Jubiläum in der "Nachspielzeit"

Nur eine erfolgreiche Nachsuche fehlte einem erfahrenen Schweißhundführer am Ende des Jagdjahres, und er hätte die "100" voll gehabt. Doch unverhofft kommt oft.
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05. Juni 2013
Schweißhundführer Frank Dahlem konnte den abgekommenen, apathisch wirkenden Rothirsch schließlich erlösen. Foto: Seeben Arjes
Schweißhundführer Frank Dahlem konnte den abgekommenen, apathisch wirkenden Rothirsch schließlich erlösen. Foto: Seeben Arjes

Als Schweißhundführer Frank Dahlem zum Ende der Jagdzeit auf Schalenwild die Zahl seiner erfolgreichen Nachsuchen im laufenden Jagdjahr zusammenrechnete, waren es 99 Einsätze. Na sowas, dachte er; einer mehr wäre eine runde Zahl gewesen.
Auch am 15. Februar deutete zunächst nichts auf eine Nachsuche hin. Dahlem saß in offizieller Mission der Jägerschaft Soltau vor einem Berg Trophäen, die er für die Hegeschau bewerten sollte. Eine wichtige Aufgabe, die keinen Aufschub duldete. Jedenfalls nicht bis zu dem Moment, als gegen neun Uhr sein Handy klingelte. Er ließ alles liegen und fuhr schnell nach Hause zur Försterei Miele. Dahlems Schweißhund legte sich ohne Aufforderung in den Dienstwagen und wartete routinemäßig auf die Fahrt zum nächsten Einsatz. Diesmal war die Reise kurz. Aus Dahlems eigenem Revier hatte ein Forstwirt angerufen und von einem starken Rothirsch berichtet, der "sehr krank" über einen Weg gewechselt und im angrenzenden Kiefernwald verschwunden war. Lediglich auf drei Läufen sei der apathisch wirkende, bis auf die Rippen abgemagerte Hirsch langsam gezogen, berichtete der Forstwirt.

<div class="absatz">Weder Trittsiegel noch Schweiß<p></div></p>

Dahlem sah sich gemeinsam mit dem Forstwirt den markierten Wechsel genau an. Auf dem gefrorenen kahlen Boden konnten sie aber weder Trittsiegel noch sonstige Zeichen einer Krankfährte entdecken. Insbesondere war da kein Schweiß, der auf eine frische Verletzung gedeutet hätte. Somit blieb die Vermutung, der Hirsch müsse altkrank sein. Die Fährten altkranker Stücke sind für einen Schweißhund nicht leicht zu arbeiten, manchmal gar nicht. Denn ausgeheilte Verletzungen hinterlassen keine Wundwittrung, an der sich die Hundenase normalerweise vorrangig orientiert. Aber Dahlem wollte dennoch versuchen, den Hirsch zu finden. Er gründete seine Hoffnung auf seinen achtjährigen Hannoverschen Schweißhund "Brix" einen extrem erfahrenen und ganz abgeklärten Nachsuchenhund. Kein Wunder, schließlich hatte er bis zu diesem Tag mit seinem Führer bereits 586 erfolgreiche Nachsuchen hinter sich.
Dreieinhalb Stunden war die Fährte inzwischen alt, die Witterung trocken bei Frost. "Brix" nahm die Fährte sofort auf und arbeitete sie zügig. Es gab zwar keinen Schweiß, aber offensichtlich hatte der Hirsch genügend andere Signale hinterlassen, die der Hundenase bedeuteten, dass Aussicht auf Erfolg bestand. Relativ schnell führte der dunkle Hannoveraner Dahlem tief in das sogenannte Scheuerbruch, einem Fichten-Birken-Moorwald nahe des kleinen Dorfes Hustedt. Nie konnte der Führer die Arbeit seines Hundes kontrollieren, nicht einmal Trittsiegel gab es auf dem hart gefrorenen Boden. Aber ein Gespann dieser Professionalität braucht keine Bestätigung, es zweifelt nicht, es vertraut, es weiß.

