Die nächste Pandemie ist unausweichlich. Ein weltweiter Pandemievertrag soll künftig das Schlimmste verhindern. Wie viele Freiheiten wollen wir dafür aufgeben?

Die Coronavirus-Pandemie hat viel Leid und enorme Kosten verursacht. Beim nächsten Mal soll die Welt besser vorbereitet sein, meint die WHO. Doch ihr Massnahmenkatalog ist viel zu umfangreich und in mancherlei Hinsicht kontraproduktiv.

Stephanie Lahrtz, Dominik Feldges, Katharina Fontana 77 Kommentare 11 min
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Während der Coronavirus-Pandemie herrschte in vielen Ländern monatelang Maskenzwang. Viele Massnahmen waren indes unkoordiniert.

Während der Coronavirus-Pandemie herrschte in vielen Ländern monatelang Maskenzwang. Viele Massnahmen waren indes unkoordiniert.

Hannah Peters / Getty

Es gab zahlreiche Warnungen vor einer globalen Pandemie und noch mehr Pandemiepläne. Trotzdem reagierten nahezu alle Regierungen Anfang 2020 zunächst hilf- und planlos und zudem unkoordiniert.

Eine weitere Pandemie mit einem anderen neuartigen Erreger ist jederzeit möglich. Daher initiierte der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, bereits im November 2020 einen weltweiten Pandemievertrag. Die Idee dahinter: Es sollte Regeln geben für eine bessere Wachsamkeit und Vorbereitung der Länder auf eine Pandemie. Und es sollte Anleitungen für ein koordiniertes Vorgehen im Falle einer Pandemie geben.

Die Idee nahm 2021 – mitten in der Coronavirus-Pandemie – Fahrt auf. Sowohl der Rat der Europäischen Union als auch die Staatschefs der grössten Industriestaaten (G-7) und später die Mitgliedsländer der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sprachen sich für einen internationalen Pandemievertrag unter der Kontrolle der WHO aus.

Noch ist unklar, inwieweit das geplante Abkommen den WHO-Mitgliedstaaten konkrete Pflichten auferlegen wird, die sie umsetzen müssen. Zu Beginn wurde der Pakt explizit als rechtlich verbindlich («legally binding») bezeichnet. Inzwischen heisst es, dass eventuell nur einzelne Punkte verpflichtend seien und andere nicht.

Klar ist jedenfalls, dass jedes völkerrechtliche Abkommen, das abgeschlossen wird, Wirkungen hat und die Staaten, die es unterzeichnen, bindet. Das gilt auch für blosse Leitlinien oder Absichtserklärungen, sogenanntes «Soft Law», das entgegen seiner harmlosen Bezeichnung als ein sehr wirksames Druckmittel eingesetzt werden kann – vor allem gegenüber den kleinen Staaten.

Mittlerweile, nach der bereits siebten Verhandlungsrunde, liegt ein weiterer Textentwurf vor. Über den finalen Text soll im Mai 2024 anlässlich der 77. Weltgesundheitsversammlung der WHO in Genf abgestimmt werden. Anschliessend ist es an den Vertragsstaaten, das Abkommen gemäss den nationalen Regeln zu ratifizieren.

Parallel zu den Arbeiten am Pandemiepakt läuft die Revision der Internationalen Gesundheitsvorschriften, eines seit den siebziger Jahren bestehenden Regelwerks der WHO. Auch dabei wird über ganz wesentliche Änderungen der Zusammenarbeit bei Pandemien diskutiert. Die Revision soll gleichzeitig mit dem Pandemiepakt verabschiedet werden. Auffällig ist das hohe Tempo: Die Verhandlungen werden im Eilverfahren geführt, damit man im kommenden Mai anlässlich der Weltgesundheitsversammlung parat ist. Einen zwingenden Grund, warum man bereits 2024 zum Abschluss kommen muss, gibt es allerdings nicht.

