Neustadt an der Waldnaab
11.03.2024 - 16:51 Uhr
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Zwillinge (78) aus Neustadt/WN sterben kurz nacheinander

Willi H. stirbt an dem Tag, an dem Franz H. beigesetzt wird. Für die Angehörigen scheint das wie eine schicksalhafte Fügung. Doch gibt es auch eine wissenschaftliche Erklärung für die zeitnahen Tode der Zwillingsbrüder?

Die Zwillinge Willi und Franz H. in jungen Jahren. Mit 78 verstarben die Brüder kurz hintereinander.

"Doppelte Freude, doppeltes Glück", heißt es oft, wenn Zwillinge auf die Welt kommen. Doch auch Verlust und Trauer haben das doppelte Ausmaß, wenn die Geschwister sterben. Wie im Fall der Brüder Willi und Franz aus Neustadt, die beide im Alter von 78 Jahren aus dem Leben schieden. In diesem Text sollen sie mit Nachnamen nur H. heißen, da die Hinterbliebenen den vollständigen Namen nicht publik machen möchten.

Franz starb als erster der beiden Brüder, am 24. Januar. Nur wenige Tage später, am 9. Februar, folgte ihm Willi ins Jenseits. Bemerkenswert insbesondere: Der 9. Februar war der Tag der Urnenbeisetzung des Bruders. Für Maite H., Willis Frau, und Barbara H., Franz Tochter, der nächste große Schock.

Zwillinge zuletzt schwer krank

Zwar kämpften die Brüder in ihrem letzten Lebensjahr jeweils mit einer Krebserkrankung, doch keiner der Angehörigen hatte erwartet, dass die beiden so kurz nacheinander aus dem Leben treten würden. Willi war bereits in den Jahren zuvor schwer krank gewesen und hatte immer wieder ins Krankenhaus gebracht werden müssen. "Mein Mann hat trotzdem nie die Hoffnung verloren und gekämpft", erzählt Maite H. im Gespräch mit Oberpfalz-Medien. Auch Franz machte der Krebs zu schaffen: "Er wollte nicht wahrhaben, dass er krank ist", sagt Tochter Barbara. Für sie steht fest: Die zeitnahen Tode waren wie eine schicksalhafte Fügung. "Da waren die beiden wieder in ihrer Brüderlichkeit vereint." Kommt es häufiger vor, dass Zwillinge kurz nacheinander sterben?

Saskia Herbst, Fachärztin für Humangenetik, die in Regenburg und Weiden tätig ist, ordnet den Fall ein. Eineiige Zwillinge haben ein fast identisches Erbgut, so dass sie ähnliche genetischen Risikofaktoren aufweisen, erklärt sie. In mehreren Studien wiesen Experten nach, dass das Risiko für eine Erkrankung steigt, wenn Ärzte diese beim anderen Zwilling diagnostizieren. Ein Beispiel macht das ganze deutlicher: Das Risiko an Krebs zu erkranken sei für eineiige Zwillinge höher als für zweieiige Zwillinge oder andere Geschwister. "Das absolute Risiko, an einer Krebserkrankung zu erkranken, liegt für eineiige Zwillinge circa 15 Prozent höher als der Durchschnittswert und für zweieiige Zwillinge noch etwa 5 Prozent höher", sagt die Ärztin. Die Zahlen nimmt die Expertin aus einer skandinavischen Studie von Lorelei A. Mucci. Eine wissenschaftliche Untersuchung, die nachgewiesen hätte, dass eineiige Zwillinge statistisch signifikant zeitnah versterben, sei ihr jedoch nicht bekannt.

Unterschiedliche Lebenswege

Die Mutter der Zwillinge habe immer gesagt, die beiden wären eineiig, erinnert sich Barbara H.. Doch ähnlich seien sich die Brüder nie gewesen. Bis zu ihren Krebserkrankungen gab es im Leben der beiden nur wenige Parallelen. Zwar erblickten sie zusammen am 3. April 1946 das Licht der Welt in Altenstadt/WN und wuchsen in Neustadt/WN auf, wo sie die Schule besuchten. Doch schon damals hätten die beiden getrennte Freundeskreise gehabt, weiß Barbara. "Sie sind nie zusammengehangen." Selbst als die beiden bei der Bundeswehr dienten, schliefen die Geschwister nicht gemeinsam auf einer Stube. Ein Kommandant habe es ihnen angeboten, aber die beiden lehnten einstimmig ab. Dann trennten sich die Wege der Geschwister. Während Franz in seiner Heimat eine Ausbildung zum Fliesenleger machte, zog Willi nach Herrsching, um dort die "Hochschule für den öffentlichen Dienst" für den Fachbereich Finanzwesen zu besuchen. Im Anschluss arbeitete er als Finanzbeamter in Nürnberg, wo er seitdem lebte.