<div class="absatz">Kein Anblick von geballter Kraft und Schönheit<p></div></p>

Nach fast einem Kilometer Strecke bahnte sich der Erfolg an: In einer unübersichtlichen Verjüngung hörte Frank plötzlich schweres Wild vor sich wegbrechen. Sehen konnte er nichts, aber hören, dass das Stück irgendwie stolpernd flüchtete. In solchen Fällen wartet man nicht. "Brix" war schnell geschnallt und brauchte nicht lange, um den kranken Hirsch einzuholen und zu stellen. Als Dahlem an den Standlaut heran kam, bot sich ihm ein Bild, wie es berühmte Maler immer wieder gemalt haben: Da steht im Sonnenlicht auf einer Blöße ein starker Rothirsch und senkt sein kapitales Geweih gegen einen prächtigen Schweißhundrüden, der ihn mit tiefer Stimme verbellt. Auf den zweiten Blick sah Dahlem aber, dass dies nicht ein Bild geballter Kraft und Schönheit war. Im Gegenteil: Der Hirsch hatte zwar ein sehr starkes Geweih, war aber körperlich schwach, noch im hellen Sommerhaar und abgekommen. Er bewegte sich müde und hilflos, seine Reflexe waren nicht mehr schnell genug, um den kreisenden Hund zu parieren. Eine solche Situation ist auch für den abgeklärtesten Schweißhundführer nicht alltäglich und geht unter die Haut. Trotzdem bereitete Dahlem dem Drama schnell und sicher ein Ende. Vor ihm lag das Ende eines Leidensweges. Ein ehemals stolzer "König der Wälder", der dabei gewesen war, lebendig zu verludern. Durch seine struppig stumpfe Decke stachen Rippen, Rückgrat und Beckenknochen hervor. Der linke Vorderlauf war sehnig verkürzt an eine zertrümmerte Blattschaufel angewachsen, das linke Licht war nur eine leere dunkle Höhle. Wer oder was mochte das arme Tier so zugerichtet haben? Für einen schlechten Schuss sprach nichts, viel aber für ein stumpfes Trauma durch Auto oder Eisenbahn. Völlig unversehrt war sein imposantes Geweih. Ein ungerader Vierzehnender mit nur einseitiger Krone, aber bis oben hin wuchtigen Stangen. Dahlem hatte mit seinen Schweißhunden schon viele Hirsche zur Strecke gebracht, aber einen solch starken noch nicht.

Auf seine große Freude legte sich aber alsbald ein Schatten: Es war der 15. Februar und somit Schonzeit! Und dies war dem Anschein nach ein Hirsch der Klasse I. Davon gibt es nicht viele und noch weniger werden erlegt. Dem Kreisjägermeister werden immer mal wieder "Notabschüsse" mit der Bitte gemeldet, sie nachträglich zu genehmigen. Hans Knoop lässt sich aber nichts vormachen. Er kommt immer selbst zur "Beschau" und entscheidet dann nach eigenem Befund über das Maß der "gehabten Not". Im Hof der alten Försterei brauchte der sachkundige Kreisjägermeister aber nur einmal hinzuschauen. Dann beglückwünschte er den Schweißhundführer zur richtigen Entscheidung im Sinn des Tierschutzes. Dem schloss sich auch der Leiter des Klosterforstamtes FD von Waldhausen gerne an. Das Alter des Rothirsches wurde auf neun bis zehn Jahre geschätzt. Das Geweih hatte ein Gewicht von 7,3 Kilogramm, mehr als 200 IP.
Als Dahlem später vor versammelter Mannschaft bei Hörnerklang ein Bruch überreicht wurde, war bei keinem seiner Kollegen, Jagdhelfer oder Gäste Neid zu spüren. Wenn ein Schweißhundführer neben seiner dienstlichen Arbeit in einem Jagdjahr 99 Mal für andere Jäger erfolgreich nachsucht, hat er dafür einen Lohn verdient. Den hatte ihm nun das Schicksal beschert. Passend zum Jubiläum seiner 100. erfolgreichen Nachsuche einen Lebenshirsch in der "Nachspielzeit".
Seeben Arjes
Link: Video "Anschuss-Seminar mit einem Schweißhund-Führer"


HS-Rüde „Brix“: Über 580 Nachsuchen hat er insgesamt mit seinem Führer erfolgreich beendet. Foto: Seeben Arjes
HS-Rüde „Brix“: Über 580 Nachsuchen hat er insgesamt mit seinem Führer erfolgreich beendet. Foto: Seeben Arjes
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