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Blinddarm: OP mit Minischnitten

Mit Bauchschmerzen in die Klinik, wenig später im OP? Früher die Regel bei einer akuten Blinddarm-Entzündung. Doch so viel Eile ist nur selten nötig, haben Studien gezeigt. Und: Für den Eingriff braucht es heute nur noch wenige winzige Schnitte.

VON ANDREA EPPNER

Ein Zwerg im Bauch kann Riesenärger machen: Wie ein kleiner Wurm hängt der „Appendix“ am Blinddarm. „Wurmfortsatz“ wird er daher auch genannt. Und: Der Winzling ist offenbar auf Krawall gebürstet. Er entzündet sich leicht, im Volksmund auch Blinddarm-Entzündung genannt. „Die häufigste Entzündung im Bauchraum“, sagt Privatdozent Dr. Günther Meyer, Leiter der Allgemein-, Viszeral- und Adipositas-Chirurgie der WolfartKlinik in München–Gräfelfing. Von 100 Menschen müssen immerhin sieben damit rechnen, dass es sie irgendwann im Laufe des Lebens erwischt. Hier beantwortet unser Experte die wichtigsten Fragen.

Warum sind Blinddarm-Entzündungen so häufig?

Das liegt wohl an der engen Öffnung des Wurmfortsatzes. Diese kann leicht verstopfen. „Zum Beispiel durch Kot“, sagt Meyer. Ist der „Abfluss“ zu, werden plötzlich Keime aggressiv, die den Wurmfortsatz natürlicherweise besiedeln und sonst keinen Ärger machen – die Darmwand entzündet sich. Kinder kann das ebenso treffen wie Erwachsene. „Blinddarm-Entzündungen gibt es selbst im hohen Alter“, sagt Meyer. Die Symptome seien dann jedoch oft nicht so ausgeprägt, was die Diagnose schwieriger macht.

Was sind denn die typischen Anzeichen?

Sehr verdächtig sind Schmerzen, die im Oberbauch beginnen, sich erst in den Bereich um den Nabel und wenige Stunden später in den rechten Unterbauch verlagern. „Das ist der Klassiker, wie er im Lehrbuch steht“, sagt Meyer. Doch auch viele andere Symptome, die weniger typisch sind, können auf eine Entzündung hindeuten, etwa Schmerzen in der rechten Flanke, unterhalb des rechten Rippenbogens oder hinter dem Schambein. Denn der Wurmfortsatz könne im Bauch verschieden liegen: Er kann bis ins kleine Becken hängen oder auch hinter den aufsteigenden Teil des Dickdarms geschlagen sein – oder zum Nabel hin. Generell können die Beschwerden sehr unspezifisch sein. Auch Übelkeit, Erbrechen oder Durchfall sind mögliche Anzeichen.

Wann sollte man auf jeden Fall zum Arzt gehen?

Bei starken Schmerzen im Bauch sollte man eine Praxis oder Notaufnahme aufsuchen, rät Meyer. Insbesondere, wenn Fieber dazu kommt. Ob wirklich eine Blinddarm-Entzündung dahintersteckt, kann nur ein Arzt klären. Denn verschiedene Erkrankungen können ähnliche Beschwerden machen: Gerade bei jungen Frauen mit Schmerzen im Unterbauch sei manchmal der Eierstock und nicht der Wurmfortsatz entzündet. Flankenschmerzen wiederum können auch eine Entzündung der Niere oder Nierensteine anzeigen.

Wie lässt sich dann die wahre Ursache abklären?

Dazu sind weitere Untersuchungen nötig: Der Arzt drückt etwa an bestimmten Punkten auf die Bauchdecke. So prüft er, wo der Schmerz sitzt und ob der Bauch weich oder hart ist. Zudem wird Blut abgenommen und im Labor untersucht. „Dabei sind vor allem die Entzündungszeichen interessant“, sagt Meyer. Ist die Zahl der Leukozyten, der weißen Blutkörperchen, gestiegen und der „CRP-Wert“ erhöht – die Abkürzung CRP steht für das „C-reaktive Protein“ –, sind das Hinweise auf eine akute Entzündung. Dann folgt meist ein Ultraschall: Sichtbar sei der Wurmfortsatz dabei in der Regel nur, wenn er tatsächlich entzündet ist. Bleibt das immer noch unklar, kann eine Kernspin- oder Computertomografie erfolgen.

Was ist eigentlich eine „Blinddarm-Reizung“?

