Wilderei: Die Gier nach abgeworfenen Geweihen

Abwurfstangen sind für viele Personen ein kleiner Schatz. Doch nicht allen ist bewusst, dass das Sammeln Wilderei - und damit strafbar - ist.
Sascha Bahlinger
|
01. März 2023
1 Die gesammelten Abwurfstangen stapeln sich im Keller.
Die gesammelten Abwurfstangen stapeln sich im Keller.

Thomas Bumiller wuchtet die Absperrung aus Holz beiseite. Anschließend fährt er mit seinem Kleinbus auf dem verschneiten Weg in die Wildruhezone. An der Fütterung öffnet der Forstwirtschaftsmeister vorsichtig die Autotür. Er steigt aus. Die dünne Schneedecke dämpft die Schritte kaum. Ein leises „Ratsch“ – das Streichholz brennt. Erst mal die Pfeife anzünden. Kleine Rauchwolken steigen auf. Langsam geht er los. Im Hintergrund brummt der Motor weiter.

„Es ist wichtig, dass man den Motor laufen lässt“, erklärt er. „Das Wild kennt dieses Geräusch und ist deshalb vertraut. Wenn man den Motor aus macht, wissen die Stücke, dass etwas nicht stimmt.“ Zunächst kontrolliert der Württemberger die Fütterungen zusammen mit dem stellvertretenden Forstamtsleiter, Götz Graf Bülow v. Dennewitz. Trittsiegel verraten, dass kürzlich Wild da war. Bumiller nimmt eine Hand voll Heu aus der Raufe und riecht daran. „Da würde man am liebsten selbst reinbeißen.“

Das Futterhaus ist gut gefüllt mit Heu.
Das Futterhaus ist gut gefüllt mit Heu.

Zufrieden macht er sich daran, die Fläche um die Futterstelle nach Abwurfstangen abzusuchen. „Wir suchen eigentlich nur direkt an den Futterraufen und auf den Zufahrtswegen. Tiefer in den Bestand gehen wir nicht.“ In diesem Jahr waren bisher kaum Stangen zu finden. Durch die Eichen- und Buchenmast findet das Rotwild zur Zeit im Wald so viel Äsung, dass die meisten Hirsche ihre Stangen dort abwerfen. Trotzdem stapft Thomas Bumiller rund um die Futterraufen, sein Blick immer auf den Boden gerichtet. Die dürren Blätter unter der feinen Schneeschicht knirschen bei jedem Schritt. Wölkchen aus Pfeifenrauch steigen hinter ihm auf. Plötzlich entdeckt er einige Meter entfernt etwas im Schnee. Dort angekommen, hebt er eine Stange auf, klopft den Schnee ab und betrachtet seinen Fund. Sieben Enden zählt er. Es ist die Stange eines bekannten 14-Enders. Auch „Erdmann“, der junge Rauhaarteckel des Forstamtsleiters findet Gefallen an dem Fundstück.

Im Wintergatter einfacher

Bumiller hält sich den Petschaft der Stange an die Nase und zieht tief die Luft ein. „Man riecht noch den Hirsch“, sagt er und lacht. Manchmal lässt sich der Forstwirt bei der Suche von seinem eigenen Vierbeiner unterstützen. „Meine Hündin hat mir schon mal eine Stange angezeigt, an der ich vorher mindestens viermal vorbeigegangen war“, erzählt er.

<b>Thomas Bumiller riecht am Petschaft einer Abwurfstange. </b>
Thomas Bumiller riecht am Petschaft einer Abwurfstange.

Im Schönbuch betreuen vier Forstwirte und einige Bundesfreiwilligendienstler die Fütterungen. Sie haben das Recht, Stangen einzusammeln. „Gerade für die Forstwirte, die auch am Wochenende nach dem Rechten schauen, soll das eine gewisse Belohnung sein“, sagt Graf Bülow. Die gefundenen Stangen müssen die Beauftragten ihrem Vorgesetzten zeigen. Damit behält man den Überblick über den Hirschbestand. „Es ist immer interessant, die Entwicklung eines Hirschs zu verfolgen“, fährt der Forstamtsleiter fort. „Allerdings rechtfertigt das keine systematische Suche im Bestand.“

In den 1980er- und 1990er- Jahren war es deutlich einfacher, die Stangen zu sammeln und zuzuordnen. Damals hatte der Forstbetrieb im Schönbuch ein Wintergatter für das Rotwild eingerichtet. „Fast der ganze Bestand hat sich im Winter auf etwa 50 Hektar aufgehalten“, erklärt Graf Bülow. Aus jener Zeit gibt es Hirschtrophäen, zu denen alle passenden Stangen der Vorjahre gefunden und archiviert wurden. Allerdings passte das Konzept nicht zur Rotwildbewirtschaftung im Schönbuch – einem Mittelgebirge, erläutert der Forstamtsleiter. Deshalb stehen die Fütterungen nun im Park.

