Zürcher Assistenzärzte kündigen den Gesamtarbeitsvertrag. Sie wollen pro Woche acht Stunden weniger arbeiten – aber ist das realistisch?

Junge Mediziner arbeiten heute 50 Stunden pro Woche und mehr. In den Kliniken des Kantons soll damit schon nächstes Jahr Schluss sein.

Marius Huber 3 min
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Mehr Arbeit, als das Gesetz erlaubt: Besonders viele Überstunden fallen für Nachwuchsmediziner auf der Chirurgie an.

Mehr Arbeit, als das Gesetz erlaubt: Besonders viele Überstunden fallen für Nachwuchsmediziner auf der Chirurgie an.

Aline Staub / Keystone

Die Zürcher Assistenzärztinnen und Assistenzärzte rebellieren gegen überlange Arbeitstage. Zumindest jene, die in den Spitälern und Psychiatrien des Kantons angestellt sind. Ihr Berufsverband, der VSAO Zürich, kündigt per Ende Jahr den Gesamtarbeitsvertrag auf, wie er am Dienstag mitgeteilt hat. Dieser Vertrag schreibt eine wöchentliche Sollarbeitszeit von 50 Stunden vor.

Ziel sei eine Reduktion auf 42 Stunden, sagt Susanne Hasse, die Geschäftsführerin des Verbands. Hinzukommen sollen jede Woche die gesetzlich vorgegebenen vier Stunden «strukturierte Weiterbildungszeit» – also nicht solche «on the job», am Patientenbett. Die gleiche Forderung wird auf politischer Ebene auch für die Stadtzürcher Gesundheitseinrichtungen gestellt.

Susanne Hasse

Susanne Hasse

PD

Der geltende Vertrag ist aus Sicht des Verbands nicht mehr zeitgemäss. Als er vor fast zwanzig Jahren ausgehandelt wurde, waren die Nachwuchsmediziner – anders als heute – nicht dem Arbeitsgesetz unterstellt. Dieses schreibt eine Höchstarbeitszeit von 50 Stunden vor.

Weil die vertragliche Sollarbeitszeit identisch ist mit dem gesetzlichen Maximum, wird in den Spitälern permanent am Limit geplant. Mit dem Resultat, dass die 50-Stunden-Grenze oft überschritten wird.

Dies hat auch eine Umfrage der NZZ gezeigt, an der über 4500 Assistenzärztinnen und Assistenzärzte teilnahmen. Über 90 Prozent von ihnen gaben an, im Schnitt mehr als 10 Stunden pro Tag zu arbeiten, bei fast 40 Prozent sind es sogar über 11 Stunden. Zwei Drittel meldeten zudem, die Höchstarbeitszeit von 50 Stunden werde bei der Dienstplanung ignoriert.

Für die vorgeschriebene Weiterbildung bleibt da oft keine Zeit. Mehr als die Hälfte kommt nicht auf vier Stunden pro Woche.

Mit 42 Stunden planen, um unter 50 Stunden zu bleiben

Susanne Hasse vom VSAO Zürich rechnet nicht damit, dass eine Sollarbeitszeit von 42 Stunden an den kantonalen Spitälern von heute auf morgen eingehalten würde. «Dazu fehlt schlicht das Personal, wir sind da realistisch», sagt sie.

Die Medizin sei ein Berufsfeld mit vielen Unwägbarkeiten, Überzeit werde immer dazugehören. Aber wenn man mit 42 Stunden plane, sei wenigstens die Ausgangslage besser. Zudem erhöhe eine Reduktion der Sollarbeitszeit den Druck, betriebliche Mängel zu beheben. «Man kann Prozesse optimieren und den bürokratischen Aufwand abbauen», sagt Hasse. Letzterer ist laut NZZ-Umfrage einer der wichtigsten Treiber für die vielen Überstunden.

Für 2024 müsste nun also ein neuer Gesamtarbeitsvertrag ausgehandelt werden. Setzt der Verband mit der Aufkündigung des bisher geltenden die Spitäler unter Druck, weil er wegen des Fachkräftemangels am längeren Hebel sitzt? Hasse dementiert. «Wir wollen aber zeigen, dass es uns ernst ist, und wir wollen den Prozess beschleunigen.»

Theoretisch könnten Ärztinnen und Ärzte einen vertragslosen Zustand zwar nutzen, um bei einer Neueinstellung vorteilhafte Konditionen auszuhandeln. Doch die Realität ist laut Hasse, dass sich dies viele nicht trauen, weil sie der Karriere nicht schaden wollen. «Darum wäre es besser, eine kollektive Lösung zu finden.»

Die Spitalverantwortlichen zeigen sich offen für Änderungen

Am Verhandlungstisch sitzt – anders als früher – nicht mehr die kantonale Gesundheitsdirektorin, sondern die Vertreter der vier inzwischen verselbständigten Kliniken: Universitätsspital Zürich, Psychiatrische Uniklinik, Kantonsspital Winterthur und Integrierte Psychiatrie Winterthur.

In ersten Sondierungsgesprächen hat sich offenbar gezeigt, dass nicht alle gleich motiviert sind, eine neue Lösung zu finden. Was laut Hasse auch daran liegt, dass die Ausgangslagen unterschiedlich sind: In der Psychiatrie etwa sei der Personalmangel ausgeprägter als in den Spitälern. Der Handlungsdruck ist wohl entsprechend höher.

Die Klinikverantwortlichen lassen noch nicht erkennen, wie sie zu den konkreten Forderungen stehen. Die Psychiatrie Winterthur teilt aber mit, eine Neuverhandlung ergebe durchaus Sinn. Auch das Unispital zeigt sich offen dafür, die Anstellungsbedingungen weiterzuentwickeln. Die Erwartungen der Assistenzärztinnen und Assistenzärzte hätten sich wegen gesellschaftlicher Veränderungen gewandelt.

Am Unispital wurde unlängst ein Pilotprojekt mit einer 42-Stunden-Woche lanciert. Prompt gingen mehr Bewerbungen ein.