Doch was beinhaltet der WHO-Pandemiepakt, und hilft er wirklich, besser auf eine Pandemie vorbereitet zu sein und effizienter darauf reagieren zu können? Die Fülle von Massnahmen, die im Vertragsentwurf vorgeschlagen werden, lässt sich grob in vier Themenblöcke unterteilen: den Umgang mit Pathogenen, die Entwicklung und Herstellung von Gütern zur Bewältigung der Pandemie wie Impfstoffe und Medikamente, deren Beschaffung und Verteilung sowie schliesslich die Information der Öffentlichkeit.

Die einzelnen Massnahmen lassen sich nach den drei Kriterien sinnvoll, überflüssig und inakzeptabel bewerten:

  • sinnvoll für Massnahmen, die es verdienen, umgesetzt zu werden
  • überflüssig für Massnahmen, die es nicht braucht
  • inakzeptabel für Massnahmen, die vor allem aus ordnungspolitischer und freiheitlich-demokratischer Sicht verhindert werden müssen

Umgang mit Pathogenen

Auf eine Pandemie vorbereitet sein heisst, dass ein Land ein Früherkennungssystem für «komische, neue» Erreger und Erkrankungen besitzt – und dabei sowohl Menschen als auch Tiere im Auge behält. An einem umfassenden Monitoringsystem zur Erkennung ungewöhnlicher Erkrankungen hapert es in vielen Ländern, auch in Europa. Es ist sinnvoll, solche Systeme wie im Pandemievertrag gefordert zu etablieren beziehungsweise zu verbessern und dabei nach gleichen Standards zu arbeiten.

Sinnvoll, aber im Grunde banal ist die Forderung, ein stabiles Gesundheitssystem mit ausreichend geschultem Personal zu besitzen, und zwar bevor ein Pandemiechaos ausbricht. Auch daran hapert es in vielen Ländern, in der Regel aus Geldmangel. Der Vertrag fordert nun reichere Länder auf, ärmere beim Aufbau von medizinischen Einrichtungen sowie solchen für die Forschung, aber auch bei der Ausbildung zu unterstützen. Das ist zwar sicher moralisch gut, und es geschieht ja auch bereits. Es ist jedoch nur begrenzt realistisch, mehr zu fordern. Insgesamt ist der Vertrag mit sehr vielen und vor allem happigen Finanzierungsforderungen an die reicheren Länder gespickt.

Um einen Erreger einzudämmen, müssen schnell und unbürokratisch wissenschaftliche Erkenntnisse präsentiert und diskutiert werden – zu Beginn ebenso wie während der Pandemie. Zudem muss auch Probenmaterial, seien es Blut- oder Speichelproben von Patienten oder Material von Tieren aus früheren Sammelkampagnen, schnell und einfach zwischen Labors weltweit verschickt werden. Das alles wird auch im neuen Pandemievertrag gefordert. Das ist sinnvoll.

Inakzeptabel ist es hingegen, dass die Erkenntnisse nur in Datenbanken gesammelt werden dürfen, die von der WHO vorab zertifiziert wurden. Das ist unnötige und auch stark einschränkende Bürokratie.

Denn: Der Austausch sowohl von Daten als auch Proben hat während der Coronavirus-Pandemie gut funktioniert: Via Twitter (jetzt X) und öffentlich zugängliche Plattformen für wissenschaftliche Publikationen gab es von Anfang an einen sehr schnellen, manchmal sogar tagesaktuellen Austausch brandneuer Erkenntnisse zu Sars-CoV-2 und seinen Eigenschaften. Das hat die Wissenschaftergemeinde allein etabliert. Dafür ist kein neuer Vertrag nötig.

Allerdings hat sich auch gezeigt, dass China nach einigen Monaten die Freigabe von wissenschaftlichen Daten restriktiv gehandhabt hat. Doch dass ein Vertrag, den undemokratische Länder voraussichtlich gar nicht unterschreiben werden, solche Eingriffe und Maulkörbe verhindern kann, ist unrealistisch.

