Aufräumen im Weltraum tut not. Aber ist es eine gute Idee, den Abfall in der Atmosphäre zu verbrennen?

Wenn Raketen und Satelliten verglühen, bleiben Metallatome und Aerosolpartikel zurück. Was das mit der Atmosphäre und dem Klima macht, war bisher kein Thema. Das soll sich nun ändern.

Christian Speicher 5 min
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Der europäische Weltraumfrachter Jules Verne verglüht im September 2008 in der Atmosphäre. Einige grössere Fragmente überleben die höllischen Temperaturen und landen wenig später im Pazifik.

Der europäische Weltraumfrachter Jules Verne verglüht im September 2008 in der Atmosphäre. Einige grössere Fragmente überleben die höllischen Temperaturen und landen wenig später im Pazifik.

Nasa / ESA

Der Weltraum verkommt zur Müllhalde. Derzeit kreisen mehr als 10 000 Satelliten um die Erde, von denen 20 Prozent nicht mehr funktionieren. Hinzu kommen abgebrannte Raketenstufen, verlorengegangenes Werkzeug oder Trümmer, die bei Kollisionen entstanden sind. Alles in allem sind derzeit mehr als 35 000 Objekte katalogisiert, und es werden täglich mehr.

Dass der Schrott eine Gefahr für die zukünftige Nutzung des Weltraums ist, ist längst erkannt. Deshalb haben grosse Raumfahrtorganisationen wie die Nasa oder die ESA der Verschmutzung des Weltraums den Kampf angesagt. Die ESA drängt im Rahmen ihrer «Zero Debris»-Charta darauf, ausgediente Satelliten schneller als bisher aus erdnahen Umlaufbahnen zu entfernen, indem man sie nach dem Abschalten gezielt in der Erdatmosphäre verglühen lässt.

Was gut gemeint ist, könnte allerdings zum Bumerang werden. Das legt zumindest eine Untersuchung von winzigen Partikeln nahe, die im zweiten Stockwerk der Atmosphäre schweben, der Stratosphäre. Wie Forscher der amerikanischen Klimabehörde Noaa herausgefunden haben, enthalten 10 Prozent dieser sogenannten Aerosolpartikel Metalle wie Aluminium, die auf verglühenden Weltraumschrott zurückzuführen sind.

Dieser Aspekt der Raumfahrt sei bisher vernachlässigt worden, sagt Karl-Heinz Glassmeier von der Technischen Universität Braunschweig. Deshalb könne man auch noch nicht viel darüber sagen, welche Auswirkungen der verglühende Weltraumschrott auf das Klima und die Ozonchemie in der Stratosphäre habe. Das müsse sich schleunigst ändern.

Hauptsache, der Weltraumschrott fällt uns nicht auf den Kopf

Glassmeier realisierte bereits vor einigen Jahren, wie wenig man über verglühenden Weltraumschrott und dessen mögliche Folgen weiss. Zusammen mit seinem Mitarbeiter Leonard Schulz sichtete er die Fachliteratur und befragte Raumfahrtexperten. Das Ergebnis sei unbefriedigend gewesen, sagt Schulz. Die Fachleute hätten sich vornehmlich dafür interessiert, wie viel Weltraumschrott uns in Zukunft auf den Kopf fallen könnte. Der menschengemachte Eintrag in die Atmosphäre sei als unbedeutend eingestuft worden.

Schulz und Glassmeier wollten es genauer wissen. Sie trugen alle verfügbaren Informationen über gegenwärtige und geplante Satellitenmissionen zusammen und schätzten ab, wie viel Weltraumschrott pro Jahr in der Atmosphäre verglüht. Dabei nahmen sie an, dass alle Objekte, die tiefer als 450 Kilometer fliegen, so stark durch die Restatmosphäre abgebremst werden, dass sie spätestens nach einem Jahr wieder in die Atmosphäre eintauchen.

Das Ergebnis ihrer Abschätzung veröffentlichten Schulz und Glassmeier vor zwei Jahren in der Fachzeitschrift «Advances in Space Research». Demnach stürzen pro Jahr 890 Tonnen Weltraumschrott in die Atmosphäre, von denen 540 Tonnen die Erdoberfläche erreichen und grösstenteils im Meer landen. Die restlichen 350 Tonnen verdampfen. Zurück bleiben Atome und kleine Aerosolpartikel, die in der Stratosphäre teilweise von grösseren Aerosolpartikeln aufgenommen werden.

