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Analytische Klarheit und wilder Furor

Das American String Quartett mit (von links) Peter Winograd, Laurie Carney, Daniel Avshalomow und Wolfram Koessel.Foto janka

Das American String Quartett mit (von links) Peter Winograd, Laurie Carney, Daniel Avshalomow und Wolfram Koessel.Foto janka

Das American String Quartett gibt Gastspiel bei Klassik! Bad Aibling

VON RAINER W. JANKA

Bad Aibling – Das American String Quartett spielt schon seit 50 Jahren zusammen – natürlich nicht in der Ursprungsbesetzung, aber immer noch mit der ursprünglichen zweiten Geige, nämlich mit Laurie Carney. Peter Winograd ist der unauffällig führende Primarius, Daniel Avshalomow fügt sich harmonisch mit der Viola ein und Wolfram Koessel steuert einen betörend schönen Cello-Klang dazu. Außerordentlich homogen und sämig, ja luxuriös satt ist sein Klang. Alle vier sind so perfekt aufeinander eingespielt, dass sie zur Kommunikation keine Blicke brauchen, sondern allenfalls Körper(zu)wendungen oder nur wissendes Erahnen.

Aufregende
Mischung

Bekannt ist das Quartett für seine Programmgestaltung: Meist mischen sie klassische mit aufregend modernen Stücken. So auch im kleinen Kursaal von Bad Aibling in der Reihe Klassik! Ein Mozart- und ein Schubert-Quartett rahmen eines von Béla Bártok ein – das dann zum eigentlichen Höhepunkt wird. Denn 50-jährige Routine prägte die Spielweise: In Mozarts Streichquartett G-Dur KV 387, dem ersten der „Haydn-Quartette“, mit denen Mozart seinem Komponistenfreund Haydn die Reverenz erwies, war gewiss alles da: die jähen Synkopen und Sforzati, das dynamisch Überraschende, ja Widerborstige, die Widerhaken im Legato-Fluss, die strukturgebende Chromatik, die dialogische Belebtheit, also das geistvolle „Gespräch“ der Instrumente untereinander, vor allem die feurige Energie, mit der das Fugato im Finalsatz erfüllt war. Aber genau der Satz, der zu Mozarts schönsten zählt, das Andante, hatte nicht den Glanz, den innigen Zauber, den man sonst zu spüren glaubt. Alles ist analytisch klar gespürt, alles trifft ins Hirn, nicht aber ins Herz.

Das galt in etwa auch für Schuberts „Rosamunde-Quartett“: Gewiss war alles saftig-satt gespielt, mit breitem und nachdrücklichem Bogen, mit schmelzender Schönheit der ersten Geige und herrlich sonor intonierendem Cello im Menuetto, gewiss war der typisch Schubert’sche Wander-Rhythmus herausgestellt und gut wurde der Landler-Rhythmus im Menuetto ins Tragische und der Klang ins Fahle gewendet: Aber auch hier herrschte bei aller Klangsaftigkeit analytische Klarheit.

Nur ein kleines Beispiel: Das so unendlich melancholische Anfangsthema, das sich so traurig nach unten richtet, hört vor einer Viertelpause mit einer Halben auf. Das American String Quartett ließ diese halbe Note nicht ausklingen, sondern spielte dies so haargenau, dass es wie abgerissen klang. Das ist so, wie wenn man als Autofahrer haargenau an der Geschwindigkeitsbeschränkung entlangfährt. Der Fluss ist weg. So wollten die vier Musiker sich nicht verlieren an die Schubert’sche Wehmut, wollten den analytischen Scharfblick bewahren – nur wiederum im Finale wurden sie tanzbodenlustiger, fast unbekümmerter, bis der Tanz zu Ende geht und sich alle gleichsam vom Tanzboden schleichen.

Als wollten sich die Musiker alles für das Streichquartett Nr. 3 von Béla Bártok aus dem Jahre 1927 aufsparen, stürzten sie sich in die barbarische Wildheit des Allegro, das sich auch aus der ungarischen Volksmusik speist, knüpften ein feines Gespinst der fahlen Flageolett-Töne, sang der Primarius zu Beginn in seinem Solo flehentlich über einem Gebrodel aus geheimnisvoll-herben Tönen. Mit großer Energie stellten die Musiker die Quart und die None als Motive heraus, fast brutal spielten sie die dissonanten Akkorde aus, die (für uns immer noch) erschreckende Ästhetik aus freier Harmonik, in der Klänge als Motive dienen.

Wild und
schön zugleich

„Die Harmonik wird in tapferer Ungebundenheit aus Linien und Linienüberschreitungen entwickelt“, sagt der Musikphilosoph Theodor W. Adorno dazu. Die Musiker blieben dauerfurios – aber in der größten Wildheit um Schönheit bemüht. Die Zuhörer im vollgefüllten Saal quittierten diese Interpretation mit heftigem Applaus. Dem Furor blieb das American String Quartett auch in der Zugabe treu: Fiebrig vehement, ja beinahe hingefetzt, spielten sie den Finalsatz aus dem einzigen Streichquartett von Maurice Ravel.

Dienstag, 14. Mai 2024
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