Es gibt immer weniger Insekten und immer eintönigere Flächen. Bisherige Massnahmen zur Stabilisierung der Biodiversität haben allenfalls lokal geringfügige Verbesserungen erzielt, können den Schwund insgesamt aber nicht aufhalten.
Die Situation der Insekten in der Schweiz ist besorgniserregend. Zu diesem Schluss kommt der Bericht «Insektenvielfalt in der Schweiz», der am Dienstag vom Forum Biodiversität der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz präsentiert wurde. Sowohl die Grösse der Populationen als auch die Vielfalt der Insektenbestände sei schon länger vor allem im Mittelland stark zurückgegangen, heisst es. Mittlerweile zeigten sich die Verluste zudem im Jura und in den Alpen.
«Wir haben für den Bericht erstmals möglichst alle vorliegenden Daten und Informationen zusammengetragen», erläutert Florian Altermatt, Präsident des Forums Biodiversität, im Gespräch. Dafür seien die roten Listen, auf denen die Gefährdung von Arten von Forschern nach international festgelegten Kriterien erfasst wird, Monitoring-Programme und Hunderte von wissenschaftlichen Studien und Expertenberichten zu lokalen, regionalen und landesweiten Insektenbeständen und Veränderungen in den letzten Jahrzehnten ausgewertet worden.
Das langfristige Überleben vieler Arten sei infrage gestellt, so der Bericht. Besonders heikel ist die Situation für jene Arten, die um Gewässer herum oder in Feucht- und Landwirtschaftsgebieten leben. Denn hier waren die Veränderungen des Lebensraums durch Trockenlegungen und Kultivierung in den letzten Jahrzehnten besonders drastisch. Es fehlen jedoch langfristige Studien zur Erfassung der Biomasse der Insekten.
Allerdings sei in der Schweiz – und auch anderswo – nur ein Teil der Insektenarten genau untersucht, berichtet Altermatt. So leben in der Schweiz schätzungsweise 45 000, eventuell sogar bis 60 000 Insektenarten. Für wenige tausend liegen aussagekräftige Daten zu deren Situation vor. Zu den gut untersuchten Arten auf den roten Listen zählen Libellen, Tagfalter, Heuschrecken, Käfer sowie Eintags-, Stein- und Köcherfliegen. Von 1153 bewerteten Arten sind laut dem Bericht 43 Prozent gefährdet, 16 Prozent potenziell gefährdet und 41 Prozent nicht gefährdet.
«Da diese gut untersuchten Arten in einer Vielzahl von unterschiedlichen Lebensräumen vorkommen und auch jeweils andere Lebensweisen haben, kann man sie als Indikatoren für die allgemeine Situation der Insekten ansehen», betont Altermatt. Wenn nämlich ein Lebensraum derart verändert sei, dass einige der auf ihn angewiesenen Arten dort kaum noch überleben könnten, dann müsse man davon ausgehen, dass auch die anderen dort vorkommenden Tiere und auch Pflanzen Probleme hätten.
Die Biodiversitätsverluste bei Insekten haben bereits Mitte des letzten Jahrhunderts begonnen, rund um grosse Gewässer wegen der Korrekturen sogar schon früher. Über die Ursachen des Schwunds wird seit langem diskutiert. Laut dem Bericht liegen mittlerweile ausreichend wissenschaftliche Daten vor, die belegen, welche Faktoren die Treiber des Biodiversitätsverlusts sind. Dadurch gibt es Grundlagen für Massnahmen.
Historisch gesehen schlugen als Erstes die Gewässerkorrekturen und Trockenlegungen vieler Feuchtgebiete negativ zu Buche. Dann kamen die Veränderungen in der Landnutzung, die zu einer vielfach sehr aufgeräumten, eingeebneten Landschaft geführt haben. Statt eines Mosaiks aus Wald, Grünland und Ackerbauflächen mit vielen naturnahen Lebensräumen entstanden biologisch gesehen eintönige Areale. Überhöhter Nährstoffeintrag durch Düngung, ausgebrachte Pestizide und in den letzten Jahren auch Veränderungen durch den Klimawandel beeinträchtigen die Lebensräume und damit die dort heimischen Insekten zusätzlich.
Zwar gingen nicht alle Insektenbestände zurück. Vermehrt haben sich vor allem einige wärmeliebende Insektenarten, sie haben ihre Populationen vergrössert oder sich weiter ausgebreitet. Doch vielerorts profitierten von dem Schwund der Konkurrenten beziehungsweise den veränderten Lebensbedingungen die Generalisten, die in puncto Habitat und Nahrung weniger oder kaum spezialisiert sind.
Allerdings hat das zur Folge, dass die Biotope immer gleichförmiger werden. Und wenn die Vielfalt an Arten auf einem Areal abnimmt, sinkt auch die Leistung dieses Ökosystems. So sind zum Beispiel die meisten Pflanzen auf ganz bestimmte Insekten als Bestäuber angewiesen. Manche Bodeninsekten bauen Pflanzenreste ab und führen so dem Boden Nährstoffe zu, andere bohren Gänge in den Boden und sorgen so für bessere Durchlüftung und erhöhen die Wasseraufnahmekapazität.
Zudem kann die geringe Zunahme der Generalisten nicht den gesamten Verlust an Insekten auffangen, so dass für Vögel, Fledermäuse und Fische die Nahrung knapp wird. Der Rückgang der Insektenbiomasse sei eine der vermuteten Hauptursachen für Bestandsverluste bei bestimmten Vogelarten, wird im neuen Bericht betont.
Der Bericht stellt jedoch nicht nur den Zustand der Schweizer Insektenwelt dar. Es werden auch mehrere Massnahmen zur Erhöhung der Biodiversität gefordert. «Es gibt nicht nur eine Ursache, und daher brauchen wir eine Vielzahl von Massnahmen an einer Vielzahl von Orten», betont Altermatt. Daniela Pauli vom Forum Biodiversität forderte an der Präsentation in Bern am Dienstag, dass unter anderem alle Subventionen für die Landwirtschaft oder auch den Tourismus darauf geprüft werden müssten, ob sie der Biodiversität schadeten.
Ein Drittel der Fläche der Schweiz müsse so gestaltet und genutzt werden, dass dort die Biodiversität gefördert werde, sagt Altermatt. So müsse die Landschaft wieder mehr unterschiedliche Strukturen aufweisen, Insekten-Hotspots identifiziert und diese vernetzt werden, der Nährstoffeintrag, die Pestizide und auch die Lichtverschmutzung vermindert werden.
Im Mittelland habe man gemerkt, dass ein Bündel von Massnahmen wie Blühstreifen an Gewässerrändern, Strassen und Gleisen oder Hecken, Steinhaufen und einzelne Bäume an Feldrändern sowie insektenfreundliche Pflanzen in Parks und Privatgärten etwas bewirken könnten, erläutert der Zürcher Insektenforscher. Doch leider sei das bisher Umgesetzte zu wenig. Der Druck auf sämtliche Arten sei zu gross, die Biodiversität schwinde weiter.
So gebe es zum Beispiel im Mittelland mittlerweile wieder ein bis zwei Tagfalterarten mehr pro Quadratkilometer im Vergleich zu vor zwanzig Jahren. Doch ursprünglich habe es hier ein Vielfaches an Arten gegeben. Gleichzeitig gingen im subalpinen und im alpinen Bereich durch eine Intensivierung der Landwirtschaft auch weiterhin noch sehr artenreiche Lebensräume verloren.