Entwicklung und Produktion von Pandemiegütern

Eine an sich gute und auch nachvollziehbare, allerdings unrealistische Forderung ist jene nach einer global gleichen Verteilung von Impfstoffen und Medikamenten. Das war in der Corona-Pandemie nicht der Fall. Und es ist nicht zu erwarten, dass reichere Länder bei der nächsten Pandemie darauf verzichten, zuerst ihre eigene Bevölkerung dank ihren Finanzmitteln ausreichend zu versorgen.

Wichtig ist die Forderung im Pandemievertrag, dass klinische Studien für Impfstoffe und Medikamente in möglichst vielen und unterschiedlichen Ländern durchgeführt werden sollen. Allerdings benötigt man dafür keinen Vertrag, denn das taten die Hersteller ohnehin während der Corona-Pandemie. Denn nur dann bekommen sie überall Zulassungen.

Entwicklung von Impfstoffen funktionierte rasend schnell

Zwischen dem Zeitpunkt, als die Welt im Februar 2020 realisierte, dass sie sich in einer Pandemie befand, und dem Vorhandensein des ersten Impfstoffs verstrich nicht einmal ein Jahr. Die US-Gesundheitsbehörde FDA erteilte dem Vakzin der beiden Anbieter Pfizer und Biontech am 11. Dezember 2020 eine Notfallzulassung. Kurz darauf erhielt auch das Konkurrenzprodukt von Moderna grünes Licht in Amerika. Provisorische Zulassungen für diese beiden mRNA-Vakzine folgten wenig später in der EU, in der Schweiz und rund um den Globus.

Weil die Nachfrage riesig war, liess die breite Versorgung mit den Vakzinen aber noch eine Weile auf sich warten. Das lag daran, dass die Kapazitäten für die Produktion von Milliarden von Impfdosen erst aufgebaut werden mussten. Zudem war die mRNA-Technologie im industriellen Massstab zuvor noch nicht verwendet worden.

Doch die Pharmabranche schaffte es mithilfe einer eigenen Parforce-Leistung sowie millionenschwerer Zuwendungen von Regierungen, so schnell voranzukommen, dass bereits ab Juni 2021 grosse Mengen an Dosen geliefert werden konnten. Ein halbes Jahr später, Mitte Dezember 2021, konnte der globale Branchenverband International Federation of Pharmaceutical Manufacturers & Associations (IFPMA) befriedigt feststellen, dass die gesamte Produktion für 2021 über 11 Milliarden Dosen erreichen werde. Dank diesem historisch einmalig grossen Volumen sei die Hälfte der Menschheit innerhalb eines Jahres seit der Vergabe der ersten Zulassungen geimpft worden.

Zugleich zeigte sich schon damals, dass die westlichen Industrieländer bis Ende März 2022 auf 1,4 Milliarden überschüssigen Dosen sitzen würden – nach Abzug von Auffrischimpfungen, die im Winter 2021/22 erstmals verabreicht wurden. Mit anderen Worten: Die Impfstoffproduktion kam derart schnell in die Gänge, dass sich nur ein Jahr nach ihrem Beginn schon die ersten Überkapazitäten abzeichneten.

Pharmabranche benötigt keine Industriepolitik

Trotz dieser eindrücklichen Leistung, die nicht nur das Verdienst weniger Impfstoffhersteller, sondern geschätzt über 300 freiwilliger Kooperationen zwischen Pharmafirmen, Auftragsfertigern und weiteren Zulieferern war, glaubt die WHO offenbar, dass innerhalb der Pharmabranche nicht genügend Kräfte schlummern. Nationale Regierungen müssten für künftige Pandemien ausfindig machen, wo es Produktionskapazitäten gebe und wie diese verstärkt werden könnten, heisst es im geplanten Pandemievertrag.

Das Augenmerk der WHO gilt dabei wie bei den meisten Aspekten dieses Kontrakts Entwicklungsländern. Diese müssten befähigt werden, selbst Impfstoffe, Medikamente und weitere Produkte, die der Bekämpfung einer Pandemie dienen, zu produzieren.

