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OP-Klimaretter

Solawi verwendet, statt zu verschwenden

Sehen, wo das Gemüse wächst – das gehört zum Solawi-Prinzip dazu. Privatfoto

Sehen, wo das Gemüse wächst – das gehört zum Solawi-Prinzip dazu.

Marburg. Bei der Solidarischen Landwirtschaft (Solawi) Marburg zahlen die Mitglieder nicht für die einzelnen Gemüselieferungen. Vielmehr finanzieren sie mit ihren monatlichen Beiträgen die Produktionskosten eines landwirtschaftlichen Betriebs in der Region und erhalten im Gegenzug die Ernte.

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Der Bioland-Betrieb „Grünzeug“ in Kirchvers baut das Gemüse für die Solawi Marburg an. Ist die Ernte gut, fallen die wöchentlichen Lieferungen größer aus. Das Risiko einer schlechten Ernte tragen in diesem Fall jedoch auch die Solawi-Mitglieder, nicht der Bauer. Er kann so mit einem fairen Lohn sicher planen und ohne Abhängigkeit vom Markt arbeiten, erklärt Vera Zimmermann. Sie ist bei der Solawi für Organisation und Verwaltung zuständig.

Vera Zimmermann. Foto: Philipp Lauer

Vera Zimmermann

Das Prinzip der Solawi schützt die Umwelt auf vielfältige Weise. Das Gemüse wird nach ökologischen Richtlinien angebaut, es kommen also etwa keine Gentechnik, künstliche Dünger und Pestizide zum Einsatz. Das Gemüse kommt je nach Saison frisch vom Feld zu den Mitgliedern nach Gießen und Marburg. „Mir war vor der ersten Solawi-Saison 2013 gar nicht so bewusst, wann welches Gemüse Saison hat“, sagt Zimmermann. Innerhalb der Städte wird es weiter an wohnortnahe Verteilpunkte gebracht, wo es die Mitglieder selbst abholen. Das Gemüse wird in großen Kisten transportiert, es fällt kein Verpackungsmüll an. Außerdem gelten für das Solawi-Gemüse keine Normen, es werden also auch etwa krumme Gurken und aufgeplatzte Kohlrabi geliefert. Das bedeutet weniger Lebensmittelverschwendung – ein großes Problem, schließlich verbraucht die Herstellung wertvolle Ressourcen.

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„Obwohl Solawi versucht, die Ernte vollständig zu nutzen, bleibt dennoch Gemüse auf dem Feld zurück, weil die Ernte für den Landwirt alleine zu aufwändig wäre“, sagt Cécile Guillet. Sie hat Umwelt- und Ressourcenmanagement studiert und koordiniert das Projekt „Verwenden statt verschwenden“. Zum Beispiel waren im vergangenen Herbst auf einem ganzen Feld die Möhren zu klein geblieben. Gemeinsam haben Mitglieder der Solawi Marburg und der Solawi Wetzlar die Möhren selbst geerntet und eingelegt, um sie haltbar zu machen.

Cécile Guillet. Foto: Philipp Lauer

Cécile Guillet.

Nach einem spontanen Einsatz auf dem Acker hat der Verein im vergangenen Jahr sehr reifen Chinakohl als Kimchi eingelegt. Dazu haben sie den Kohl zerkleinert und zusammen mit Zucker, Reissirup, Chili, Ingwer, Knoblauch und Salz in Gärtöpfe gepackt und gestampft. Nach zwei Wochen war er fertig zur Verteilung an die Mitglieder. Erst kürzlich hat der Verein Erdbeermarmelade für alle Mitglieder gekocht. Die überreifen Beeren hätten den Transport wohl nicht mehr überstanden und wären sonst auf dem Feld geblieben. „Dabei entwickelt man auch einen ganz anderen Bezug zu den Lebensmitteln und ein Verständnis für die landwirtschaftlichen Kreisläufe“, sagt Guillet. „Das Projekt hat auch einen großen Bildungsaspekt, wir wollen verschiedene Fertigkeiten vermitteln.“

In Workshops haben die Teilnehmer etwa gelernt, Gemüse zu Fermentieren, Pilze zu züchten, Sauerteigbrot zu backen oder wie man einen Solardörrer bauen kann. Dieser wurde dann gleich genutzt, um das Obst von der in Eigenregie bewirtschafteten Streuobstwiese in Heskem haltbar zu machen – allein mit der Energie der Sonne. „Es war sehr interessant miteinander darüber zu diskutieren und zu philosophieren, ob es wirklich sinnvoll und klimaschonend ist, die Lebensmittel haltbar zu machen. Darauf gibt es keine einfache Antwort“, sagt Guillet (kleines Foto: Lauer).

