Sterbende Riffe retten
Korallenriffe könnten in absehbarer Zeit fast komplett verschwinden – neue Zuchtmethoden sollen helfen
Die Prognosen könnten kaum gruseliger sein. Während in den tropischen Regenwäldern unserer Erde Feuer und Kettensägen wüten, droht ihren Pendants in den Ozeanen, den Korallenriffen, eine womöglich noch radikalere Zerstörung. Durch den Klimawandel steigen auch im Meer die Temperaturen. Je wärmer das Wasser, desto größer die Gefahr von sogenannten Korallenbleichen. Für die vormals bunten Polypen enden diese oft tödlich.
Die Häufigkeit der Bleichen hat in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zugenommen. Andauernde Hitzewellen wie jene, die im Sommer 2016/17 das Great Barrier Reef vor der Ostküste Australiens heimsuchte, lösen leicht ein Massensterben aus. „Wir könnten weltweit 75 bis 90 Prozent unserer Korallenriffe verlieren“, erklärt der Meeresbiologe Carlos Duarte. „Das wollen wir nicht akzeptieren.“
Duarte arbeitet als Forscher an der saudi-arabischen King Abdullah University of Science and Technology (Kaust) und gehört einer wachsenden Gruppe von Fachleuten mit revolutionären Ideen an. Sie setzen zur Rettung der Riffe nicht nur auf Konzepte des klassischen Naturschutzes. Die Einrichtung von Reservaten, die Verbesserung der Wasserqualität und ähnliche Maßnahmen, so argumentieren die Experten, werden schlichtweg nicht ausreichen. Stattdessen müsse man geschädigte oder zerstörte Korallenriffe gezielt renaturieren, eine Art Wiederaufforstung also, die unter der Wasseroberfläche stattfindet. Außerdem sollten die Korallen widerstandsfähiger gemacht werden – ein Stärkungsprogramm für härtere Umweltbedingungen.
Künstliche Vermehrung
Inzwischen gibt es auf diesem Gebiet eine Reihe unterschiedlicher Ansätze. Einige davon kommen bereits zur praktischen Anwendung. Am weitesten verbreitet ist das „coral gardening“, das Korallengärtnern. Dazu werden junge Stöcke entweder in Becken oder in abgegrenzten Arealen auf dem Meeresgrund aufgezogen und anschließend ausgepflanzt. Die Setzlinge gewinnt man meist durch ungeschlechtliche Vermehrung. Ähnlich wie in der Pflanzenzucht werden von größeren Kolonien Ableger entnommen und zum Wachsen auf einen geeigneten Untergrund angebracht. Künstliche Vermehrung mit Spermien und Eizellen ist ebenfalls möglich. Die daraus hervorgehenden Larven lassen sich für spätere Pflanzungen in Aquarien aufziehen oder direkt in geschädigten Riffen „aussäen“.
Bisher wurden solche Projekte allerdings nur im kleinen Rahmen durchgeführt. Und sie seien sehr teuer, berichtet Duartes ebenfalls an der Kaust tätiger Kollege Sebastian Schmidt-Roach. „Ein Hektar kostet im Schnitt 400 000 Dollar (rund 338 000 Euro).“Die Verfahren benötigen deshalb eine effiziente Hochskalierung – nicht nur, um den finanziellen Aufwand zu senken. Das mittlerweile schwer angeschlagene Great Barrier Reef hat eine Ausdehnung von insgesamt knapp 349 000 Quadratkilometern. Wer hier auch nur einen Teil erfolgreich renaturieren will, benötigt agrarindustrielle Methoden. Oder könnte man der Natur doch mehr Arbeit selbst überlassen?
Stille Reserven für eine Anpassung Das Potenzial dazu ist wahrscheinlich vorhanden. Die meisten Korallen würden am Rande ihrer thermischen Toleranz leben, erläutert die Biologin Madeleine van Oppen vom australischen Meeresforschungsinstitut Aims in Townsville. „Sie haben sich an die lokalen Bedingungen ihrer Lebensräume angepasst.“Im Erbgut vieler Korallenspezies könnten gleichwohl stille Reserven für eine Anpassung an sich ändernde Bedingungen schlummern. So scheint es zum Beispiel zahlreiche regional unterschiedliche Genotypen zu geben. Die Experten hoffen, dass diese Vielfalt den Schlüssel für eine erhöhte Hitzeresistenz enthält. Es wird bereits intensiv danach gesucht.