Das ist eine leichte Form der Entzündung. Betroffene haben dann zwar Beschwerden, die aber weniger stark sind. Die Blutuntersuchung hat allenfalls leicht erhöhte Entzündungswerte ergeben, der Bauch ist weich. „Da muss man nicht sofort operieren“, sagt Meyer. In solchen Fällen würde man zunächst abwarten und den Patienten beobachten, gegebenenfalls auch Antibiotika geben. Entwickelt sich doch noch eine akute Entzündung, kann man immer noch operieren. Manchmal klingen die Beschwerden auch einfach ab. „Es kann aber sein, dass solche Reizungen immer wieder auftreten“, sagt der Experte. „Dann würde man sich irgendwann doch zu einer OP entscheiden“ – selbst wenn die Schmerzen oft gar nicht Folge einer Entzündung sind. Häufige Reizungen können zu Verklebungen und Narben führen. Manchmal bildet sich auch vermehrt Nervengewebe – beides kann wiederkehrende Reizungen auslösen.

Was kann passieren, wenn man gar nicht handelt?

Ist der Wurmfortsatz stark entzündet, droht ein „Blinddarmdurchbruch“. Das heißt: Die Darmwand reißt und Inhalt mitsamt Bakterien gelangt in die Bauchhöhle. Dort können sich die Keime verbreiten und zu einer Entzündung des Bauchfells führen. „Daraus kann sich ein lebensbedrohlicher Zustand entwickeln“, warnt Meyer. „Das ist der Grund, warum früher die Regel galt, dass man eine akute Appendizitis schnellstmöglich operieren sollte.“

Hat sich das geändert?

Ja. Erst in den vergangenen Jahren seien einige Untersuchungen veröffentlicht worden, die belegen, dass man sich in vielen Fällen mehr Zeit lassen kann, ohne Patienten zu gefährden. Es gebe natürlich Fälle, „da sehen Sie sofort: Der muss in den OP“, sagt Meyer. Also etwa, wenn der Bauch bretthart ist, die Entzündungswerte stark erhöht sind und der Patient in einem schlechten Zustand ist. Meist sei die Lage aber weniger brisant. „Dann haben die Patienten Schmerzen im rechten Unterbauch, vielleicht auch ein bisschen Fieber, die Entzündungswerte sind leicht erhöht.“ Eine Notoperation sei in solchen Fällen nicht nötig. Da könne man „durchaus zehn bis zwölf Stunden zuwarten“. Und zwar ohne häufigere Durchbrüche zu riskieren. Der Zeitdruck bei einer akuten Entzündung ist damit oft weg. Eine OP sei dennoch meist nötig. Hat die Entzündung bereits die Umgebung befallen, kommen ergänzend Antibiotika zum Einsatz.

Können einem Antibiotika die OP sogar ersparen?

Das ist umstritten. Dieser Ansatz beruht vor allem auf einer skandinavischen Studie: Eine akute Entzündung konnte darin bei 85 bis 90 Prozent der Patienten erfolgreich mit Antibiotika behandelt werden, sagt Meyer. Allerdings sei es bei etwa 30 Prozent dieser Patienten innerhalb eines Jahres erneut zu einer akuten Entzündung gekommen. Eine andere Studie zeige, dass dieser Anteil nach fünf Jahren auf 40 Prozent steige. Auch darum sei unklar, ob Antibiotika eine sinnvolle Alternative seien oder eher eine Option für den Einzelfall – zumal diese in den Studien mit der alten, konventionellen und nicht mit der modernen OP-Methode verglichen wurden.

Wie operiert man heute?

Eine konventionelle, „offene Operation“ wird in Deutschland nur noch selten gemacht: Hierbei wird ein fünf bis zehn Zentimeter langer Schnitt in der Bauchdecke gesetzt und der Wurmfortsatz durch diese Öffnung entfernt. Die heute gängige Methode ist eine „laparoskopische“ OP. Bei diesem Verfahren reicht meist ein Schnitt von zehn bis zwölf Millimeter Länge, zudem zwei weitere, die nur etwa einen halben Zentimeter lang sind. Durch diese Zugänge führt der Chirurg eine Kameraoptik mit Beleuchtung ein, die ein Bild aus dem Bauchraum auf einen Bildschirm überträgt, zudem die OP-Instrumente (siehe Grafik). Der Vorteil: Die Minischnitte reduzieren das Risiko für Wundinfektionen enorm, beschleunigen die Heilung und sind deutlich weniger schmerzhaft. Dank der Kameraoptik hat der Chirurg zudem eine viel bessere Sicht im Bauch. So kann er zum Beispiel auch Ursachen an anderen Organen – bei Frauen etwa die Eierstöcke – erkennen. Liegt der Wurmfortsatz atypisch, ist er trotzdem gut zu finden und lässt sich dank der beweglichen OP-Instrumente gut entfernen. Bei einer offenen OP war in solchen Fällen früher manchmal ein bis zu 20 Zentimeter langer Schnitt nötig.

Dienstag, 30. April 2024
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