Zu kurz, zu lang: Gespräche enden selten dann, wenn alle Beteiligten es wollen

Selbst wenn die Gesprächspartner einig sind, dass sich eine Unterhaltung zu lange hinzieht, heisst das nicht, dass diese dann auch zu Ende geht.

Stephanie Lahrtz
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In Pandemiezeiten ist auch manches Tischgespräch nur virtuell möglich.

In Pandemiezeiten ist auch manches Tischgespräch nur virtuell möglich.

Emily Elconin / Reuters

Zu kurze Telefonate mit Freunden, sich wie Kaugummi ziehender Party-Smalltalk (als es noch Partys gab). Nach dem Austausch mit der Cousine kennt man zwar die Wehwehchen ihres Hundes, konnte selber aber nicht vom neuen Job der Tochter berichten. Vom Arbeitskollegen dagegen hätte man gern mehr über dessen Ferien erfahren. Wer kennt solche Szenarien nicht? Die Unzufriedenheit mit der Dauer von Gesprächen – ganz zu schweigen vom Inhalt – ist ein verbreitetes Phänomen.

Forscher der Harvard University kommen nun sogar zu dem Schluss, dass gerade einmal knapp zwei Prozent aller Gespräche dann enden, wenn beide Partner das wollen. Es geht zwar nur um Minuten, aber es sind entscheidende. Gerade in Lockdown-Zeiten, in denen die Vielfalt sozialer Interaktionen extrem eingeschränkt ist, sind für beide Seiten zufriedenstellende Gespräche wichtiger denn je.

Laut der Harvard-Studie sind Unterhaltungen im Durchschnitt entweder um die Hälfte zu lang oder halb so lang, wie sich die Redenden das wünschen. Das galt in der Studie für Gespräche unter Freunden oder Familienangehörigen ebenso wie für Gespräche unter völlig Fremden im Studienraum.

Im ersten Studienteil wurden gut 800 Menschen gefragt, wie sie ihr letztes Gespräch mit einem Familienangehörigen oder Freund in puncto Länge empfunden hatten. Im zweiten Teil kamen dann insgesamt gut 250 Freiwillige ins Labor und redeten dort mit einer anderen Person, ohne dass Dauer oder Inhalt vorgegeben worden waren. Die Nachbefragung ergab nicht nur inkompatible Wünsche in Bezug auf die Gesprächsdauer, sondern auch, dass man die Meinung seines Gegenübers hierzu ziemlich falsch einschätzte.

Dabei ging es nicht nur um den Klassiker: Eine Person redet mir ein Ohr ab, während ich schon nach der Hälfte des Gesprächs überlege, was ich am Wochenende kochen könnte. In der Studie berichteten teilweise auch beide Probanden gleichermassen, dass sie ein Gespräch als unnötig lang oder zu kurz empfunden hätten. Doch offenbar gelang es ihnen nicht, das ihrem Gegenüber rechtzeitig mitzuteilen.

Ich stimme daher den Harvard-Forschern vollkommen zu, wenn sie fordern, dass wir uns bei Gesprächen mehr Mühe geben und mehr auf den anderen achten. Mancher Narben hinterlassende Streit, aber auch viel Frust könnte vermieden werden, wenn man schon nach wenigen Minuten und genau dann, wenn man es wünscht, das Gespräch höflich beenden würde. Hingegen würde manches Missverständnis gar nicht erst entstehen, wenn beide Gesprächspartner lange genug in der Unterhaltung blieben.

Aber ich bin auch überzeugt, dass viele Gespräche deshalb nicht dann enden, wenn man es eigentlich möchte, weil eine Person zu höflich und zu mitfühlend ist. Man harrt aus, auch wenn einen das Thema nicht brennend interessiert und zudem schon in der dritten Wiederholung ist. Aber offenbar tut Reden der anderen Person jetzt gut. Ihr hilft es, ihr Problem mit jemandem ausführlich zu beleuchten, bis eine Lösung gefunden ist oder sie es sich wenigstens vollständig von der Seele geredet hat. Auch ungewolltes Zuhören kann für die psychische Gesundheit gut sein. Notabene für beide: Der eine ist erleichtert, die andere hat eine gute Tat vollbracht.

Was ich auch noch gerne wissen würde: Wie zufrieden sind wir denn mit dem Inhalt unserer Gespräche? Vielleicht lauert hier der wahre Abgrund – oder steckt darin Balsam für unsere Seele?

In der wöchentlichen Rubrik «Hauptsache, gesund» werfen die Autorinnen und Autoren einen persönlichen Blick auf Themen aus Medizin, Gesundheit, Ernährung und Fitness. Bereits erschienene Texte finden sich hier.