Kommentar

Der Firmenexodus in Winterthur ist besorgniserregend, und er zeigt, wie dringend tiefere Unternehmenssteuern im Kanton Zürich sind

Gleich drei Grossunternehmen kehren Winterthur teilweise den Rücken. Wie nonchalant die Stadtregierung darauf reagiert, ist nicht akzeptabel.

Daniel Fritzsche
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Zimmer Biomet zieht ihren Europasitz von Winterthur nach Zug – wer soll es der Firma verübeln?

Zimmer Biomet zieht ihren Europasitz von Winterthur nach Zug – wer soll es der Firma verübeln?

Moritz Hager / Reuters

Die einst stolze Industriestadt Winterthur hat harte Tage hinter sich: Innert drei Wochen kündigten gleich drei Grossfirmen an, Stellen abzubauen und ihre Sitze aus der zweitgrössten Stadt des Kantons Zürich teilweise abzuziehen. Nach dem Maschinenbauer Rieter und dem Medtech-Unternehmen Zimmer Biomet hat am Montag der finnische Schiffsmotorenhersteller Wärtsilä nachgezogen. Insgesamt gehen in Winterthur über 350 zum Teil hochqualifizierte Arbeitsplätze verloren.

Die kurz gestaffelten Hiobsbotschaften sollten den Winterthurer Behörden eigentlich zu denken geben. Doch hört man dem Stadtpräsidenten Michael Künzle (cvp.) zu, dann tönt es anders. Die Abgänge scheinen ihn nicht sonderlich mit Besorgnis zu erfüllen. Er spricht von «Einzelfällen». Winterthur zähle heute 73 000 Beschäftigte. Die verlorenen Arbeitsplätze müsse man dazu ins Verhältnis setzen. Alles halb so schlimm, so sieht es anscheinend der Stadtvater.

Eine solche Haltung ist fatal. Gerade als Stadtpräsident und Präsident der Standortförderungsorganisation «House of Winterthur» müsste Künzle doch um jeden einzelnen Arbeitsplatz und jeden einzelnen Steuerfranken, der daran hängt, kämpfen wie ein Löwe. Allein der Wegzug von Zimmer Biomet könnte in der Stadt und dem Kanton zu Steuerausfällen in zweistelliger Millionenhöhe führen. Das sind keine Brosamen, sondern durchaus relevante Beträge. Neben den Steuererträgen und den Arbeitsplätzen sind die Wegzüge auch für kleinere Zulieferfirmen aus der Region ein Problem; ihnen fehlen in Zukunft wichtige Aufträge.

Die Abgänge als «Einzelfälle» abzutun, greift ebenfalls zu kurz. Zumindest bei Zimmer Biomet und Wärtsilä ist es offensichtlich, dass die hohe Steuerbelastung im Kanton Zürich ein wichtiger Grund für den Umzugsentscheid gewesen sein muss. Wer mag es ihnen verübeln? Tatsächlich steht der Kanton bei den Firmensteuern schlecht da. Mit Bern und dem Wallis befindet er sich auf den letzten Plätzen. In Zug, Luzern, aber auch in Basel-Stadt zahlen Unternehmen nur etwa halb so viel Gewinnsteuern wie in Zürich.

Die so hoch gelobten Standortvorteile von Zürich – die Nähe zu den Hochschulen und zum Flughafen, die hohe Lebensqualität, der gut ausgebaute öffentliche Verkehr et cetera – mögen wichtige Faktoren für den Standortentscheid von Firmen sein. Letztlich müssen Unternehmen aber auf ihr Portemonnaie schauen. Wenn die Rechnung am Ende des Jahres nicht aufgeht, ziehen sie weg. Es zeigt sich nun sehr deutlich: Der harte Steuerwettbewerb, der im Abstimmungskampf zur Reform der Firmensteuern beschworen wurde, war keine Phantasie oder Angstmacherei, wie dies etwa Gegner glauben machen wollten, sondern er ist ganz real – und er fordert nun Opfer.

Wärtsilä zieht nach Frauenfeld, das von Winterthur aus in 11 Minuten mit dem Zug erreichbar ist und wo mit einem Gewinnsteuersatz von 13,4 Prozent geradezu paradiesische Zustände herrschen. Der Europasitz von Zimmer Biomet liegt künftig in Zug: 11,9 Prozent Gewinnsteuern, 22 Minuten vom Zürcher Hauptbahnhof entfernt. Das sind Fakten, mit denen sich nicht nur die Winterthurer Standortförderer in den nächsten Jahren noch intensiver konfrontiert sehen werden.

Umso wichtiger ist es, dass Zürich seine Gewinnsteuern nach einem ersten Schritt im letzten September bald um einen weiteren Prozentpunkt senkt. Mit den Tiefsteuerkantonen wie Zug wird Zürich zwar auch dann noch nicht mithalten können, aber die Unterschiede wären angesichts der sonstigen, unbestrittenen Standortvorteile nicht mehr so eklatant. Wenn Michael Künzle «seinem» Winterthur etwas Gutes tun will, dann sollte er zusammen mit Verbündeten seine ganze Energie darauf verwenden, dass diese dringend notwendige Senkung möglichst rasch Realität wird.