«Meine Wiedergeburt»: Marc hat Parkinson und konnte kaum noch laufen. Dann setzte ihm ein Team aus Lausanne Elektroden nahe ans Rückenmark

Das Implantat wurde ursprünglich von der EPFL entwickelt, um Querschnittgelähmten das Gehen zu ermöglichen. Könnte es Parkinsonpatienten noch besser helfen?

Stephanie Lahrtz (Text), Anja Lemcke (Infografik) 4 min
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Dank am Rückenmark implantierten Elektroden kann der Parkinsonpatient Marc wieder allein spazieren gehen, nach seiner Operation auch beim Schloss Chillon am Genfersee.

Dank am Rückenmark implantierten Elektroden kann der Parkinsonpatient Marc wieder allein spazieren gehen, nach seiner Operation auch beim Schloss Chillon am Genfersee.

Gilles Weber

Marc war 36, als er die Diagnose «Parkinson» erhielt. Der Architekt lebt in Bordeaux, er ist verheiratet und hat zwei Kinder. «Ein Kind ist erst nach der Diagnose geboren, also mein Leben war damals nicht vorbei», berichtete der mittlerweile 63-Jährige vor wenigen Tagen an einer Pressekonferenz. «Ich war sogar einmal Bürgermeister.» Doch vor einigen Jahren musste er seinen Job aufgeben und konnte das Haus kaum noch verlassen. «Ich kam allein fast nicht mehr aus dem Sessel hoch, fünf- bis sechsmal am Tag bin ich gefallen, weil meine Beine mitten in der Bewegung einfroren», erzählt er. Doch seit zwei Jahren könne er wieder allein in ein Geschäft gehen und sogar Treppen steigen.

Kurven oder enge Gänge waren für den Parkinsonpatienten Marc schwierig. Mit den Elektroden am Rückenmark schafft er das nun wieder flüssig.

Quelle: EPFL

Seine «Wiedergeburt», wie er das nennt, verdankt er einer dünnen Folie mit insgesamt sechzehn Elektroden. Und dem Team um Jocelyne Bloch und Grégoire Courtine aus Lausanne. Die Neurochirurgin vom Kantonsspital in Lausanne hat dem Franzosen vor gut zwei Jahren im Lendenwirbelbereich die Elektrodenfolie nah an das Rückenmark eingesetzt. Entwickelt wurde die Prothese von Courtines Team an der EPFL. Marc ist der erste Parkinsonpatient weltweit, der sie erhielt. «Es war schon sehr mutig von ihm, sich darauf einzulassen», betonen die Forscherinnen und Forscher. Die ausführlichen Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift «Nature Medicine» publiziert.

Das Implantat für die Stimulation der Beinmuskeln

Das Implantat für die Stimulation der Beinmuskeln

Die implantierten Elektroden stimulieren die Nerven, die vom Rückenmark an die Beinmuskeln gehen. Somit erhalten diese Signale, die sie wegen der Parkinsonerkrankung nicht mehr ausreichend bekommen. Denn bei der Erkrankung sterben in speziellen Hirnregionen kontinuierlich Zellen ab. Somit fehlen dort wie auch weiter unten Nervenimpulse.

Morgens nach dem Aufwachen schaltet Marc seine Neuroprothese ein, dann geben die Elektroden den Tag über kontinuierlich Signale ab. «Es fühlt sich an, als ob es im Bein ein bisschen kribbeln würde», so beschreibt er die Empfindungen. Wenn er längere Zeit sitzt, schaltet er das Implantat aus.

Die Signale wurden in einer mehrmonatigen Eingewöhnungsphase nach der Operation genau auf seine Defizite und Bedürfnisse abgestimmt. Um ein möglichst natürliches Gehen zu ermöglichen, werden die diversen Nervenstränge jeweils zu unterschiedlichen Zeitpunkten und auch nicht immer gleich stark angefunkt. Da er – wie im obigen Video zu sehen ist – zuvor ein Bein nachzog, werden die dortigen Muskeln stärker durch die Elektroden stimuliert als jene des anderen Beins.

Dadurch hat sich die Stabilität im Stehen verbessert, die Bewegungen wurden flüssiger und sicherer. «Ich falle nicht mehr», betont Marc glücklich. «Meine Frau lässt mich nun ganz beruhigt allein aus dem Haus.»

Wenn er Treppen steigen will, klebt er auf beide Oberschenkel spezielle Sensoren. Diese messen, in welcher Position und welchem Bewegungszustand die Beine gerade sind, und melden dies an die Elektroden beim Rückenmark. Somit werden dann gezielt bestimmte Signale wie zum Beispiel jene an die Muskelstränge, die das Bein anheben, verstärkt. Dadurch sind auch komplexere Bewegungsarten möglich.

Gute Ergänzung zu Hirnstimulation

Die in Lausanne implantierten Elektroden können aufgrund ihrer Lage im Lendenwirbelbereich ausschliesslich die Beinmuskeln stimulieren. Marc bekam bereits mit 44 Jahren Elektroden ins Gehirn, um die dort wegen der abgestorbenen Zellen fehlenden Nervenimpulse zu ersetzen. Diese sogenannte tiefe Hirnstimulation ist eine gängige Therapie bei Parkinsonpatienten. Sie minimiert das Zittern der Hände und verbessert generell die Feinmotorik. Beide Systeme störten sich nicht, gaben die Forscher an der Pressekonferenz bekannt.

Ursprünglich wurde die Elektrodenfolie von Courtines Team zur Behandlung von Querschnittgelähmten entwickelt. Einige wenige Patienten können sich dank den neuen Stimuli kurze Strecken langsam und mithilfe eines Rollators fortbewegen. Bei einer Querschnittlähmung ist das Rückenmark ganz oder weitgehend durchtrennt. Somit gelangen keine oder allenfalls noch sehr wenige Nervenimpulse vom Gehirn an die Beinmuskeln.

Bei Parkinsonpatienten hingegen ist nicht die Reizweiterleitung im Rückenmark gestört. Vielmehr kommen zu wenig oder falsche Signale aus dem Gehirn an. Zudem sind die Nerven im Rückenmark funktionsfähig, und es gibt dort keine Narben. Für Marc sind die Elektrodensignale somit eine wichtige Unterstützung, aber sie müssen nicht sämtliche natürlichen Nervenimpulse ersetzen. Es ist daher denkbar, dass die Prothese bei Parkinsonpatienten mehr Aussichten auf einen Therapieerfolg hat.

Implantat muss sich nun in grösseren Studien beweisen

Allerdings ist nun keineswegs sicher, dass jeder Parkinsonpatient ähnlich von den implantierten Elektroden profitiert wie Marc. Denn der Verlauf einer Parkinsonerkrankung ist unterschiedlich und somit sind es auch die dadurch ausgelösten motorischen Defizite. Für wen das Implantat wirklich sinnvoll ist, das müssen nun weitere und vor allem grössere Studien zeigen.

Kürzlich hat bereits ein zweiter Parkinsonpatient die Elektrodenfolie bekommen. «Wir planen, die Neuroprothese in den nächsten ein bis zwei Jahren sechs weiteren Personen einzusetzen», sagte Bloch. Vorgesehen sind nur Patienten in einer fortgeschrittenen Phase ihrer Parkinsonerkrankung mit erheblichen Gehproblemen.

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