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Stadt hofft auf Hilfe, um Mangel an Plätzen zu lindern

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Das Wohl des Kindes steht bei der Entscheidung zur Inobhutnahme an oberster Stelle. ARCHIV
Das Wohl des Kindes steht bei der Entscheidung zur Inobhutnahme an oberster Stelle. ARCHIV © DPA

Wenn Kinder in Not geraten, in ihrer Familie nicht mehr sicher sind und es keinen anderen Ausweg mehr gibt, kommt die Stadt Hanau ins Spiel. Denn dann beginnt die Suche nach Möglichkeiten, diese Kinder oder Jugendliche unterzubringen – entweder in einer Einrichtung oder in einer Pflegefamilie. Beides ist leichter gesagt als getan. Denn weder sind in Hanau genug Heimplätze vorhanden, noch gibt es ausreichend viele Pflegefamilien.

Hanau - Darüber berichtete unsere Zeitung bereits ausführlich. Oberbürgermeister Claus Kaminsky und Bürgermeister Maximilian Bieri schlugen darüber hinaus wegen des Mangels mit einem offenen Brief an den hessischen Sozialminister Kai Klose und Bundesministerin Lisa Paus Alarm und baten um Unterstützung. Die Signale waren gemischt.

Wir haben der Stadt Hanau einige Fragen zum Thema Inobhutnahme gestellt – das übrigens kein seltenes Phänomen ist. Im laufenden Jahr wurden nach Angaben aus dem Rathaus bereits 99 Kinder in Obhut genommen.

Wie viele Inobhutnahmestellen gibt es in Hanau?

Derzeit gibt es nach Angaben aus dem Rathaus in Hanau einen freien Träger der Jugendhilfe, der eine Inobhutnahmegruppe betreibt. Dieser Träger betreibe außerhalb Hanaus eine weitere Inobhutnahmegruppe.

Wie viele Plätze bieten diese Stellen?

In der Inobhutnahmegruppe in Hanau gibt es nach Auskunft der Stadt neun Plätze, in der Gruppe außerhalb Hanaus gibt es ebenfalls neun Plätze. In den beiden Gruppen seien je zwei Plätze für eine Belegung durch die Stadt reserviert, die jedoch durchgängig durch Kinder und Jugendliche, die von der Stadt in Obhut genommen werden, besetzt sind.

Wie viele Einrichtung zur dauerhaften Unterbringung gibt es?

In Hanau gibt es laut Stadt insgesamt sieben freie Träger der Jugendhilfe, die in Hanau für die unterschiedlichsten Bedarfe zusammen 185 stationäre Plätze für eine dauerhafte Unterbringung von Kindern und Jugendlichen zur Verfügung stellen. Neben diesen Trägern gibt es weitere freie Träger der Jugendhilfe in Hanau, die ambulante Hilfe zur Erziehung, zum Beispiel in Form von sozialpädagogischer Familienhilfe zur Vermeidung von Inobhutnahmen, leisten. „Hierzu ist jedoch zu sagen, dass sämtliche Leistungen der freien Träger allen Jugendämtern im Bundesgebiet zur Verfügung stehen“, heißt es von der Stadt Hanau.

Wie hat sich das Angebot an Inobhutnahmestellen in Hanau in den vergangenen Jahren entwickelt?

2015 sei es in Zusammenarbeit mit den freien Trägern der Jugendhilfe in Hanau gelungen, die Zahl an Inobhutnahmeplätzen auszuweiten. Mittlerweile habe sich diese Zahl aufgrund der in den vergangenen Jahren gesunkenen Zahl an unbegleiteten minderjährigen Ausländern wieder etwas reduziert. „Leider steht im sozialpädagogischen Bereich aktuell nicht genügend Personal zur Verfügung, um erneut kurzfristig die Platzkapazitäten zu erhöhen“, so die Stadt.

Wie viele Inobhutnahmen gab es 2022 und 2023?

Im Jahr 2022 wurden durch das Jugendamt der Stadt Hanau 115 Kinder in Obhut genommen. Seit dem 1. Januar 2023 wurden 99 Kinder in Obhut genommen.

Was sagt die Stadt zu der indirekten Kritik von Sozialminister Klose, die Stadt habe das Angebot in diesem Bereich kaum fortentwickelt (wir berichteten)?

„Die Antwort ist eines Sozialministers in Hessen unwürdig. Auf vielen Ebenen macht die Politik einen großen Bogen um die Themen des Kinderschutzes – der Brief von Herrn Klose, dem obersten Dienstherrn des Sozialministeriums, auf unseren Hilferuf ist da ein weiteres Beispiel. In einer Solidargemeinschaft ist auch das Land in der Pflicht, für die richtigen Rahmenbedingungen zu sorgen, und darf nicht alles auf die Kommunen schieben. Die Meldungen aus den verschiedensten Jugendämtern aus Hessen und darüber hinaus zeigen deutlich, dass es sich nicht um ein spezifisches Problem der Stadt Hanau handelt“, so das Urteil über Kloses Schreiben.