Gegen die Wegwerfgesellschaft

Zum Solawi-Prinzip gehört es, dass die Mitglieder sehen können, wo ihr Gemüse wächst, etwa auf dem jährlichen Hoffest oder zu Ackereinsätzen, bei denen sie mit anpacken. "Im Mai haben wir mit elf Leuten Unkraut beim Fenchel und dem Salat gehackt. Wir hatten großen Spaß und eine gute Zeit." Das Fazit nach fast zwei Jahren Arbeit in dem von der Klimaschutzinitiative des Bundesumweltministeriums unterstützten Projekt ist positiv. "Es ist total spannend, näher an den landwirtschaftlichen Kreisläufen dran zu sein. Und zu sehen, wie schwer es doch ist, diese wirklich zu schließen und alles zu verwerten – obwohl schon ein großes Bewusstsein dafür im Verein besteht", sagt ­Cécile Guillet.
"Aber das ist schon ein großer Erfolg für unsere Solawi. Wenn man sich dann vorstellt und damit vergleicht, wie viel im Handel und in konventionellen und industriellen Betrieben weggeworfen wird, ist das einfach erschreckend", ergänzt Vera Zimmermann.

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Klimaretter-Tipps

Die Kinderfeuerwehr Wittelsberg hat Bienenhotels und Blumenkästen gebaut, berichtet Theresa Staubitz, die Kinder- und Jugendfeuerwehrwartin der Feuerwehr Wittelsberg: Die Kinder sägten mit der Laubsäge eine Biene aus Holz aus, schliffen die Holzteile per Hand ab und bemalten sie. Die getrockneten Teile schraubten die Kinder zusammen und füllten sie mit Bambusstäben. Damit es ein „All-inclusive-Hotel“ wird, bei dem die Bienen einen Schlafplatz und etwas zu essen bekommen, haben die Kinder außerdem sogenannte „Seedbombs“ angefertigt. Die Kugeln aus Erde, Ton, Blumensamen und etwas Wasser kann man nach dem Trocknen auf die Wiese werfen. Daraus wachsen dann Blumen. „Die Kinder lernten an diesen beiden Tagen sehr viel über Handwerk, den Umweltschutz und die Aufgaben der Feuerwehr“, sagt Staubitz. „Nun können sich die Wittelsberger Bienen auf viele neue Wohnmöglichkeiten freuen.“
Nach dem Bienenhotelbau im vergangenen Jahr ging es um den Bau eines Blumenkastens – bei beidem haben Mitglieder der Einsatzabteilung die Kinder unterstützt.

Das Solawi-Gemüse hat kurze Transportwege von Kirchvers nach Gießen und Marburg, geliefert wird jeden Mittwoch. Am Vormittag verpackt es Dr. Frank Winter auf dem Hof in Kisten. Gegen 15 Uhr kommt er mit dem Transporter in Marburg an. Von hier aus bringen es ehrenamtliche Fahrer dann besonders umweltfreundlich an die Verteilpunkte im Stadtgebiet: Mit drei Lastenrädern und Lastenanhängern des Vereins Freie Räder. Das spart nicht nur CO2, sondern auch Zeit. „Mit dem Auto braucht man für die Tour zwei bis zweieinhalb Stunden. So sind wir zu dritt in gut anderthalb Stunden fertig“, sagt Winter. „Und seit es Pedelecs gibt, sind die Steigungen in Marburg kein Problem mehr“, sagt Wolfgang Schuch, der den AK Transport bei der Solawi mitgegründet hat und den Transport mit den Lastenrädern koordiniert.

Workshop

Am 7. Juli bietet die Solawi einen Workshop zum Solardörrer-Bau an. Auf der Zukunftskonferenz in Cölbe findet am 31. August ein Workshop zum Fermentieren statt. Weitere Infos und Termine unter www.solawi-marburg.de. An einer Hofbesichtigung interessierte Schulklassen und Kindergartengruppen können sich unter solawi@solawi-marburg.de melden.

Eine der ehrenamtlichen Fahrerinnen ist auch Kati Verhaal. „Man bekommt einen anderen Bezug zu den Lebensmitteln, wenn man sehen kann, woher sie kommen“, sagt sie und zählt durch. Heute sind es für zwei Verteilpunkte je Anhänger 18 Kisten, die sie mit Zurrgurten auf dem Anhänger sichert. „Ein weiterer Faktor ist, dass man Mitmachen kann. Ich interessiere mich sehr für ökologische Landwirtschaft, denke es ist ein wichtiger Bestandteil für ein nachhaltiges Leben. Ich finde auch das Wirtschaftskonzept der Bieterrunde total sinnvoll, um am Konzept des Kapitalismus vorbeizumanövrieren.“ Denn bei Solawi gibt es zwar einen Richtwert von monatlich etwa 58 Euro, aber jeder entscheidet selbst, wie viel er für seinen Anteil der Ernte zahlen kann und will. In der jährlichen Finanzierungsrunde geben die Teilnehmer anonym Gebote ab, bis die Gesamtkosten gedeckt sind.

Initiativen stellen sich vor

Neben der Solawi Marburg wurden aus dem Landkreis außerdem der Verein „Freie Räder“, „Allmende Holzhausen“, „Hin und Weg“, und die „Gartenwerkstadt“ von der Klimaschutzinitiative gefördert. Die fünf Projekte stellen sich am Samstag, 17. August, auf dem Marktplatz in Marburg vor. 

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