Das Aufspüren solcher besonders robuster Korallenstämme würde auch einen radikalen menschlichen Eingriff begünstigen: die assistierte Evolution. Der natürliche Anpassungsprozess soll durch gezielte Züchtung beschleunigt werden. Madeleine van Oppen und ihre Kolleginnen am Aims können diesbezüglich schon erste Erfolge verzeichnen. Die Expertinnen kreuzten Steinkorallen aus dem warmen, äußersten Norden des Great Barrier Reef mit Artgenossen aus dem kühleren Zentralbereich des Riesenriffs. Ein Teil der daraus hervorgegangenen Larven und Jungkorallen zeigte sich deutlich widerstandsfähiger gegen überhöhte Temperaturen. Gleichzeitig nahm die genetische Vielfalt innerhalb der Nachwuchsgeneration zu. Das sei ein wesentlicher Vorteil, sagt van Oppen. Mehr Varianz im Erbgut begünstigt die Anpassung. Wissenschaftler des Hawai’i Institute of Marine Biology (HIMB) haben ähnliche Versuche durchgeführt, mit vergleichbaren Resultaten.
Eine komplexe Lebensgemeinschaft Das Augenmerk der Riffretter richtet sich allerdings nicht nur auf die Blumentiere selbst. „Eine Koralle ist eine komplexe Lebensgemeinschaft“, sagt Sebastian SchmidtRoach. Jeder Korallenpolyp beherbergt scharenweise Bakterien und einzellige Algen, sogenannte Zooxanthellen. Letztere verleihen den Stöcken einen Teil ihrer Farben. In erster Linie dienen diese Symbiosen der Nahrungsversorgung. Der Polyp bietet seinen Algen sichere Unterkunft sowie eine stete Zufuhr an Kohlendioxid für die Photosynthese und bekommt im Tausch dafür reichlich Zucker. Im
Falle einer Bleiche zerbricht das Bündnis jedoch. Die Zooxanthellen verlassen ihren Wirt, vermutlich werden sie sogar von ihm aktiv hinausbefördert.
Der direkte Auslöser des Konflikts scheint biochemischer Natur zu sein. Bei der Photosynthese durch die Algen fallen nicht nur Zucker, sondern zum Teil auch hoch aggressive Sauerstoffradikale (ROS) an. Deren Produktion wird durch Wärme begünstigt. Den Polypen bleibt anscheinend nur eine Wahl: Entweder sie jagen ihre Symbionten vom Hof, oder sie werden von ihnen vergiftet.
Die Vertreibung indes ist auf Dauer keine Lösung. Ohne Zooxanthellen fehlt den Wirten ihre Hauptnahrungsquelle. Ihnen droht der Hungertod. Aber es gibt auch hier Perspektiven. Manche symbiotische Algenspezies produzieren bei Hitze offenbar weniger ROS. Madeleine van Oppen und ihr
Auch die assistierte Evolution wird die Korallen nicht auf Dauer schützen. Madeleine van Oppen, Biologin
Wir könnten weltweit 75 bis 90 Prozent unserer Korallenriffe verlieren. Carlos Duarte, Meeresbiologe
Team haben solche Zooxanthellen bei hohen Temperaturen in ihrem Labor weitergezüchtet. Die Symbionten zeigen eine gesteigerte Hitzetoleranz, die Wirtskorallen eine verbesserte Resistenz gegen Bleiche. Anscheinend bieten also auch die Symbiosen ein erhebliches Anpassungspotenzial und lassen sich womöglich gezielt optimieren.
Die Experten an der Kaust verfolgen noch einige andere Ideen. Man plant die Integration von Korallenaufzuchtbassins und speziellen Schaubecken in nachhaltig gestalteten urbanen Küstenlandschaften. „Wie ein botanischer Garten“, sagt Sebastian SchmidtRoach. „So schafft man eine Brücke zwischen Land und Meer.“Diese Verbindung solle vor allem auch das Umweltbewusstsein der Bevölkerung steigern. Carlos Duarte entwickelt derweil ein Verfahren zum 3D-Drucken von großen Korallenstöcken. Das Skelett wird aus mineralischer Masse geformt, welches danach ausgewählten Polypen als Wachstumsunterlage dient. „So können wir in wenigen Monaten eine Kopie von einer Kolonie erstellen, die schon 200 Jahre gewachsen ist“, schwärmt Duarte.
Madeleine van Oppen indes warnt trotz der vielen neuen Ansätze vor zu großem Optimismus. Dies alles seien höchstens Übergangslösungen, betont die Wissenschaftlerin. Auch die assistierte Evolution werde die Korallen nicht auf Dauer schützen. „Wir können das nicht für Hunderte verschiedene Arten machen, und es wird die Riffe nicht retten, wenn wir den Klimawandel nicht stoppen.“