Zu teure Eier: Ungarns Ministerpräsident Orban führt immer mehr Preisobergrenzen ein und zersetzt so die Marktwirtschaft

Wie andere osteuropäische Länder leidet Ungarn unter einer besonders hohen Inflation. Viktor Orban bekämpft sie mit immer mehr Preisobergrenzen. Die Märkte reagieren nach Lehrbuch: Es entsteht eine Mangelwirtschaft.

Daniel Imwinkelried, Wien
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In Ungarn gibt es nun auch für Eier eine Preisobergrenze.

In Ungarn gibt es nun auch für Eier eine Preisobergrenze.

Attila Volgyi / Imago

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hat es wieder getan. In den vergangenen zwölf Monaten sind Eier und Kartoffeln im Land so teuer geworden, dass der Politiker glaubt, erneut zum Mittel der Preisobergrenze greifen zu müssen. So ist der Eierpreis vor einer Woche auf Anordnung der Regierung auf dem Stand von Ende September eingefroren worden. Dadurch ist das Produkt um 25 Prozent günstiger geworden. In den vergangenen zwölf Monaten hatte es bei Eiern einen Preisanstieg von 90 Prozent gegeben.

Extremer Preisanstieg bei Lebensmitteln

In Ungarn ist die Inflation so hoch wie fast nirgendwo sonst in Europa. Im Oktober lag sie bei 21 Prozent. Dramatisch ist der Preisanstieg bei den Lebensmitteln. Er beträgt 40 Prozent, und das trifft eine relativ arme Bevölkerung wie jene von Ungarn besonders hart.

Hohe Teuerung in Osteuropa

Jahresinflation September, in Prozent

Die Gründe für die hohen Preise sind vielfältig. So hat der Krieg in der Ukraine die Energie- und Futterpreise angeheizt, und diese Teuerung schlägt auf immer mehr Konsumprodukte durch. In Ungarn herrschte im Sommer aber auch Dürre, was die Futtermittel zusätzlich verteuerte.

Orban kämpft zunehmend verzweifelt gegen die ausufernde Teuerung, bevorzugt mit dem unter Ökonomen höchst umstrittenen Instrument der Preisobergrenze. Wirtschaftlich gesehen ist es eine gefährliche Massnahme, weil sie die Märkte schleichend zersetzt.

Eigentlich weiss Orban mittlerweile genau, welche verzerrenden Effekte Preislimiten haben. Seit rund einem Jahr versucht er, die Inflation mit diesem Instrument zu bändigen. So hat er im November 2021 beim Benzin eine Obergrenze von 480 Forint (1.12 Franken) verfügt.

Den Markt an der Tankstelle hat er damit allerdings aus dem Gleichgewicht gebracht – der Treibstoff wurde knapp. Orban und seine Entourage haben übersehen: Ein künstlich niedrig gehaltener Preis stimuliert die Nachfrage und führt zu einer Verknappung des Angebots.

So entstand etwa für Autofahrer aus den Nachbarländern Österreich und Slowakei ein Anreiz, in Ungarn zu tanken; gleichzeitig reduzieren internationale Erdölunternehmen ihre Lieferungen ins Land, weil die Geschäftsbedingungen andernorts attraktiver sind.

Auf die erste Intervention im Winter sind deshalb weitere gefolgt, wobei die Eingriffe immer absurder wurden. Mittlerweile dürfen nur noch Privatpersonen, Taxichauffeure und Landmaschinenfahrer zum Vorzugspreis tanken, aber beispielsweise nicht Nutzer von Geschäftsautos. Das hat die Ungarn offenbar zu Arbitragegeschäften angespornt: Gewisse Privatpersonen kauften Benzin für 480 Forint pro Liter und verhökerten es dann für etwas weniger als den derzeitigen Marktpreis von 697 Forint, heisst es.

Eiereinkauf ist beschränkt

Ökonomen rätseln deshalb, was die Folgen für den Eier- und den Kartoffelmarkt sein könnten. Entstehen ähnliche Turbulenzen wie im Benzingeschäft? Die ersten Auswirkungen sind jedenfalls bereits sichtbar, obwohl die Preisobergrenzen erst seit einer Woche in Kraft sind. Detailhändler haben die Menge an Kartoffeln und Eiern begrenzt, die ein einzelner Käufer erwerben darf.

Bereits mutmassen Ökonomen, dass diese Produkte ähnlich wie Benzin bald knapp werden könnten. So haben Produzenten einen Anreiz, ihre Erzeugnisse ins Ausland zu verkaufen, weil sie dort einen höheren Preis erzielen. Spätestens im Januar könnten in Ungarn die heimischen Kartoffeln ausgehen, befürchtet ein Gesprächspartner. Sie müssten dann im Ausland beschafft werden. Das käme das Land teuer zu stehen, weil der schwache Forint Importe stark verteuert hat.

«Zudem könnten sich etwa Geflügelbauern fragen, ob es wirtschaftlich noch sinnvoll ist, Eier zu produzieren», sagt der Chefökonom eines Budapester Think-Tanks. Zumal sie nicht nur unter der Preisobergrenze litten, sondern auch unter den teuren Futtermitteln und den hohen Heizkosten für die Ställe.

Orban lässt sich von solchen Unwägbarkeiten aber offenbar nicht beirren. Dabei kann man ihm nicht einmal vorwerfen, dass er Massnahmen ergreift, um die Inflation für die Konsumenten erträglicher zu machen. Andere Regierungen in Europa tun das auch.

Finanziell ist Ungarn allerdings nur beschränkt in der Lage, der Bevölkerung Ausgleichszahlungen zu leisten, wie das in anderen Ländern teilweise in grossem Stil geschieht. «Das Staatsbudget ist dafür in einem zu schlechten Zustand», sagt der Ökonom und Journalist Zoltan Farkas.

Ungarns Budgetdefizit wird laut den Schätzungen von Bankökonomen in diesem Jahr 5 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) betragen. Zwar subventioniert der Staat den Energiekonsum teilweise. Ein finanzieller «Doppel-Wumms» im Ausmass, wie ihn etwa Deutschland bei den Energiekosten plant, liegt aber nicht drin.

Ausländische Firmen bezahlen die Rechnung

Stattdessen nimmt Orban bei der Inflationsbekämpfung die Produzenten und den Detailhandel in die Pflicht. Gerade dem Handel, der sich zu einem grossen Teil in ausländischem Besitz befindet, hat Orban wiederholt Lasten auferlegt. Firmen wie Lidl, Tesco, Spar und Auchan bezahlen bereits eine Sondersteuer, da sie infolge der Inflation angeblich Übergewinne erzielen.

Indem Orban jedoch die Produzenten und Händler drangsaliert, nimmt er in Kauf, dass das Land zunehmend in Richtung Mangelwirtschaft steuert. Das kenne er aus der Zeit von vor 1989, sagt ein Gesprächspartner spöttisch.

Mehr von Daniel Imwinkelried (imr)

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