Zimmer mit Aussicht

Das moderne Wohnhochhaus ist Synonym für urbanes und exklusives Leben. Auch an zweitklassigen Lagen finden solche Gebäude mit der besonderen Aussicht Anklang.

Paul Knüsel
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«Nur» zwölf Stockwerke, aber trotzdem eine atemberaubende Aussicht: Die Dachterrasse dieses Wohnhochhauses an der Zürcher Weststrasse ist allen Bewohnern zugänglich. (Bild: Giorgia Müller / NZZ)

«Nur» zwölf Stockwerke, aber trotzdem eine atemberaubende Aussicht: Die Dachterrasse dieses Wohnhochhauses an der Zürcher Weststrasse ist allen Bewohnern zugänglich. (Bild: Giorgia Müller / NZZ)

Schwindelfreie haben bei der Wohnungssuche eindeutige Vorteile. Derzeit sind besonders viele Miet- und Kaufgelegenheiten in ungewohnter Höhe bis zur 24. Etage zu besichtigen. Während die Wohnsilos der 1960er und 1970er Jahre wenig begehrt sind, entdeckt der Deutschschweizer Immobilienmarkt das Wohnen mit Traumaussicht neu.

Den derzeitigen Run auf das Wohnhochhaus ausgelöst hat Zürich-West: Im ehemaligen Zürcher Industriequartier entsteht eine Handvoll Neubauprojekte mit vertikalen Wohnlagen. Der über 80 m hohe Mobimo-Tower fast direkt am Bahntrassee wurde als erster fertiggestellt. Als zweiter Blickpunkt folgte der nicht ganz so hohe Wohnturm auf dem ehemaligen Löwenbräuareal. Der Hard-Turm-Park als drittes markantes Gebäude besticht durch sein aussergewöhnliches Äusseres: ein 80 m hoher Quader mit dunkler Fassade und tanzenden Fenstern (Gmür & Geschwentner Architekten). Er gehört zu einem Grosskomplex mit Büro- und Hotelnutzung und wird eben von den Erstbewohnern, teilweise mithilfe eines Pneukrans, bezogen. Die 121 Eigentumswohnungen liegen zwischen der 11. und 23. Etage, wobei direkt unter dem Dach zweigeschossige, 220 m2 grosse Objekte zu haben sind. Auch preislich bewegt sich das Angebot im obersten Segment: Für die teuersten Lagen werden über 20 000 Fr. pro m2 verlangt.

Konkurrenz bremst Nachfrage

Das Hauptmerkmal aller Wohnungen, ob mit 2,5 oder 5,5 Zimmern, aber ist ein unverstellter Blick über die Dächer. Diejenigen mit Aussicht auf die Innenstadt sowie mit Eckfenstern sind besonders begehrt. «Nicht nur eine, sondern gleich mehrere Etagen bieten das einzigartige Attika-Gefühl», schwärmt Markus Mettler, CEO der Halter AG, die gemeinsam mit der Hardturm AG das Wohnhochhaus entwickelt und realisiert hat.

Der Hard-Turm-Park ist trotz seiner massigen Statur kein Solitär. Direkt daneben werden weitere Wohntürme im Entwicklungsgebiet Zürich-West hochgezogen. Auf dem Toni-Areal, im Zölly-Hochhaus und in den Escherterrassen wird dereinst ebenfalls bis 70 m über dem Boden gewohnt. Derzeit droht sogar ein Überangebot, weil insgesamt 300 luftige Einheiten entstehen. Halter-Sprecher Nik Grubenmann bestätigt, «die spürbare Konkurrenzsituation». Jede sechste Wohnung im Hard-Turm-Park ist noch zu haben. Auch anderswo hinkt der Absatz, insbesondere des höchstgelegenen und teuersten Wohnraums, den Erwartungen hinterher. Bemerkenswert ist, dass sich private Immobilienmakler unter die Erstkäufer mischen, um danach eigene Mieter zu suchen.

 (Bild: Giorgia Müller / NZZ)

(Bild: Giorgia Müller / NZZ)

Wer aber will in die neuen Hochhauswohnungen ziehen? Generell wird von einem urbanen Zielpublikum gesprochen. Gemäss Nik Grubenmann fühlen sich vor allem «kosmopolitische und Design-affine Personen» angezogen. Noch besser über die Bewohner Bescheid weiss man in Chur und Luzern: Seit dem Sommer sind nämlich die 73 Mietwohnungen in den Bündner «Twintowers» bezogen. «Verdichtetes Wohnen ist besonders bei einem älteren Publikum beliebt», weiss Jakob Gross, Geschäftsführer der Domenig Immobilien AG. Interessant ist zudem, dass eine 130 m2 grosse 4,5-Zimmer-Wohnung auf der 23. Etage nicht mehr als 2500 Fr. koste. Dagegen eignen sich die geschwungenen, senfgelben Wohntürme direkt neben dem Luzerner Fussballstadion nur bedingt für ein Mittelstandsbudget: Die Aussicht auf den Vierwaldstättersee, den Pilatus und weiter entfernte Berge sowie der zusätzliche Wohnservice kosten monatlich bis zu 4000 Fr. Trotzdem sind fast alle 295 Wohnungen in der Allmend vermietet. «Im Hochpreissegment bestimmen vorwiegend Personen ab 50 Jahren oder Expats die Nachfrage», erklärt Daniela Zulauf von der Credit Suisse, die einen Immobilienfonds vertritt. In die übrigen Mietwohnungen sind dagegen Dinks, doppelverdienende kinderlose Paare, sowie Singles eingezogen. Familien gebe es kaum, so Zulauf.

