Online-Petitionen gegen die Maskenpflicht und eine selbstgebastelte Gefahrenkarte: wie Eltern in Corona-Zeiten mobilmachen

Schulen und Schulbehörden sehen sich derzeit mit einer Flut von Elternanfragen konfrontiert. Die Zusammenarbeit ist herausfordernd. Doch es gibt auch Orte, wo sie erstaunlich reibungslos funktioniert.

Lena Schenkel, Michael von Ledebur
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Kinder mit Schutzmasken im Schulhaus Fluntern in Zürich.

Kinder mit Schutzmasken im Schulhaus Fluntern in Zürich.

Ennio Leanza / Keystone

Wenn es um Kinder geht, wird es schnell emotional. Das zeigt sich auch in der Corona-Krise. Schon seit Ausbruch der Pandemie sorgen sich Mütter und Väter verständlicherweise um ihren Nachwuchs - ob es nun um Ansteckungen oder Bildungslücken geht. Die einen wollen die Massnahmen verschärft sehen, die anderen gelockert.

Spätestens seit Ausdehnung der Maskenpflicht auf Primarschulkinder ab der 4. Klasse sind bei der Bildungsdirektion des Kantons Zürich aber nochmals sehr viel mehr Mitteilungen eingegangen. Hunderte E-Mails, Briefe und Telefonate sind es seit Beginn der Pandemie. Es werde überwiegend Kritik geübt und derzeit seien die Forderungen nach Lockerungen der Massnahmen in der Überzahl, heisst es bei Stadt wie Kanton.

Man versuche all jene mit Fragen zu beantworten – es sei denn, sie beinhalten Beschimpfungen oder vorgefertigte Textbausteine.

Eigenmächtige Warnung vor Infektionsherden an Schulen

Eltern machen derzeit aber auch auf anderen Wegen und für verschiedene Anliegen Druck. Sie sammeln Unterschriften für Online-Petitionen und Beschwerdebriefe gegen die Maskenpflicht oder melden ihr Kind gleich ganz von der Schule ab. Seit Beginn der Pandemie hat sich die Zahl der für kurze Frist zum Privatunterricht gemeldeten Schülerinnen und Schüler in Zürich von 97 auf 235 mehr als verdoppelt, 77 sind es allein seit Jahresbeginn.

Zu den jüngsten Initiativen von Eltern gehört die Website schulcluster.ch. Dort sind Corona-Infektionen an Schulen auf einer Karte der Schweiz abgebildet. Mit dem Zeichen für Biogefahr werden «bestätigte Cluster» dargestellt. Als Cluster gilt, wenn mindestens eine Klasse in Quarantäne geschickt wurde. Anonym eingegangene Meldungen werden ebenfalls verzeichnet, aber mit Fragezeichen. Aufgeführt sind weiter Schulen, die nach einer Schliessung wieder geöffnet wurden.

Eine privat erstellte Übersicht über Klassen in Quarantäne in der Schweiz.

Eine privat erstellte Übersicht über Klassen in Quarantäne in der Schweiz.

Screenshot

Alleine im Kanton Zürich sind demnach zehn Schulen betroffen, von sieben weiteren Schulen gingen nicht bestätigte Meldungen ein. Die Website, die erst seit Samstag aktiv ist, erfreut sich grosser Beliebtheit. Am Mittwoch war sie vorübergehend nicht abrufbar. Gemäss der Betreiberfirma waren die zahlreichen Aufrufe der Grund.

Hinter der Website stehen Internetaktivisten namens Cyberstammtisch. Gegenüber «20 Minuten» äussert sich eine Mutter eines Kindes im Primarschulalter aus dem Kanton Bern, die die Website mitlanciert hat. Mit der Karte wolle man das Problem der Infektionen an Schulen ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken. Sie zeige, dass «ein Schwelbrand lodert» und dass die Schutzkonzepte in den Schulen nicht funktionieren. Es sei unverständlich, dass die Behörden nicht selbst ein Monitoring über die Ausbrüche an Schulen betrieben.

BAG will sich nicht einmischen

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) beschied auf Anfrage, es handle sich um eine private Aktivität, zu der man sich nicht äussern könne. Das BAG stehe in ständigem Austausch mit den Kantonsärztinnen und -ärzten, die für Massnahmen bei Ausbrüchen in Schulen zuständig seien. Bei der Zürcher Bildungsdirektion heisst es dazu, man handle lokal an den Schulen und verfolge das Covid-Infektionsgeschehen anhand von Zahlen zu Ansteckungen von Kindern und Jugendlichen via Gesundheitsdienste und Statistikabteilungen.