Schulz und Glassmeier verglichen das mit dem natürlichen Eintrag durch Meteoroide. Die Erde wird ständig von Kometen und Asteroiden verschiedenster Grösse bombardiert. Die meisten Meteoroide verdampfen und tragen so Jahr für Jahr 12 300 Tonnen Material in die Atmosphäre ein. Im Vergleich dazu beträgt der anthropogene Beitrag nur 2,8 Prozent.

Satellitenkonstellationen geben Anlass zur Sorge

Dabei wird es aber nicht bleiben. Firmen wie SpaceX, One Web und Amazon haben in den vergangenen Jahren damit begonnen, riesige Satellitenkonstellationen im erdnahen Weltraum zu installieren. Alleine die Starlink-Konstellation von SpaceX soll 12 000 Satelliten umfassen – mit der Option auf 30 000 weitere. Andere Firmen denken in ähnlichen Dimensionen. Schon bald könnten deshalb Zehntausende von Satelliten um die Erde kreisen und nach dem Ende ihrer Mission in der Atmosphäre verglühen.

Unter realistischen Annahmen, so haben Schulz und Glassmeier berechnet, könnte der menschengemachte Eintrag in die Atmosphäre schon in naher Zukunft 13 Prozent des natürlichen ausmachen – in einem Worst-Case-Szenario sogar bis zu 40 Prozent. «Dass der anthropogene Beitrag die gleiche Grössenordnung erreichen könnte wie der natürliche, ist ein Alarmsignal», sagt Glassmeier.

Schulz weist darauf hin, dass der menschengemachte Beitrag ganz anders zusammengesetzt ist als der natürliche. Asteroiden und Kometen brächten vor allem Silikate und Metalle wie Eisen und Magnesium zur Erde. Satelliten und Raketen seien anders zusammengesetzt. Sie bestünden hauptsächlich aus Metallen. Darunter seien Elemente wie Aluminium oder Kupfer, die in Meteoroiden selten zu finden seien. «Für diese beiden Elemente übersteigt der menschengemachte Eintrag schon jetzt den natürlichen», so Schulz.

Ein Flugzeug fängt Aerosolpartikel aus der Stratosphäre ein

Dass sich die natürliche Zusammensetzung der Aerosolpartikel in der Stratosphäre tatsächlich zu verändern beginnt, belegt die kürzlich veröffentlichte Arbeit der Noaa-Forscher. Anfang des Jahres waren sie mit einem Spezialflugzeug in die Stratosphäre über Alaska aufgestiegen und hatten dort in einer Höhe von 20 bis 25 Kilometern Aerosolpartikel aus Schwefelsäure eingefangen. Diese bilden sich aus Substanzen, die beispielsweise durch Vulkanausbrüche in die Stratosphäre gelangen.

Die Analyse ergab, dass 10 Prozent der Schwefelsäurepartikel kleine Mengen von Aluminium und anderen Metallen enthalten, die fast nur in Raketen und Satelliten zu finden sind. Die Forscher halten es für wahrscheinlich, dass aus den 10 Prozent in den nächsten Jahrzehnten 50 Prozent werden könnten.

Noch sei unklar, wie sich der Eintrag von Aluminium und anderen Metallen auf die Atmosphäre auswirke, sagt der Atmosphärenchemiker John Plane von der University of Leeds, der an der Untersuchung der Noaa mitgewirkt hat. Positive Effekte seien ebenso möglich wie negative. So wisse man zum Beispiel, dass oxidierte Aluminiumpartikel in der Stratosphäre das Sonnenlicht reflektierten und damit zu einer Abkühlung der darunterliegenden Troposphäre beitrügen.

Auf der anderen Seite könnten die metallischen Einschlüsse in den Schwefelsäurepartikeln in den Wintermonaten die Entstehung von polaren Stratosphärenwolken begünstigen. An der Oberfläche dieser Wolken finden jene chemischen Prozesse statt, die letztlich zum Ozonabbau führen. Ob die Metalle den Ozonabbau tatsächlich beschleunigten, müsse nun in Laborexperimenten untersucht werden, so Plane. Möglicherweise stelle sich dabei heraus, dass die Bedenken unbegründet seien. Trotzdem müsse man sich wappnen.

Glassmeier liegt es fern, der Raumfahrt Steine in den Weg zu legen. Zusammen mit der ESA organisiert er einen Workshop, der Raumfahrtexperten und Atmosphärenforscher an einen Tisch bringen soll. Das Ziel sei es, kritisch und konstruktiv an das Thema heranzugehen, so Glassmeier. Dazu gehöre auch, über rechtliche Fragen und mögliche Lösungen nachzudenken. «Zunächst einmal müssen wir aber wissen, was wir dort oben anrichten.»

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