Im Keller von Thomas Bumiller liegen sicher mehr als hundert Abwurfstangen. „Wie viele es genau sind, weiß ich nicht“, sagt er. Mehrere Haufen türmen sich hier auf. Verkaufen will er sie nicht. „Das ist schon ein bisschen wie eine Sucht“, erklärt der Schwabe.

Auch einige besondere Fundstücke sind darunter. Verbreiterte, flächige Kronen, sogar ein Dreistangenhirsch zieht im Schönbuch seine Fährten. Er hebt die Stange hoch und zeigt auf den doppelten Stempel. Aber auch Passstangen und Fundstücke aus mehreren aufeinander folgenden Jahren liegen im hier.

5 Die beiden Abwürfe stammen aus aufeinanderfolgenden Jahren.
Die beiden Abwürfe stammen aus aufeinanderfolgenden Jahren.

„Räuber und Gendarm“- Szenen im Wald

Allerdings sind er und die anderen Forstwirte nicht die einzigen, die sich für den Hauptschmuck interessieren. „Wir haben leider eine recht aktive Szene an illegalen Stangensuchern“, erklärt Graf Bülow. Das Problem daran sei, dass diese sich nicht an Wege halten, sondern gerade in den Dickungen systematisch nach den begehrten Fundstücken suchen. Dabei geht es dem Forstamtsleiter nicht um die entwendeten Abwurfstangen. „Die sind mir relativ egal“, sagt er. Maßgeblich ist für ihn, dass das Wild dadurch massiv gestört wird.

Da die Stoffwechselaktivität von Wildwiederkäuern im ausgehenden Winter deutlich gesenkt wird, ist jede Störung schädlich. „Durch die Beunruhigung wird der Stoffwechsel des Rotwilds hochgefahren es beginnt zu schälen. Dadurch entstehen sowohl ökologische, als auch enorme wirtschaftliche Schäden“, erläutert Graf Bülow. „Wir versuchen, mit Informationsbroschüren und dem Rotwildpfad aufzuklären, das hält diese Szene aber leider nicht davon ab.“

Früher gab es deshalb regelrechte „Räuber und Gendarm“-Szenen im Schönbuch. „Wir haben uns in Futterraufen oder unter Fichten versteckt, um sie direkt vor Ort zu schnappen“, erinnert sich Thomas Bumiller an die 1980er- Jahre. Aber auch die Gegenseite war kreativ: „Die haben sich die Schuhsohlen umgedreht auf die Schuhe genäht, damit man sie nicht verfolgen kann“, erzählt der Forstwirt und schmunzelt.

4 Meistens liegen die Stangen direkt an der Fütterung.
Meistens liegen die Stangen direkt an der Fütterung.

Wegegebot in Notzeit einführen

Heute läuft alles etwas ruhiger ab. Allerdings besteht das Problem weiterhin. Graf Bülow vermutet auch einen historischen Hintergrund hinter der Sammelwut. „Der Schönbuch ist die ehemalige Hofjagd. Das Spiel zwischen Obrigkeit und den Untertanen, denen alles verboten wurde, könnte da eine Rolle spielen.“

6 Die Wildruhezonen sind deutlich ausgeschildert und mit Barrieren gesperrt.
Die Wildruhezonen sind deutlich ausgeschildert und mit Barrieren gesperrt.

Der Forst hat zurzeit kaum eine Handhabe gegen die Sammler. „Man erwischt sie nie mit der Stange in der Hand.“ Dann wäre die ganze Sache eindeutig Wilderei. Aber die Sammler hängen ihre Fundstücke an Ästen auf und holen sie erst in der Nacht wieder aus dem Revier, weiß der Forstamtsleiter. Und über die Flächen zu gehen ist nicht strafbar. Bis jetzt. In den Wildruhezonen besteht bereits ein Wegegebot. „Das baden-württembergische Jagd und Wildtiermanagementgesetz ermöglicht es, für die Notzeit ab Ende Januar ein Wegegebot für die gesamte Fläche zu verhängen. Dann ist auch das Betreten der Bestände bereits eine Ordnungswidrigkeit“. Im Gegenzug überlegt das Forstamt, im April, wenn die Vegetationsperiode wieder beginnt, der Öffentlichkeit einen offiziellen Stangensuchtag anzubieten.

Für Thomas Bumiller ist klar, dass bei allem Reiz des Stangensuchens das Wohl des Rotwilds und der Schutz des umliegenden Walds vorgehen. „Wenn ich weiträumiger in den Beständen suchen würde, wäre ich ja auch nicht besser als die Illegalen.“

+++ Der Beitrag stammt aus dem Jahr 2019 ++++

Sascha Bahlinger
|
01. März 2023
Weitere Funktionen