene, die seit 2010 geboren wurden. Auch über die hat Maas ein Buch geschrieben, er nennt sie «Generation lebensunfähig». In den kommenden Jahren werden sie den Arbeitsmarkt betreten.

Rüdiger Maas: Generation arbeitsunfähig. Verlag Goldmann, München 2024, 320 S., Fr. 34.90.

NZZ Live-Veranstaltung: Gen Z – überbehütet, selbstbestimmt und unterschätzt?
Ambivalent und schwer greifbar sind die Vertreterinnen und Vertreter der «Digital Natives». Die jüngste Generation ist vielen ein Rätsel. Was bewegt die Generation Z wirklich, und wohin will sie?
13. Mai 2024, 19:30 Uhr, Bernhard Theater, Zürich
Tickets und weitere Informationen finden Sie hier.

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