Verborgenes Risiko – was sich aus der langfristigen Zuckerbelastung im Blut herauslesen lässt

Ein Diabetes Typ 2 verursacht meist lange keine Beschwerden. Umso wichtiger ist es, die häufige Stoffwechselkrankheit frühzeitig zu erkennen. Ein illustratives Beispiel aus der Hausarztpraxis.

Bruno Kesseli 3 min
Drucken
Der HbA1c-Test ist eine Art Gedächtnis für die langfristige Zuckerbelastung im Blut.

Der HbA1c-Test ist eine Art Gedächtnis für die langfristige Zuckerbelastung im Blut.

Imago

Eigentlich brauche er meine Dienste gar nicht, da es ihm gesundheitlich bestens gehe. So begrüsste mich mit einem Augenzwinkern ein knapp 50-jähriger Patient, der sich nach einigen Jahren wieder einmal für eine allgemeine medizinische Kontrolle gemeldet hatte.

Zu den Abklärungen, die ich ihm empfohlen hatte, gehörte die Messung des «Langzeit-Zuckers» im Blut, in der Fachsprache als HbA1c bezeichnet. Diese Grösse erlaubt eine Aussage über die Zuckerbelastung in den vergangenen drei Monaten. Werte unter 5,7 Prozent gelten als normal. Steigt das HbA1c auf über 6,4 Prozent, besteht ein Diabetes mellitus. Die betroffene Person ist also zuckerkrank.

Die Zuckerkrankheit hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem Problem entwickelt, das die Gesundheitssysteme weltweit zunehmend belastet. Die WHO bezeichnet die Krankheit deshalb als eine globale Epidemie, die gegen 500 Millionen Menschen betreffe. Die Zahl der Erkrankten hat sich seit 1980 vervierfacht und dürfte laut Experten in den nächsten 20 Jahren um weitere 50 Prozent zunehmen. In der Schweiz leidet eine von 20 Personen im Alter zwischen 20 und 80 Jahren an Diabetes, in Mexiko bereits jede sechste.

Mein Patient staunte nicht schlecht, als ich ihm eröffnete, sein aktueller HbA1c-Wert von 6,3 Prozent deute auf einen «Prädiabetes» hin, eine Vorstufe der Zuckerkrankheit. Bei dieser Kategorie handelt es sich um einen Graubereich, der ein erhöhtes Risiko signalisiert, an Diabetes zu erkranken. Ob er denn nun Medikamente einnehmen müsse, fragte er erschrocken.

Diesbezüglich konnte ich ihn fürs Erste beruhigen. Der Zeitpunkt war aber günstig, ihn nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass er ohne Gegenmassnahmen Gefahr laufe, einen Diabetes Typ 2 zu entwickeln. Diese ungenau auch als «Alterszucker» bezeichnete Erkrankung – sie betrifft zunehmend auch Menschen im mittleren Lebensalter – ist zwar medikamentös behandelbar. Dennoch belastet sie verschiedene Organsysteme und erhöht die Risiken für schwere Schäden, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. Statistisch verkürzt ein Typ-2-Diabetes die Lebenserwartung der Betroffenen um mehrere Jahre.

Die Aufmerksamkeit meines Patienten war mir nun sicher. Er wolle auf keinen Fall Medikamente schlucken, sagte er unmissverständlich. Was er denn machen könne? Erfreulicherweise konnte ich ihm mit wissenschaftlich gut abgesicherten Erkenntnissen weiterhelfen. Zwar ist eine familiäre Veranlagung als wichtiger Risikofaktor für die Entstehung der Erkrankung nicht beeinflussbar. Eine zentrale Rolle spielen aber auch Bewegungsmangel, Übergewicht und das Ernährungsverhalten. Diese sogenannten Lifestyle-Faktoren sind veränderbar.

Mein Patient war ohne Frage motiviert und wies in allen genannten Bereichen Verbesserungspotenzial auf. Somit entwarfen wir einen bescheidenen, aber realistischen Plan, der täglich 30 Minuten leichtes Bewegungstraining und eine deutliche Reduktion der üblicherweise sehr üppigen, kohlenhydratreichen Abendmahlzeit beinhaltete.

Der Realitätscheck wird nach den Sommerferien mit der nächsten HbA1c-Messung stattfinden. Ich bin optimistisch, dass wir dann eine Trendwende feststellen können.

In der wöchentlichen Rubrik «Hauptsache, gesund» werfen die Autorinnen und Autoren einen persönlichen Blick auf Themen aus Medizin, Gesundheit, Ernährung und Fitness. Bereits erschienene Texte finden sich hier.

Folgen Sie der Wissenschaftsredaktion der NZZ auf Twitter.