Von Firmen wird verlangt, dass sie sich an diesem Technologietransfer ohne Gegenforderungen beteiligen. So sollen sie nicht nur auf Lizenzgebühren verzichten, die ihnen normalerweise bei der Verwendung ihrer Technologien durch Drittfirmen zustünden. Auch auf Patente, die sonst in fast allen Branchen und den meisten Wirtschaftsräumen als höchst schützenswert gelten, sollen sie sich, zumindest temporär, nicht mehr berufen können. Wenn dadurch Engpässe bei der Produktion von Pandemiehilfsgütern beseitigt werden könnten, sei deren Aussetzung angezeigt, findet die WHO.

Den Anspruch auf Lizenzzahlungen sowie den Patentschutz in Pandemiezeiten ausser Kraft zu setzen, stellt einen schwerwiegenden Eingriff dar. Auch vor dem Hintergrund, dass solch eine temporäre Aussetzung von Patenten in speziellen Notlagen – ebenso wie die Erteilung von Zwangslizenzen – in Patentgesetzen diverser Länder, wie etwa der Schweiz und Deutschlands, bereits vorgesehen ist.

Verzicht auf Patentschutz birgt hohe Risiken

Von dem Instrument sollte jedenfalls nur in sehr seltenen Fällen Gebrauch gemacht werden, denn es setzt völlig falsche Anreize: Welcher Impfstoffproduzent oder welcher Hersteller von Tests wird sich in der nächsten Pandemie noch engagieren wollen, wenn er seine Leistungen gratis anderen zur Verfügung stellen soll?

Auch weckt das Aussetzen des Patentschutzes falsche Erwartungen. Die Produktion von Impfstoffen lässt sich nämlich nicht ohne weiteres nachahmen. Sie ist ein hochkomplexer Prozess, der langjährige Erfahrung, ein vertieftes Qualitätsverständnis und spezialisierte Anlagen erfordert. Besonders anspruchsvoll ist es, Impfstoffe nicht bloss in Kleinmengen in einem Labor, sondern nach industriellen Massstäben herzustellen.

Viele der – ausnahmslos freiwilligen – Kooperationen, welche die enorme Ausweitung der Impfstoffproduktion während der Covid-19-Pandemie möglich machten, erfolgten zwischen westlichen Pharmakonzernen und Firmen in Schwellenländern. So liess der britische Medikamentenhersteller AstraZeneca grosse Teile seines kostengünstigen Impfstoffs durch das Serum Institute of India in Pune herstellen. Der amerikanische Konkurrent Johnson & Johnson kollaborierte in der Vakzinproduktion mit dem südafrikanischen Generikahersteller Aspen. Vertreter auf beiden Seiten dieser Kooperationen betonen, ohne einen engen Wissensaustausch hätte es nicht funktioniert.

Wünschenswertes Warnsystem

Wo die WHO eine Rolle bei der Produktion von Pandemiehilfsgütern spielen kann, ist bei Qualitätskontrollen. Allerdings sollte diese auf nichtpharmazeutische Erzeugnisse beschränkt bleiben. Die Überwachung der Herstellung von Impfstoffen und Medikamenten ist Sache von nationalen oder EU-Arzneimittelbehörden, die darin ebenso wie beim Monitoring von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten viel mehr Erfahrung besitzen als die Weltgesundheitsorganisation.

Es wäre eine weitere unnötige Aufblähung der Bürokratie, dies zusätzlich der WHO zu überlassen. Zudem hat die WHO dafür kein geeignetes Personal. Sinnvoll erscheint hingegen der Aufbau eines globalen Warnsystems für mangelhafte Güter. Während der Covid-19-Pandemie sorgten immer wieder schludrig hergestellte Masken oder falsch konzipierte Schutzkleider für Schlagzeilen.

Dezidiert abzulehnen ist die Forderung im neusten Entwurf des Pandemievertrags, gemäss der Herstellerländer der WHO Zugriff auf mindestens 20 Prozent der auf ihrem Territorium produzierten Pandemiehilfsgüter zu gewähren haben. Wobei die eine Hälfte der Organisation als Spende und die andere «zu erschwinglichen Preisen» zur Verfügung zu stellen sei. Diese Mengenangabe ist, wie Vertreter der Pharmabranche zu Recht bemängeln, willkürlich gewählt.

