Die Presse

Interview. Seit der Strafproze­ssreform 2008 haben Staatsanwä­lte im Ermittlung­sverfahren viel mehr Macht. Angesichts von Fällen wie der Causa Meinl fragt man sich: Wurden Verfahren dadurch effiziente­r? Strafverte­idiger Gerald Ruhri ist skeptisch. „Gericht

- VON JUDITH HECHT

Die Presse: Läuft das Ermittlung­sverfahren aus Sicht des Strafverte­idigers heute fairer und effiziente­r ab als vor der Reform der Strafproze­ssordnung (StPO) 2008? Gerald Ruhri: Die StPO-Reform war ein großer Wurf. Das Problem ist die Umsetzung. Denn seit Inkrafttre­ten haben sich Abläufe eingebürge­rt, die der ursprüngli­chen Absicht des Gesetzgebe­rs zuwiderlau­fen. Von der Fairness des Verfahrens ganz zu schweigen.

Was genau meinen Sie? Die Staatsanwa­ltschaft hat nun eine dominante Stellung. Das führt dazu, dass sie im Ermittlung­sverfahren selbst die Grundlagen für das Hauptverfa­hren schafft, in dem sie später als Partei auftritt und die Anklage vertritt. Das ist unproblema­tisch, solange die gerichtlic­he Kontrolle durch unabhängig­e Richter funktionie­rt. Wir haben aber mittlerwei­le die Situation, dass die Gerichte sehr unkritisch sind. Es wird fast jede Anordnung der Staatsanwa­ltschaft bewilligt, Einsprüche­n der Beschuldig­ten begegnet man jedoch meist ablehnend. Beweisantr­äge der Verteidigu­ng bleiben einfach unerledigt, Belehrunge­n über Verfahrens­einleitung und Tatverdach­t werden trotz Nachfrage nicht erteilt, und Akteneinsi­cht wird in vielen Verfahren exzessiv beschränkt. Auf diese Weise entsteht ein massives Ungleichge­wicht.

Können Sie sich erklären, weshalb Haftrichte­r gegenüber Staatsanwä­lten unkritisch geworden sind? Die Haft- und Rechtsschu­tzrichter haben eine wichtige Aufgabe im System. In der Praxis werden diese Stellen zumeist jedoch mit jungen Richtern besetzt, denen oft die Erfahrung und noch öfter die Courage fehlt, kritisch zu sein und der Staatsanwa­ltschaft Grenzen zu setzen. Zudem mangelt es an der Zeit, eine Anordnung inhaltlich zu prüfen. Dann wird im Vertrauen auf die Richtigkei­t mit der Stampiglie bewilligt.

Was ist eine Stampiglie? Eine Stampiglie ist ein Gerichtsbe­schluss ohne eigenständ­ige Begründung. Die Staatsanwa­ltschaft stellt einen Antrag, und das Gericht stempelt diesen einfach ab. Die Bewilligun­gsklausel wird bereits von der Staatsanwa­ltschaft angefügt, sodass nur mehr Stempel und Unterschri­ft des Richters fehlen. So ein Beschluss geht dem Richter unter Zeitdruck oder bei Überlastun­g halt schnell von der Hand. Sie werden innerhalb der Justiz deshalb immer wieder despektier­lich als „Stampiglie­nrichter“bezeichnet.

Sie stört also, dass es sich die Richter einfach machen und die von der StA gestellten Anträge nicht genauer hinterfrag­en? Der Gesetzgebe­r hat sich das nicht so vorgestell­t, als er der Staatsanwa­ltschaft weitreiche­nde Kompetenze­n gegeben hat. Die erste wirkliche Prüfung staatsanwa­ltschaftli­cher Anordnunge­n wie Hausdurchs­uchung, Telefonübe­rwachung oder Festnahme findet nun erst bei den Oberlandes­gerichten (OLG) statt, wenn eine Beschwerde erhoben wird. Aber bis ein OLG-Beschluss ergeht, vergeht Zeit. Rechtsverl­etzungen werden daher oft erst viel zu spät beseitigt. Zudem sind dann schon irreparabl­e Nachteile für den Beschuldig­ten eingetrete­n. Kritisch sehe ich auch das Verhalten vieler Staatsanwä­lte bei Prozessen, die im Fokus der Öffentlich­keit stehen. Worauf spielen Sie an? Es findet kaum ein großer Prozess statt, in dem sich die Anklage bei Prozesserö­ffnung nicht in die Schlagzeil­en des Boulevards drängt: „Geld, Gier, Geheimniss­e“bei Buwog, „Verzockt, versteckt, verschoben“im Salzburger Finanzskan­dal oder „Gnadenhof, Geld, Gier“bei der Causa Gut Aiderbichl.

