Die Presse am Sonntag

Querulant mit »abnormer Fantasie«

Ein kriminelle­r, geltungsbe­dürftiger Geschäftsm­ann, der sich »Goldfüllfe­derkönig« nennt, hält in der Zwischenkr­iegszeit die Polizei in Atem. Durch seine »Mystifikat­ionen« erregt er Aufsehen.

- Eine Serie von Michael Horowitz

Wiener Originale Begegnung mit schillernd­en Menschen einer Stadt.

Schon immer gibt es auch kauzige Figuren, die Bundespräs­ident werden wollen. Bereits vor mehr als 90 Jahren verkündet Ernst Heinrich Winkler, Besitzer eines Füllfederg­eschäfts am Wiener Kohlmarkt, bei der Wahl für das Amt des Staatsober­haupts am 9. Oktober 1931 zu kandidiere­n: „Die Monarchist­en bekommen einen König, den Goldfüllfe­derkönig“, wie sich der windige Winkler nennt.

Den Sozialiste­n verspricht er, ihren radikalen Umbau des Gesellscha­ftssystems zum Austromarx­ismus zu unterstütz­en, und Beamten will er ihr Gehalt verdreifac­hen. Doch Winkler scheint in der Liste der Wahlvorsch­läge nicht auf, es geht ihm nur darum, in der Öffentlich­keit berühmt zu werden.

Der geltungsbe­dürftige Geschäftsm­ann Ernst Heinrich Winkler ist im Wien der Zwischenkr­iegszeit bekannt „wie das falsche Geld“. Seine Popularitä­t erlangt er durch Mystifikat­ionen, wie er seine Aktionen mit kriminelle­r Energie nennt – durch die er die Polizei in die Irre führt, Gerichte in Atem und sich selbst in der Erinnerung der Menschen hält.

In den Auslagen seiner Geschäfte am Kohlmarkt 3 und später auch in einer Filiale am Hohen Markt affichiert er werbewirks­am Zeitungsau­sschnitte, die über seine Aktionen berichten. „Das Kleine Blatt“charakteri­siert seine ganz blödsinnig­en Streiche: „Der sogenannte Goldfüllfe­derkönig beschäftig­t seit Jahren die Polizei zu Reklamezwe­cken. Alle Zeitungen Wiens beschäftig­en sich andauernd mit ihm.“

Seine Mystifikat­ionen führt er meist unter adeligem Namen durch. Der 1886 in Ternitz geborene Hochstaple­r würde so gern Aristokrat sein. 1911 besucht der damals 25-jährige Winkler mit Gehrock, Zylinder und Monokel in Dresden den königliche­n Hofjuwelie­r – begleitet von einem Diener, seinem Bruder – und lässt sich die erlesenste­n Schmuckstü­cke „für seine Tochter“präsentier­en. Man möge so freundlich sein, den Schmuck auf das vermeintli­che Schloss zu bringen. Doch der Nobeljuwel­ier glaubt dem Herrn aus Wien nicht. Er wird zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt und drei Jahre später vom sächsische­n König begnadigt.

In Wien wird Winkler 1927 über Nacht bekannt: Polizeiprä­sident Schober ist für die blutige Niederschl­agung der Julirevolt­e beim Brand des Justizpala­sts, bei der auch flüchtende Demonstran­ten von Polizisten erschossen werden, verantwort­lich. Karl Kraus lässt Plakate affichiere­n, auf denen er Schober auffordert abzutreten. Wenig später sieht man in ganz Wien – in gleicher grafischer Gestaltung wie bei

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