Beschaffung und Verteilung von Pandemiegütern

Zielführender wäre der Ansatz, es den einzelnen Ländern zu überlassen, ob sie sich dazu verpflichten wollen, einen gewissen Prozentsatz der von ihnen selbst bestellten Impfstoffe und Medikamente künftig ärmeren Ländern zu spenden. Solche Überlegungen würden in manchen Industriestaaten auch bereits angestellt, ist aus dem Umkreis von Verhandlungsdelegationen zu hören.

Was die Distribution von Pandemiehilfsgütern vor allem in Entwicklungsländern betrifft, schiessen etliche Forderungen der WHO ebenfalls über das Ziel hinaus. Generell sollte die WHO bei der Verteilung keine aktive Rolle spielen. Andere Organisationen wie das Kinderhilfswerk der Uno, Unicef und die Genfer Impfallianz Gavi sind dafür dank ihrer langjährigen Erfahrung vor allem mit Impfaktionen für Babys und Kleinkinder besser qualifiziert.

Kontraproduktiv ist es, von Ländern zu verlangen, dass sie die Konditionen und insbesondere die Preise bei der Beschaffung von Impfstoffen oder Medikamenten offenlegen sollen. Passiert dies, drohen die Preise unweigerlich zu steigen. Aus genau diesem Grund verzichtet Gavi, deren Kernaktivität die Beschaffung und Verteilung möglichst preisgünstiger Impfstoffe für Entwicklungsländer ist, generell darauf, Preise öffentlich zu machen. Die Impfallianz unterliess dies auch im Rahmen der Covax-Initiative, bei der Vakzine gegen Sars-CoV-2 zugunsten von ärmeren Ländern eingekauft wurden.

Unterstützung verdient die Forderung , laut der Beschränkungen beim Export von Pandemiehilfsgütern unter allen Umständen vermieden werden sollten. Das Bestreben Grossbritanniens und der USA, innerhalb ihrer Landesgrenzen produzierte Impfstoffe für sich zu behalten, oder die monatelange Schliessung der Aussengrenzen Indiens sorgten 2021 zu Recht für Empörung.

Die Restriktionen Indiens hatten zur Folge, dass während über einem halben Jahr viele Entwicklungsländer via Covax kaum noch Impfstoffe erhielten. AstraZeneca hatte mit dem Serum Institute nämlich vereinbart, dass dieses in seiner riesigen Fabrik in Pune das Vakzin je zur Hälfte für den indischen Markt und für Covax produziere.

Mit Vorsicht zu geniessen ist der von der WHO geforderte Aufbau von Pflichtlagern. Wie die meisten Länder während der Coronavirus-Pandemie schmerzlich erfahren mussten, ist die Haltbarkeit von Impfstoffen meist auf wenige Monate beschränkt. Staaten wie die Schweiz und Deutschland mussten denn auch wiederholt grosse Lagerbestände vernichten, weil die Vakzine nicht mehr gültig waren.

Erschwerend kam hinzu, dass die Impfbereitschaft mit zunehmender Dauer der Pandemie nachliess. Weniger problematisch ist die Lagerhaltung von Schutzbekleidung, Spritzen oder Ampullen aus Spezialglas. Solche Hilfsgüter waren in den vergangenen Jahren wegen der grossen Nachfrage ebenfalls zeitweise knapp. Allerdings haben auch solche Produkte oft ein Ablaufdatum, und der Kreis der Hersteller ist nicht bei allen Erzeugnissen gleich begrenzt. Massengüter wie Masken, Handschuhe oder Desinfektionsmittel sollten sich bei Bedarf auch künftig rasch in grossen Mengen auf dem Weltmarkt beschaffen lassen.