Nicht nur exklusiv

Dass die Nachfrage nicht proportional zur Gebäudehöhe wächst und vor allem nicht unbegrenzt ist, davor warnt Martin Hofer, Verwaltungsratspräsident von Wüest & Partner. Ihm ist ein Handicap bekannt, das die Vermarktung von modernen Wohnhochhäusern behindern kann: «Die meisten Wohnungen haben weder Balkone noch andere Aussenräume vorzuweisen.» Nicht erstaunlich ist, dass sich die Verantwortlichen für die neusten Projekte im Grossraum Zürich bemühen, dieses Manko an Aussenraum zu beheben: Das Hard-Turm-Hochhaus offeriert rundum verglaste Loggien und die Escherterrassen, eine nach Süden gerichtete halbseitige Pyramide, bis zu 50 m2 grosse, offene Balkone.

Mit geschützten Loggien und geschliffener Fassade gibt sich der 25-stöckige Park-Tower in Zug eher introvertiert; der Innenbereich ist exklusiv bis luxuriös. Im Kaufpreis inbegriffen ist ein Planungsbudget, um das Wohngeschoss individuell, einem Eigenheim ähnlich, zu gestalten. «Die Einteilung ist komplett frei», sagt Anna Miller, Peikert Immobilien AG. Das 81 m hohe, schwarze Wohnhochhaus direkt am Bahnhof wird nächstes Jahr bezogen; drei Viertel der Flächen sind bereits vergeben. Zur Käuferschaft gehörten «Personen aus der Region und ansässige Ausländer», sagt Miller. Die einzelnen Etagen sind jedoch nicht nur zum Wohnen, sondern auch für gewerbliche Nutzung zugelassen, denn erst der 9. Stock gibt den Blick auf den Zugersee frei.

 (Bild: Giorgia Müller / NZZ)

(Bild: Giorgia Müller / NZZ)

Die kommerzielle Sockelnutzung ist für moderne Hochhäuser typisch und gehorcht der standortbedingten Vermarktungsidee. Wegen Verkehrslärms und anderer Immissionen werden die unteren Etagen mit weniger ruhebedürftigen Nutzungen gefüllt. «Daher stehen viele Hochhäuser an einer eigentlich zweitklassigen Lage», erklärt Martin Hofer von Wüest & Partner. Auch Neuhausen am Rheinfall und Wabern bei Bern werden demnächst eine weithin sichtbare Skyline erhalten: zwischen 53 und 74 m hoch sollen hier die projektierten Wohntürme werden.

Dass diese Wohnform ebenso zum innerstädtischen Bereich mit geringer Belastung passen kann, beweist derweil das 12-stöckige Wohnhaus, das seit diesem Herbst mitten im Zürcher Aussersihlquartier steht. Das Gebäude grenzt unmittelbar an einen verkehrsberuhigten parkähnlichen Platz und präsentiert sich selbst als Solitär im dezenten Art-déco-Stil, der sich gegen oben verjüngt.

Kein Verdichtungsbonus

Die Dimensionen sind vergleichsweise bescheiden. Die Grundfläche ist nur mit zwei Wohnungen belegt. Obwohl das Hochhaus nur 35 m hoch ist, vermag es die umliegende Blockrandbebauung um fast das Doppelte zu überragen. Die Distanz zu den Nachbarhäusern ist auch seitlich gewachsen, weil die Stadt Zürich keinen Verdichtungsbonus gewährt. «Ein konventionelles Mehrfamilienhaus hätte die Lücke mit mehr Masse ausgefüllt», erklärt Marc Loeliger vom Architekturbüro Loeliger Strub, der als Projektmitverfasser und Co-Bauherr auftritt. Anders als bei einer normalen Bauvariante sind auch die Kosten: Wie die Architekten berechnet haben, erreicht der Aufpreis für ein Hochhaus fast 10%. Dennoch wurden für die Eigentumswohnungen 10 000 Fr. bis höchstens 15 000 Fr. pro m2 bezahlt.

Die Abnehmerschaft – die meisten selbst Architekten – war schnell, nur über Mund-zu-Mund-Propaganda gefunden. Gesucht aber waren Personen, die nicht nur die aussergewöhnliche Aussicht geniessen, sondern auch Verbindung zur Nachbarschaft und zum Quartier aufnehmen wollten. Ein Restaurant im Parterre erschliesst den Zugang zum attraktiven Aussenraum unmittelbar. Die Dachterrasse ist für alle Bewohner zugänglich, bietet allen gleichberechtigten Platz und ein atemberaubendes Panorama. Selbst nicht schwindelfreie Gäste werden sich hier wohlfühlen, denn eine brusthohe Brüstung sichert den direkten Blick nach unten bestens ab.