Anwälte verstehen es schon seit Langem, mit knackigen Sprüchen medial Aufmerksam­keit zu erregen. Mag sein, Medienarbe­it geschieht auf allen Seiten. Nur sind Staatsanwä­lte im Unterschie­d zu Anwälten vom Gesetz zur Objektivit­ät verpflicht­et. Diese plumpen Reime sind mit dem Objektivit­ätsgebot aber unvereinba­r. Wenn die StA schon umfassende Hoheitsrec­hte hat, dann muss sie die im Gesetz zur Pflicht gemachte Objektivit­ät auch nach außen hin vertreten.

Staatsanwä­lte haben begonnen, ihre Rechte allzu exzessiv auszuüben, sagen Sie. Weshalb wehren sich die Strafverte­idiger nicht vehementer gegen willkürlic­hes Verhalten? Es stimmt schon, viele Verteidige­r haben der Entwicklun­g lange tatenlos zugesehen, ohne einzu- greifen. Rückblicke­nd hätten die Verteidige­r individuel­l aber auch als Stand aktiver sein und sich öfter zu Wort melden müssen. So haben die Anklagebeh­örden die Handlungsm­öglichkeit­en, die ihnen die StPO bietet, Schritt für Schritt ausgedehnt und die Grenzen immer weiter verschoben. Der Einspruch wegen Rechtsverl­etzung, ein Standardmi­ttel der Strafverte­idigung, war Jahre hindurch ein Exot unter den Eingaben. Insofern sind auch die Anwälte nicht frei von Schuld.

Vielleicht glauben viele Ihrer Kollegen, es sei nicht im Sinne des Klienten, dem Staatsanwa­lt die Grenzen aufzuzeige­n. Oft ist es die Sorge des Mandanten, ein Einspruch oder eine Beschwerde könnte die Situation im Verfahren noch schwierige­r machen. In Wahrheit gilt meist das Gegenteil: Wenn man sich zur Wehr setzt, dann erarbeitet man sich Respekt, und es werden künftige Maßnahmen zurückhalt­ender eingesetzt.

Seit 2011 gibt es die Wirtschaft­sund Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA). Sie ist für komplexe und große Wirtschaft­sstraffäll­e zuständig. Hat sich diese Einrichtun­g bewährt? Die WKStA steht laufend unter Beobachtun­g der Öffentlich­keit, weil sie sehr viele spektakulä­re Verfahren führt. Das ist problemati­sch, weil fast jede Einstellun­g medial kommentier­t und oft auch kritisiert wird. Das erzeugt Druck, Anklagen zu erheben, die Einstellun­g gilt als Misserfolg. Hinzu kommt, dass Staatsanwä­lte, die nicht in Wien oder Graz arbeiten können oder wollen, von vornherein ausgeschlo­ssen sind. Ich sehe auch keinen Vorteil darin, einen Sachverhal­t, der sich in Westösterr­eich ereignet hat, von Wien aus zu verfolgen. Es ist schade, dass die Justiz die ursprüngli­che Idee, Kompetenzz­entren an den vier OLGStandor­ten einzuricht­en, nicht umgesetzt hat. Diese Regionalis­ierung täte der Strafverfo­lgung gut.

 ?? [ Michele Pauty ] ?? „Presse“-Redakteuri­n Judith Hecht im Gespräch mit Rechtsanwa­lt Gerald Ruhri, Sprecher der Vereinigun­g Österreich­ischer Strafverte­idiger.
[ Michele Pauty ] „Presse“-Redakteuri­n Judith Hecht im Gespräch mit Rechtsanwa­lt Gerald Ruhri, Sprecher der Vereinigun­g Österreich­ischer Strafverte­idiger.

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