Forschung

Neue Forschung soll helfen, weniger schreckhafte Pferde zu züchten

Ein Artikel von Redaktion | 26.01.2024 - 17:45
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Pferde sind mit einem ausgeprägten Fluchtinstinkt ausgestattet - was im Zusammenleben mit dem Menschen immer wieder zu Problemen führt.   © leszekglasner - stock.adobe.com

In freier Wildbahn müssen Pferde stets wachsam sein und auf mögliche Angreifer achten. Nur wer auf der Hut ist und bei Gefahr blitzschnell die Flucht ergreift, hat eine Chance zu überleben. Seine Programmierung auf höchste Wachsamkeit ist dem Pferd trotz jahrtausendelanger Domestikation bis heute erhalten geblieben – auch wenn es im modernen Alltag in den seltensten Fällen um Leben und Tod geht. Und genau hier liegt auch das Problem im Zusammenleben mit dem Menschen: Der Fluchtinstinkt setzt reflexartig ein, was bedeutet, dass eine Reaktion auf einen angsteinflößenden Reiz nicht den Umweg über das Gehirn nimmt, wo eine rationale Bewertung der Gefahr stattfinden könnte, sondern die Direktverbindung zum Rückenmark. Reaktion und Reflex finden deshalb innerhalb kürzester Zeit statt und machen das Pferd für den Menschen unberechenbar. In seiner Erstreaktion macht es für das Pferd nämlich wenig Unterschied, ob vor ihm plötzlich ein Wolf aus dem Gebüsch springt, ein völlig harmloses Vögelchen aufflattert, oder ob der Wind ein Plastiksackerl am Viereckrand vorbeifliegen lässt. Die Folgen reichen von harmlos über unangenehm bis gefährlich: Das Pferd kann augenblicklich erstarren, mit einem Satz Abstand zwischen sich und die (vermeintliche) Gefahr bringen, es kann aber auch durchgehen, buckeln oder steigen und sich und seinen Menschen damit in arge Bedrängnis bringen.

Eine vertrauensvolle Partnerschaft zwischen Pferd und Mensch und zielgerichtetes Training helfen, die Fluchtbereitschaft Schritt für Schritt zu minimieren. Das braucht Zeit und kann je nach Charakter und Veranlagung des Pferdes schneller von Erfolg gekrönt sein, aber auch zur lebenslangen Aufgabe werden.

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Um aus dem hoch reaktiven Fluchttier Pferd einen verlässliche Sport- und Freizeitpartner zu machen, braucht es ein gutes Miteinander von Pferd und Mensch, das auf Vertrauen und Respekt basiert.
© www.Slawik.com

Forscher:innen der Universität Florida versuchen, dem Problem der pferdigen Schreckhaftigkeit nun auf anderem Wege beizukommen. Sie wollen jene Gene identifizieren, die die Neigung zu schreckhaftem Verhalten beeinflussen, um eines Tages Pferde mit den bevorzugten Temperamenttypen gezielt auswählen oder züchten zu können.

Dazu führten Brooks und ihre Kolleg:innen ein Experiment mit mehreren Gruppen junger Pferde durch, bei dem die Tiere mit kabellosen Herzfrequenzmessern ausgestattet in ein Roundpen gebracht wurden. Dort wurden sie in festgelegten Intervallen Schreckreizen ausgesetzt, z.B. durch einen sich plötzlich öffnenden Schirm. Das Team analysierte dann das Verhalten der Tiere sowie die Veränderung der Herzfrequenz während und nach der ersten Schreckreaktion.

Zwei Typen von Pferden

Bei der Auswertung der Daten kristallisierten sich zwei Typen von Pferden heraus. Typ eins erschrak beim Öffnen des Regenschirms, hatte einen Anstieg der Herzfrequenz und blieb auch nach der Erstreaktion in einem reaktiven oder hyperaufmerksamen Zustand. Pferde dieses Typs richteten ihre Aufmerksamkeit über einen längeren Zeitraum hinweg auf den Regenschirm und gingen auf Distanz zu dem furchterregenden Gegenstand.

Bei Pferden des zweiten Typs führte das schnelle Öffnen des Schirms zu einer vergleichbaren Schreckreaktion mit einem Anstieg der Herzfrequenz. Doch anders als ihre nervösen Kollegen beruhigten sie sich rasch wieder und verhielten sich im Anschluss völlig normal. Diese Tiere nahmen den Reiz wahr und fanden ihn erschreckend, gingen jedoch nicht durch die Verhaltensmuster von Vermeidung und Angst, wie ihre feinnervigen Kollegen.

Auf der Suche nach dem Schreck-Gen

In weiterer Folge möchten Brooks und ihr Team die genetischen Komponenten identifizieren, die ausmachen, wie Pferde auf beängstigende Eindrücke reagieren. Die Kenntnis darüber, wie sich die Genetik auf das Verhalten auswirkt, könnte künftig bei der Wahl des richtigen Pferdes helfen, so die Forscher:innen. „Vielleicht ist ein schreckhaftes Pferd nicht die beste Option für ein zehnjähriges Schulmädchen, für einen Springreiter, der ein sehr reaktives Pferd benötigt, ist es möglicherweise aber genau passend. Wenn wir frühzeitig lernen, welche natürlichen Neigungen ein bestimmtes Tier wahrscheinlich hat, können wir fundierte Entscheidungen über Training und zukünftige Karrieren treffen, um dem Pferd die beste Chance zu geben, sein Potenzial zu entfalten, anstatt ein Problem oder eine Gefahr zu werden“, hofft Brooks.

Die Forschung könnte nicht nur Auswirkungen auf den Reitsport, sondern auch auf den täglichen Umgang haben. Das Verständnis der Reaktion von Pferden auf unangenehme Situationen kann bei medizinischen Verfahren, Transport und anderen Aspekten der Pferdepflege einen Unterschied machen, sind die Forscher:innen überzeugt.

Vorerst wird man sich bei der Beurteilung eines Pferdes allerdings noch auf Beobachtung, Erfahrung und Gefühl verlassen müssen. „Wir kratzen gerade erst an der Oberfläche davon. Es könnte 10 Jahre oder mehr dauern, um wirklich ein klares Verständnis zu haben, aber es lohnt sich“, ist sich Brooks sicher.