Verschränkung von Teilchen, die niemals koexistiert haben

Schon Albert Einstein hatte sich daran gestört, dass die Verschränkung von Teilchen eine spukhafte Fernwirkung im Raum zu implizieren scheint. Jetzt haben Forscher gezeigt, dass die Verschränkung auch unsere Vorstellungen von der Zeit strapaziert.

Christian Speicher
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Aufnahme von zwei verschränkten Photonen. (Bild: Paul Kwiat and Michael Reck)

Aufnahme von zwei verschränkten Photonen. (Bild: Paul Kwiat and Michael Reck)

Zu den merkwürdigsten Eigenschaften der Quantenmechanik gehört die Verschränkung: Zwei Teilchen können derart eng miteinander verbunden sein, dass eine Messung an einem der beiden augenblicklich auch den bis dahin undefinierten Zustand des anderen festlegt – und zwar ungeachtet des räumlichen Abstands zwischen den beiden. Wie israelische Forscher nun gezeigt haben, scheint die Verschränkung nicht nur eine «spukhafte Fernwirkung» im Raum zu implizieren, sondern auch eine in der Zeit. Die Gruppe von Hagai Eisenberg von der University of Jerusalem konnte zwei Photonen miteinander verschränken, die nicht zur gleichen Zeit existierten.¹

Partnertausch unter Photonen

Das Experiment beruht auf einer Technik, die es erlaubt, zwei Photonen zu verschränken, die niemals direkten Kontakt miteinander hatten. Dazu erzeugt man mit einem Laser und einem nichtlinearen Kristall zunächst zwei Paare von verschränkten Photonen an verschiedenen Orten. Dann führt man das zweite Photon des ersten Paares und das erste Photon des zweiten Paares über Glasfaserkabel zusammen und nimmt eine spezielle Messung vor, durch die die beiden miteinander verschränkt werden. Diese Liaison beeinflusst auch die Partner-Photonen. Sie lösen sich aus ihren Beziehungen, und die Verschränkung schwappt vom ersten auf das vierte Photon über. Misst man nun die Polarisation dieser beiden Photonen bezüglich bestimmter Richtungen, wird man feststellen, dass die Ergebnisse auf eine typisch quantenmechanische Weise korreliert sind, obwohl sich die beiden Teilchen nie begegnet sind.

Schon vor einem Jahr hatte die Arbeitsgruppe von Anton Zeilinger von der Universität Wien gezeigt, dass die Quantenkorrelationen zwischen den Photonen auch dann bestehen bleiben, wenn man die verschränkende Messung am zweiten und am dritten Photon so lange hinauszögert, bis die Einzelmessungen abgeschlossen sind: Obwohl das erste und das vierte Photon noch gar nicht wissen können, dass sie später miteinander verschränkt werden, nehmen die Messergebnisse diese Tatsache vorweg.²

Die Gruppe von Eisenberg hat diese Situation nun noch mehr zugespitzt. In ihrem Experiment wird das zweite Photonenpaar erst nach der Polarisationsmessung am ersten Photon erzeugt. Das zweite Photon wird in ein Glasfaserkabel eingespeist und bis zur Erzeugung des zweiten Paares verzögert. Dann findet wie gehabt die verschränkende Messung statt, durch die auch das erste mit dem vierten Photon verschränkt wird – mit dem Unterschied, dass das erste Photon zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr existiert, weil es von der Messapparatur absorbiert wurde. Trotzdem konnten die Forscher die typischen Quantenkorrelationen zwischen dem ersten und dem vierten Photon nachweisen, nachdem auch Letzteres vermessen worden war.

Rückwärts in der Zeit

Wenn man so will, beeinflusst die Messung am ersten Photon den Zustand eines Photons, von dem zum Zeitpunkt der Messung noch nicht einmal klar war, dass es erzeugt wird. Man könne aber auch argumentieren, dass die Messung am vierten Photon rückwirkend den Zustand des ersten beeinflusse, sagt Eisenberg. Diese Interpretation des Experiments findet Renato Renner von der ETH Zürich allerdings unglücklich. Bei all diesen Experimenten handle es sich um reine Korrelationsmessungen. Diesen Korrelationen eine kausale Richtung zuzuschreiben, sei unbegründet.

Etwas anders hatte vor einem Jahr die Gruppe von Zeilinger argumentiert. Die paradoxe Situation, dass zukünftige Ereignisse einen Einfluss auf bereits registrierte Messergebnisse zu haben scheinen, entstehe nur dann, wenn man den Quantenzustand der Photonen als reales physikalisches Objekt betrachte. Fasse man den Zustand hingegen lediglich als einen Katalog unseres Wissens auf, der jedem möglichen Messergebnis eine Wahrscheinlichkeit zuordne, lasse sich die paradoxe Situation vermeiden. Die relative zeitliche Ordnung der Messungen sei dann irrelevant, und es seien keine in die Vergangenheit rückwirkenden Wechselwirkungen nötig, um das Experiment zu erklären.

¹ Phys. Rev. Lett. 110, 210403 (2013); ²Nature Physics 8, 480–485 (2012).

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