An der zweiten Zürcher Critical Mass unter neuem Regime interveniert die Polizei schneller und verteilt ein Dutzend Bussen. Ein richtiger Umzug bildet sich nicht

Weil für die Velodemonstration erneut keine Bewilligung eingeholt wurde, wiederholte sich das Katz-und-Maus-Spiel vom Juli.

Marius Huber 4 min
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Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Veloumzugs Critical Mass betrachten das spontane Element des Anlasses als zentralen Teil ihrer DNA.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Veloumzugs Critical Mass betrachten das spontane Element des Anlasses als zentralen Teil ihrer DNA.

Walter Bieri / Keystone

Seit nicht ganz zwei Monaten gilt der Veloumzug Critical Mass in Zürich offiziell als unbewilligte Demonstration. Die zweite Ausgabe unter neuen Vorzeichen kam an diesem Freitagabend etwas weniger leicht in Schwung als noch die erste Ende Juli. Das lag nicht nur an dem heftigen Gewitter, das sich gegen halb neun Uhr über der Stadt entlud. Bevor der Regen die Party störte, war es die Polizei, die den Velofahrerinnen und Velofahren das Leben schwermachte.

Diese hatten sich erneut nicht um eine Bewilligung bemüht und mieden den alten Versammlungsort am Bürkliplatz. Stattdessen versuchten sie sich vor allem in den Kreisen 4 und 5 zu grösseren Gruppen zusammenzufinden. Einerseits mithilfe einer App, die Gleichgesinnte auf einer Karte anzeigt, andererseits aber auch, indem sie klingelnd durch die Strassen fuhren und so andere auf sich aufmerksam machten.

Wo immer sich aber mehr als ein, zwei Dutzend gefunden hatten, war bald die Polizei zugegen, die diese überschaubaren Velocorsos mit mehreren Einsatzwagen sowie Beamten auf E-Bikes verfolgte. Manchmal schnitt sie ihnen den Weg ab, vereinzelt kontrollierte sie auch Velofahrer, wenn sie diese bei einem konkreten Verstoss wie dem Überfahren eines Rotlichts beobachtet hatte. Oft führte aber ihre blosse Präsenz dazu, dass sich die Gruppen wieder zerstreuten.

Der Umzug der Polizisten, der eine grössere Gruppe am frühen Abend über den Paradeplatz verfolgt, ist fast länger als jener der Velofahrer.

Der Umzug der Polizisten, der eine grössere Gruppe am frühen Abend über den Paradeplatz verfolgt, ist fast länger als jener der Velofahrer.

hub.

Weil die Teilnehmer der Critical Mass gezielt Schleichwege und Einbahnstrassen benutzten, ergab sich dabei erneut ein Katz-und-Maus-Spiel. Anders als noch im Juli bildete sich aber bis halb neun Uhr kein Umzug, der mehrere hundert Teilnehmer vereinte. Insgesamt wurden diesmal laut der Polizei fünf Personen wegen der Teilnahme an einer unbewilligten Demo verzeigt. Elf weitere kassierten Bussen, weil sie gegen die Verkehrsregeln verstossen hatten.

Am meisten Sympathisantinnen und Sympathisanten, gegen hundert, hatten sich am frühen Abend auf der Rathausbrücke zusammengefunden, und dies in komplett legalem Rahmen. Dort fand eine bewilligte Kundgebung statt, an der sich der Ärger über das neue, repressivere Vorgehen der Polizei entlud. Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) und die Polizeivorsteherin Karin Rykart (Grüne) wurden dabei in rüdem Ton zum Rücktritt aufgefordert.

Ein Grund für den wütenden Ton: Für die Kundgebung war ausdrücklich eine Verstärkeranlage bewilligt worden, doch der Veloanhänger mit den entsprechenden Geräten war auf dem Weg von der Polizei gestoppt und konfisziert worden. Dies lag mutmasslich daran, dass er jeweils an der Critical Mass prominent zu sehen gewesen war. Die Polizei dürfte ihn daher als Teil des unbewilligten Umzugs eingeschätzt haben.

An einer Kundgebung auf der Rathausbrücke entlud sich wegen des repressiveren Vorgehens der Polizei viel Ärger.

An einer Kundgebung auf der Rathausbrücke entlud sich wegen des repressiveren Vorgehens der Polizei viel Ärger.

hub.

Weil Bussen nun dazugehören, sammeln sie Geld

Insgesamt ergab sich der Eindruck, dass sich die Critical Mass nach dem Testlauf von Ende Juli widerwillig auf eine neue Normalität eingestellt hat. Auf eine, in der mit einer Busse rechnen muss, wer sich am letzten Freitag des Monats in den Sattel schwingt. Und in der man sich folglich vor der Polizei verstecken muss, bis die kritische Masse erreicht ist und man sich im Schutz des Schwarms befindet. Die Critical Mass ist dadurch etwas kleiner geworden.

Das liegt sicher daran, dass sie ein teurer Spass werden kann. Wenn man Pech hat, kostet die Teilnahme zweihundert Franken und mehr – das ist die Höhe der Busse, die das Stadtrichteramt bei unbewilligten Demonstrationen üblicherweise verhängt.

Die Unterstützer der Critical Mass haben Gegenmassnahmen getroffen, um die abschreckende Wirkung zu mildern. Sie haben ein Solidaritätskonto eingerichtet, damit sich alle gemeinsam an den Kosten jener beteiligen können, die von der Polizei erwischt werden. Zuletzt betrug der Kontostand angeblich 5000 Franken. Das reicht allerdings noch nicht einmal, um die 52 Bussen für den Umzug vom Juli zu begleichen.

Bezahlen musste bislang laut dem Stadtrichteramt noch niemand. Bis zum Abschluss der Verfahren dauere es in der Regel mehrere Monate, erst dann folgten die Rechnungen. Dennoch haben mehrere im Juli kontrollierte Personen kurz vor der neuerlichen Critical Mass Post von der Polizei bekommen: eine Erinnerung, dass da noch etwas kommt. Das Timing dürfte kein Zufall sein.

Auffällig ist auch, dass der erhöhte Druck die Critical Mass zu einer verstärkten Organisation zwingt: So wird das Solidaritätskonto der Ordnung halber von einem Verein betrieben. Dies unterläuft die eigene Darstellung, wonach es sich beim Umzug bloss um eine spontane Zusammenkunft und nicht um eine organisierte Demonstration handle, für die folglich niemand Verantwortung übernehmen könne.

Gleichzeitig wird in Gesprächen während der Kundgebung auf der Rathausbrücke klar, dass der anarchische Geist in dieser Bewegung ausgeprägt bleibt. Er steht nach Ansicht der Velofahrerinnen und Velofahrer einer bewilligten Fahrt mit festgelegter Route im Weg, wie sie sich am Monday Night Skate der Inline-Skater schon oft bewährt hat.

Sie betrachten das spontane Element als zentralen Teil ihrer DNA. Deshalb sind sie überzeugt: Selbst wenn sich jemand einen Ruck gäbe und eine Bewilligung für die Critical Mass beantragen würde – die Masse würde ihm einfach nicht folgen.