Information der Öffentlichkeit

Ebenfalls Gegenstand des Abkommens ist ein Artikel, bei dem es um die Kontrolle und Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit geht. So sind die Staaten gehalten, «falsche, irreführende Fehl- oder Falschinformationen zu bekämpfen», dies in internationaler Zusammenarbeit. Zudem soll die politische Kommunikation so gesteuert werden, dass das Vertrauen in die Wissenschaft, in die Gesundheitsbehörden und in die angeordneten Massnahmen gestärkt wird. Über einen ähnlichen Antrag, der zudem die Medien ins Visier nimmt, wird auch bei der Revision der Internationalen Gesundheitsvorschriften verhandelt.

Derartige Vorschriften sind abzulehnen. Sie zeugen von einem obrigkeitlichen Staatsverständnis und wären ein Einfallstor für Zensur und Behördenpropaganda. Zudem sollte man nicht vergessen, dass während der Corona-Krise auch die Behörden Falschinformationen verbreitet haben. («Mit dem Zertifikat kann man zeigen, dass man nicht ansteckend ist», sagte etwa der Schweizer Gesundheitsminister.)

Im dritten und letzten Teil des Pandemiepakts werden die institutionellen Punkte behandelt. Als oberstes Organ ist eine Vertragsstaatenkonferenz vorgesehen. Sie könnte weitere Gremien – wie zum Beispiel eine wissenschaftliche Expertengruppe – einsetzen. Jedes Land müsste der Konferenz regelmässig Bericht erstatten, mit welchen Massnahmen es das Abkommen innerstaatlich umsetzt und inwieweit es den Empfehlungen der Konferenz Rechnung trägt. Eigentliche Sanktionen bei Nichtbefolgen sind nicht vorgesehen. Dieser Mechanismus ist bei internationalen Abkommen in dieser oder ähnlicher Weise üblich. Es liegt auf der Hand, dass die Bürokratie damit zunehmen wird, bei der WHO wie auch bei den Mitgliedsländern.

Ein wichtiger Punkt betrifft die Änderungen. Das Abkommen kann von einer qualifizierten Mehrheit der Staaten geändert werden. Es ist also dynamisch und kann sich fortentwickeln – auch in eine Richtung, die man beim Abschluss noch nicht erahnte.

Lösungsorientierte Ansätze fehlen

Fazit: Mit dem geplanten Pandemievertrag droht ein Bürokratiemonster zu entstehen. Auch wenn manches gut gemeint ist, wurden viel zu viele Bestimmungen hineingepackt. Mangelware sind lösungsorientierte Ansätze. Dabei zeigte sich während der Coronavirus-Pandemie, wie vieles dank etablierten zwischenstaatlichen und privatwirtschaftlichen Netzwerken trotz Notlage erstaunlich effizient funktionierte. Das beste Beispiel dafür ist die milliardenfache Bereitstellung von Dosen neu entwickelter Impfstoffe innerhalb von nur einem guten Jahr nach dem Beginn der Pandemie.

Von einer «WHO-Diktatur» zu sprechen, wie dies die Kritiker tun, ist zugleich wohl übertrieben. Dennoch, auch das ist festzuhalten, enthält der Vertragsentwurf Bestimmungen, die weit über den Informationsaustausch und andere sinnvolle Kooperationen in Krisenzeiten hinausgehen. Diese Massnahmen atmen teilweise einen autoritären Geist.

77 Kommentare
M. V. G.

Liebe NZZ Bevor uns wieder irgendwelche, Bürokraten, Politiker, versierte WHOler, allgemeine „Experten”, Impfmittelhersteller, Selbstberufene, Journalisten, Influencer, Epidemiologen u.a. auf eine nächste Pandemie einstimmen würde ich doch großen Wert darauf legen, erst einmal die bisherige „Pandemie“ gehörig und vertieft aufzuarbeiten!  Leider liest man zum Thema „kritische Aufarbeitung“ auch in der NZZ recht wenig! Auf deutschen „Leitmedien“ möchte ich diesbezüglich erst gar nicht zu sprechen kommen … 

Sabine Berger

Wie bitte, werte WHO,  soll man das nächste Mal besser vorbereitet sein, wenn von den Medien, der Politik und der WHO  selbst konsequent jegliche Aufarbeitung der Corona Pandemie ausbleibt? 

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