Gegenwärtig befinden sich laut Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich allein in Zusammenhang mit mutierten Coronaviren rund 2200 Personen im Kontext von schulischen Einrichtungen in Quarantäne beziehungsweise Isolation. An mindestens vier Schulen wurden Massentests durchgeführt. Die Maskenpflicht ab der 4. Klasse wird mit dem Schutz vor Ansteckungen sowohl von Schülern als auch Lehrerinnen begründet, besonders angesichts der vermehrt auftretenden neuen Varianten des Coronavirus.

Die erste Schule im Kanton, die einen Flächen- oder Reihentest durchführte, liegt in Volketswil. Yves Krismer ist der Schulpräsident der Gemeinde und sagt, das Spannungsfeld an Meinungen sei enorm breit. Manche forderten langanhaltende Schulschliessungen, andere hielten Corona für nicht existent. Abseits dieser Extreme sehe es die grosse Mehrheit pragmatisch. «Von 99 Prozent der Eltern» höre man «zum Thema Corona nichts». Erfahrungsgemäss könne man dies als Zeichen der Zustimmung werten. Es gebe auch einzelne Eltern, die sich per Mail oder Telefon ausdrücklich dafür bedankten, dass die Schule pragmatisch mit der Situation umgehe. Und wenn es Eltern anders sähen und Kritik übten, müsse man dies halt hinnehmen.

In der Kommunikation stellten sich dieselben Fragen wie vor Corona: Für die einen sei man zu spät dran und kommuniziere zu wenig, die anderen äusserten die gegenteilige Kritik. Das habe man im Vorfeld durchgespielt, jetzt arbeite man jeweils die Checkliste ab, wenn es etwas Neues mitzuteilen gibt. Krismer sieht dies relativ emotionslos. Es seien einzelne Eltern, die Emotionen in das Thema hineinbrächten, sagt er.

«Üblicherweise sehr kritisch»

Es gibt auch Schulen, die während der Pandemie durchwegs positive Erfahrungen mit der Eltern-Zusammenarbeit machen – auch solche, an denen kürzlich Massentests durchgeführt worden sind. So etwa an der jüdischen Privatschule Noam in der Stadt Zürich mit Primar- und Sekundarstufe. Dort heisst es auf Anfrage: «Wir haben üblicherweise sehr kritische, engagierte und anspruchsvolle Eltern, da sie sich als zahlende Kunden verstehen.» In der Pandemie erlebt die Schule sie aber als sehr unterstützend. Schule und Eltern seien in der Krise näher zusammengerückt.

Und dies, obwohl die Anti-Corona-Massnahmen dort noch einschneidender sind als an staatlichen Schulen: Gleich nach Ankündigung des ersten Lockdowns im vergangenen Frühling wechselte Noam von Präsenz- auf Fernunterricht. Als die Schule im Mai wieder öffnete, wurde eine Maskenpflicht für Personal und sämtliche Schülerinnen und Schüler verfügt, also bereits ab der ersten Klasse. Ausserdem wird allen jeden Morgen beim Eintritt die Körpertemperatur gemessen.

Dass die Eltern auf diese Massnahmen und den Massentest «extrem positiv» reagierten, hat die Schulleitung «positiv überrascht». Zu den Gründen kann sie nur Mutmassungen anstellen. Man habe die Kadenz der Kommunikation erhöht und versuche, die Informationshoheit zu behalten. So führt die schuleigene Corona-Task-Force detailliert Buch über Infizierte und Quarantäne-Fälle und benachrichtigt die Eltern bei Updates umgehend. «Wir kommunizieren proaktiv; wir wollen nicht Gerüchte bestätigen, sondern als Erste Neuigkeiten vermelden», lautet die Strategie. Im Gegensatz zu staatlichen Schulen habe man auch mehr Handlungsspielraum, etwa bei der Maskenpflicht.

Darüber, dass die Schule seit Montag wieder im Teilbetrieb ist, sei aber durchaus kontrovers diskutiert worden. Sie verzeichnet nämlich trotz zweiwöchiger Schliessung keine Veränderung bei der Zahl der Infizierten und sogar einen Anstieg des Prozentsatzes mit mutiertem Virus. Derzeit sind dort 16 Personen positiv getestet, davon 7 mit dem mutierten Virus.

Noam hat gemeinsam mit den jüdischen Privatschulen der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich 266 Schülerinnen und Schüler sowie Lehrer und Angestellte testen lassen, die jüngeren Schulkinder per Speicheltest, ältere und Erwachsene per Nasenabstrich. 10 Tests fielen positiv aus, davon 5 mit mutierter Variante. Ob die Schule wie geplant demnächst in den Vollbetrieb zurückkehren kann, ist noch offen.



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