Wie ist die Antwort von Bundesministerin Lisa Paus ausgefallen?

Im Gegensatz zu Kloses Schreiben sei der Brief von Paus „deutlich zugewandter“. „Sie nimmt sich dem Problem an und weist es nicht von sich. Die Auslotung schnell implementierbarer digitaler Optionen, um die Platzsuche bei Inobhutnahmen zu erleichtern, könnte ein erfolgversprechender Weg für eine kurzfristige und gleichzeitig dauerhafte Entlastung sein“, lautet die Bewertung aus dem Hanauer Rathaus.

Welche Maßnahmen kann die Stadt überhaupt kurzfristig ergreifen, um dem Mangel zu begegnen?

„Leider sehen wir keine ausreichende Möglichkeit, diesen Mangel kurzfristig aus eigener Kraft zu beheben“, teilt die Stadt mit. An Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe würden besondere Anforderungen, nicht zuletzt im baulichen beziehungsweise sicherheitstechnischen Bereich, gestellt. „Aber selbst, wenn diese Anforderungen erfüllt sind, haben wir, wie viele andere Bereiche auch, mit dem tatsächlichen Flaschenhals eines großen Fachkräftemangels zu kämpfen. Für die Betreuung von Kindern und Jugendlichen ist ausreichend qualifiziertes Personal vorzuhalten. Dazu kommt, dass die Arbeit in der Erziehungshilfe, genau wie im Gesundheits- oder Pflegebereich, ein 24/7-Betrieb ist“, heißt es aus dem Rathaus.

Man sei bemüht, in Kooperation mit den freien Trägern der Jugendhilfe zusätzliche Plätze für stationäre Unterbringungsformen zu schaffen. Aber nicht nur das Jugendamt Hanau sei von der begrenzten Zahl an stationären Plätzen betroffen, es sei ein bundesweites Problem.

Was geschieht mit den Kindern, für die sich kein Platz findet?

Solche Fälle seien bisher nicht gehäuft aufgetreten, so die Stadt Hanau. In den meisten Fällen sei es „mit erheblichem Personal- und Zeitaufwand“ gelungen, Plätze in einer Inobhutnahmestelle beziehungsweise einer Jugendhilfeeinrichtung zu finden. Die Suche nach solchen Plätzen erfolge jedoch in der gesamten Bundesrepublik, sodass es leider nicht immer gelinge, die Kinder und Jugendlichen wohnortnah zu ihren Familien unterzubringen.

Erschwert werde die Suche nach einem geeigneten Platz dadurch, dass es kein verpflichtendes bundes- oder landesweites Register über freie Plätze bei freien Trägern der Jugendhilfe gebe. Da sich die Belegungssituation täglich ändern könne, werden die Träger gegebenenfalls täglich um freie Plätze angefragt.

Dies bindet personelle Ressourcen. Zum eigentlichen Mangel kämen „gezwungenermaßen noch ineffiziente Abläufe“ hinzu.

Welche Rolle spielt der Hintergrund eines Falls?

Um die Lage richtig einschätzen zu können, muss neben der reinen Zahl an Inobhutnahmen jedoch auch die schwere der Fälle Berücksichtigung finden. Plätze für Kinder zu finden, die beispielsweise durch einen Trauerfall ihr Eltern verloren haben ist ungleich leichter als einen adäquat betreuten Platz für ein Kind mit großen erzieherischen Bedarfen, häufig mit Beeinträchtigung und entsprechend notwendigen Maßnahmen zur Teilhabe verbunden, zu finden.

Diese besonders anspruchsvollen Fälle mit entsprechend schwieriger Suche nach einem passenden Platz haben in den letzten Jahren und nicht zuletzt in Zusammenhang mit der Zeit der Corona-Pandemie zugenommen.

Welche Rolle spielen Pflegeeltern in dem Zusammenhang?

In diesem Bereich könne man sich als Kommune in Eigenregie für eine Erhöhung von Kapazitäten einsetzen. Das Jugendamt habe in letzter Zeit verstärkt Werbung für das Engagement von Pflegefamilien gemacht.

Der Fachdienst Pflegekinder der Stadt Hanau kümmert sich um die Schulung und Betreuung von Kurzzeit- und Dauerpflegeeltern sowie um die Koordination zwischen ihnen und den bedürftigen Kindern. Besonders bei der Unterbringung und Versorgung von Säuglingen und Kleinkindern sind Pflegeeltern die richtige Lösung.

Neben den Inobhutnahmestellen bei den freien Trägern der Jugendhilfe gibt es in Hanau 16 Familien, die insgesamt bis zu 30 Kurzzeitpflegestellen für Kinder und Jugendliche bereitstellen. Aber auch hier können die Plätze bei zehn dieser Kurzzeitpflegefamilien auch durch andere Jugendämter belegt werden. Zusätzlich können 62 Mädchen und Jungen im Alter von 0 bis 19 Jahren ggf. bis zu ihrer Verselbstständigung in insgesamt 49 Dauerpflegefamilien leben, wenn ihre leiblichen Eltern nicht für sie sorgen können.

Von Christian Dauber

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