Hamburger Morgenpost

… Studenten der Springer-Presse einheizten

12.4.1968 Nach dem Anschlag auf Rudi Dutschke kam es zu den größten Ausschreit­ungen seit Kriegsende

- Von OLAF WUNDER

Es sind die bis dahin schlimmste­n Ausschreit­ungen in Hamburg seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Am 12. April 1968 versammeln sich 2000 Menschen auf der Moorweide und marschiere­n zum Verlagshau­s von Axel Springer. Die Wut auf den mächtigen Zeitungsko­nzern ist riesig. Denn die Demonstran­ten geben der Springer-Presse eine Mitschuld am Anschlag auf Rudi Dutschke am Tag zuvor. „Springer! Mörder!“, rufen sie. Hamburg ist Ende der 60er Jahre neben Berlin eine der Hochburgen der Studentenp­roteste. Viele junge Menschen sind unzufriede­n. Nazis, die noch in Amt und Würden sind, die geplante Notstandsv­erfassung, der Vietnamkri­eg und fehlende studentisc­he Mitbestimm­ungsrechte – all das ruft Rebellion hervor. Die jungen Menschen wollen eine andere, eine neue Republik.

Dazu, dass sich in Hamburg die Studentens­chaft noch stärker radikalisi­ert als anderswo, hat der Senat entscheide­nd beigetrage­n, als er im Juni 1967 die Polizei anwies, Menschen niederzukn­üppeln, nur weil sie friedlich gegen den Besuch des persischen Schahs Reza Pahlavi demonstrie­rten. Bürgermeis­ter Herbert Weichmann (SPD) ist es danach nie mehr gelungen, das Vertrauen der Studenten zurückzuge­winnen. „Du Kommuniste­nschwein“, ruft er und drückt drei Mal ab Ganz Deutschlan­d ist 1968 vergleichb­ar mit einem Pulverfass. Ein gewisser Josef Bachmann sorgt dafür, dass es in die Luft fliegt. Am Morgen des 11. April ist der 23-jährige Hilfsarbei­ter mit einem Zug aus München in Berlin angereist. Vor dem Haus Kurfürsten­damm 140 stellte er sich einem Mann in den Weg, der als Wortführer der Studentenp­roteste Popularitä­t genießt. „Sind Sie Rudi Dutschke?“, fragt Bachmann. Als sein Gegenüber mit „Ja“antwortet, ruft der Attentäter: „Du dreckiges Kommuniste­nschwein!“, zieht eine Pistole und drückt ab: Dutschke wird zwei

Mal im Kopf und ein Mal in der Schulter getroffen. Er überlebt, stirbt aber 1979 an den Spätfolgen.

Das Attentat löst Protestwel­len aus: In 27 Städten kommt es an den Ostertagen 1968 zu Ausschreit­ungen, aber nirgendwo so gewaltsam wie in Berlin und Hamburg. Gesteuert werden die Demonstrat­ionen zentral vom Sozialisti­schen Deutschen Studentenb­und (SDS). Und dass sie sich überall gegen Betriebsst­ätten des Springer-Verlags richten, ist kein Zufall.

Denn für die Demonstran­ten besteht überhaupt kein Zweifel, wer den Attentäter angestache­lt hat: Springer. Die Zeitungen dieses Verlags haben in den Monaten davor tatsächlic­h keinen Hehl daraus gemacht, wo sie stehen: nicht aufseiten der aufsässige­n Jugend jedenfalls. Immer wieder hat „Bild“gefordert, der „Terror der Jungroten“müsse gestoppt werden, und zwar „jetzt!“Und weiter: „Man darf die ganze Drecksarbe­it nicht der Polizei und ihren Wasserwerf­ern überlassen.“Ein sehr gefährlich­er Satz, den Attentäter Bachmann möglicherw­eise verinnerli­cht hat. Jens Litten findet: „Jetzt muss der offene Kampf beginnen“Noch am Tag der Schüsse auf Rudi Dutschke kommt es in Berlin zu Ausschreit­ungen. 24 Stunden später – es ist Karfreitag – geht es in Hamburg weiter, wo am Abend ein großer Protestzug mit roten Fahnen, Transparen­ten und Plakaten aufmarschi­ert. Studentens­precher Jens Litten ruft: „Unser bisheriger Protest gegen die autoritär-faschistis­chen Tendenzen konnte diese nur bloßlegen. Jetzt müssen wir jedoch den offenen Kampf gegen sie beginnen!“

Das Springer-Verlagshau­s ist von einem massiven Polizeiauf­gebot umstellt, als der Protestzug dort gegen 20 Uhr eintrifft. Die Demonstran­ten verstopfen sämtliche Straßen rundherum und wollen so verhindern, dass Zeitungen ausgeliefe­rt werden. Als die Polizei mit Wasserwerf­ern und Gummiknüpp­eln den Versuch unternimmt, eine Schneise zu schlagen, damit die Springer-Lieferwage­n durchkomme­n, wird aus der Belagerung eine Straßensch­lacht. Ein erster Durchbruch­sversuch scheitert am Steinhagel der Studenten. Erst beim zweiten Mal ist die Polizei siegreich. 79 Beamte werden zum Teil schwer verletzt.

Der Anschlag auf Dutschke stellt eine Zäsur in der Nachkriegs­geschichte dar. Er ist der Höhepunkt der Studentenu­nruhen. Unter den Menschen, die wegen Dutschke auf die Straße gehen, kommen etliche zu der Erkenntnis, dass mit friedliche­n Mitteln die herrschend­en Verhältnis­se nicht zu ändern sind. Nun wollen sie es mit Gewalt probieren. Es ist die Geburtsstu­nde der Roten Armee Fraktion (RAF).

 ??  ?? Die Studenten geben dem Springer-Verlag eine Mitschuld am Anschlag auf Rudi Dutschke. Er ist Kopf und Gesicht der 68er Studentenp­roteste: Rudi Dutschke (1940-79). 1968 erleidet er bei einem Attentat schwere Hirnverlet­zungen.
Die Studenten geben dem Springer-Verlag eine Mitschuld am Anschlag auf Rudi Dutschke. Er ist Kopf und Gesicht der 68er Studentenp­roteste: Rudi Dutschke (1940-79). 1968 erleidet er bei einem Attentat schwere Hirnverlet­zungen.
 ??  ?? Demonstran­ten versuchen, die Auslieferu­ng von Zeitungen zu verhindern. Polizeibea­mte gehen entschloss­en gegen die rebelliere­nden Studenten vor. Blut im Gesicht und auf der Uniform: 79 Beamte werden teils schwer verletzt.
Demonstran­ten versuchen, die Auslieferu­ng von Zeitungen zu verhindern. Polizeibea­mte gehen entschloss­en gegen die rebelliere­nden Studenten vor. Blut im Gesicht und auf der Uniform: 79 Beamte werden teils schwer verletzt.

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