Franz absolvierte die Meisterprüfung, übernahm die Firma seines Chefs und machte sich selbstständig. Als er seine Frau Maria kennenlernte, zog er mit ihr nach Weiden. Sie verstarb bereits im Jahr 2022. "Mein Papa hat viel gearbeitet", denkt Tochter Barbara H. zurück. Urlaube gab es zwei pro Jahr. Ganz anders bei Bruder Willi. Er sei viel gereist, äußert seine Frau Maite. "Er war in Ägypten, Singapur, Indonesien, ich kann gar nicht alle Länder aufzählen", erzählt sie. Auch das Paar hat sich auf einer seiner Reisen kennengelernt. Auf einem Flug von Hongkong nach Manila. Denn Maite stammt von den Philippinen und war gerade auf dem Rückweg dorthin. Die jungen Erwachsenen verbrachten auf den Philippinen viel Zeit miteinander und schrieben im Anschluss ein Jahr lang Briefe hin und her, bis Willi Maite erneut besuchte – und sie einige Monate später zu ihm nach Deutschland zog. "Mein Mann war ein guter Mensch", betont die Frau. Sie habe vor allem seinen Humor und seine freundliche Art geschätzt.

Gegensätzliche Charaktere

Barbara bewunderte vor allem das Pflichtbewusstsein ihres Vaters Franz. "Ich wusste, dass er immer hinter mir steht und ich mich auf ihn verlassen kann", denkt sie zurück. Trotzdem scheinen die Zwillinge auch von ihren Charakterzügen recht verschieden gewesen zu sein. Während Franz laut den Hinterbliebenen eher der "toughe" Typ war, hatte Willi ein sanfteres Naturell.

Tatsächlich teilten sich beide ein Hobby: das Radfahren. Daneben kochte Willi gerne. "Sauerbraten war sein Lieblingsgericht", weiß Maite. Franz hingegen war dem Kochen nicht besonders zugetan. Er machte lieber Kajak-Touren mit Freunden, fuhr Ski oder brauste mit seinem Motorrad durch die Oberpfalz. Noch bis kurz vor seiner Erkrankung spielte der Neustädter Tennis.

Tatsächlich fließen laut Genetikerin Herbst auch der Lebensstil und Umwelteinflüsse in das individuelle Krebsrisiko mit ein. Denn Krebsentstehung sei immer "multifaktoriell".

Verhältnis belastet

Neben Charakter und Interessen glichen sich die Geschwister auch im Aussehen nicht. Zum einen seien die Gesichtszüge verschieden gewesen. Zum anderen hatte Willi helle Haare, sein Bruder deutlich dunklere. "Keiner hätte gedacht, dass die beiden Zwillinge sind, wenn man Bilder nebeneinander gehalten hat", erklärt Barbara.

Vor allem in den vergangenen Jahren hätten die Brüder kaum Kontakt gehabt, sagt Maite. "Aber die beiden waren Freunde", ergänzt sie. Auch Barbara erinnert sich an ein gutes Verhältnis, das eher dem von Geschwistern glich und nicht dem Bild einer unzertrennlichen Zwillingsverbindung, wie es bei "Hanni und Nanni" gezeichnet wird. Allerdings habe die Krankheit der beiden die Beziehung belastet. Willi habe sich während seiner jahrelangen Krankheit mehr Unterstützung gewünscht, doch bei Franz habe die Geduld dafür gefehlt. Trotzdem vereint die Brüder am Ende eines: Im Herzen ihrer Liebsten leben sie weiter.

Hintergrund:

Eineiige und zweieiige Zwillinge

  • Von Zwillingen spricht man, wenn eine Frau mit zwei Kindern gleichzeitig schwanger ist.
  • Eineiige Zwillinge entstehen aus einer befruchteten Eizelle, die sich in zwei Hälften aufteilt. Daher tragen eineiige Zwillinge fast identisches Erbgut in ihren Zellen.
  • Zweieiige Zwillinge entstehen aus zwei Eizellen, die jeweils ein Spermium befruchtet hat. Die eine befruchtete Eizelle hat somit ein anderes Erbgut als die andere.
  • Die Zahl der Zwillingsgeburten ist in den vergangenen Jahren wieder leicht zurückgegangen. 2023 kamen im Klinikum Weiden 40 Zwillingspaare zur Welt.

Quelle: Planet Wissen, Statistisches Bundesamt

 
 

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