39. Sankt Johannisloge ›Zum Morgenstern‹ – verbotener Zutritt zum Freimaurertempel

Johann Heinrich Mintzel (1763–1840) – ein Freimaurer

Mein Ururgroßvater, der Hofer Buchdrucker und Zeitungsverleger Johann Heinrich Mintzel (1763–1840), war ein überzeugter und bis an sein Lebensende engagierter Freimaurer. Er war im Jahre 1800 von Bayreuth nach Hof übergesiedelt und hatte um die Jahreswende 1800/1801 die Mintzelsche Buchdruckerei vom Alten Gymnasium zurückgekauft und das Verlagsrecht des ›Höfer Intelligenz-Blattes‹ erworben. Dabei war ihm sein Freimaurerbruder Johann Theodor Benjamin Helfrecht, der Rektor des Alten Gymnasiums, behilflich gewesen. In Bayreuth hatte Mintzel der Loge ›Eleusis zur Verschwiegenheit‹ angehört. In Hof war er zunächst in die Loge ›Zur Goldenen Waage‹ und nach deren Auflösung 1815 in die Loge ›Zum Morgenstern‹ aufgenommen worden. Er durchlief, in der Sprache der Logen ausgedrückt, die drei Grade der ›Johannismeisterei‹, den Initiationsweg vom Lehrling über den Grad des Gesellen zum Meister. Nachdem er 1819 den Grad eines Meisters erreicht hatte, konnte Mintzel ›Logenbeamter‹ werden. Er versah in den Jahren von 1822 bis 1826 das Amt des Ersten Aufsehers, von 1827 bis 1834 das Amt des Repräsentanten der ›Großen Provinzialloge Zur Sonne‹, die sich seit 1829 kurz ›Großloge‹ nannte, und wurde 1835 in der Loge ›Zum Morgenstern‹ zugeordneter Meister. In dieser Funktion hatte er den Meister vom Stuhl bei der ›Führung des Hammers‹ zu unterstützen und zu vertreten. Mintzel bekleidete somit freimaurerische Spitzenämter. Er gehörte dem inneren Zirkel an. In seinen Logenämtern trug Mintzel ein blaues Band mit besonderen für das jeweilige Amt typischen Abzeichen. Jedes Werkzeug hat dabei seine eigene Bedeutung: Der Winkel steht für Moral, Rechtschaffenheit und fairen Handel, der Zirkel symbolisiert Aufrichtigkeit und Treue. Das Lot und die Wasserwaage sind Symbole des Gesellengrades.


Georg Riess, Geschichte der gerechten und vollkommenen Sankt Johannisloge ›Zum Morgenstern‹ im Orient Hof 1924–1949, Titelseite, Hof 1949


Georg Riess, Geschichte der gerechten und vollkommenen Sankt Johannisloge ›Zum Morgenstern‹ im Orient Hof 1924–1949, Seite IV, Hof 1949

Was mag den Buchdruckerherren und Zeitungsverleger bewogen haben, in der Loge ›Zum Morgenstern‹ über die drei Stufen der ›Versittlichung‹ zum Meister aufzusteigen und sich als Logenbeamter zu engagieren? Was hatte ihn angetrieben, als Hofer Repräsentant in der Großloge ›Zur Sonne‹ in Bayreuth zu wirken? Unsere Kenntnis der menschlichen Psyche spricht dagegen, dass es nur rein ideelle Gründe waren. Wer könnte von sich schon behaupten, immer nur lupenreinen Beweggründen zu folgen? Sicher, er war ein ›Suchender‹ und ein ›Gottsucher‹ gewesen, einer, der an die Unsterblichkeit geglaubt hatte. Er hatte sich zeitlebens fortgebildet, sich im besten Sinne zu einem ›gebildeten Handwerker‹ entwickelt und in der Loge gleichgesinnte Bürger gefunden, die sich der sittlichen Selbstveredelung und der Veredelung des Menschentums verschrieben hatten.

Seine Zeit war, wie die unsere heute, eine Umbruchzeit, eine Wendezeit, eine ›Axialzeit‹ (Karl Jaspers). In der Metternich-Ära bäumte sich das überkommene Feudalsystem noch einmal auf und zeigte seine polizeistaatlichen Klauen und Krallen. Das aufstrebende Bürgertum war sich seiner eigenen Entwicklung noch nicht gewiss. Der Freimaurer Mintzel dachte vermutlich, dass gerade in Zeiten des Umbruchs Alternativen aufgezeigt werden müssten, weil erst das Denken in Alternativen ein freies Denken und damit die Entwicklung eines freiheitlich-humanen Bürgerbewusstseins ermögliche. Der Mensch steht immer vor der Alternative, entweder zuzuschauen, wie Mächtige in den Weltlauf eingreifen und ihre Herrschaft den Untertanen aufdrücken, oder selbst einzugreifen. Mein Ururgroßvater wollte etwas tun, am Weltenlauf nach seinen Kräften mitarbeiten, etwas bewegen. Aber wo anpacken? Welchen Weg einschlagen? Die Freimaurerei schien ihm eine Alternative zu überkommenen Denk- und Handlungsmustern zu bieten. Sie schien es ihm zu ermöglichen, zumindest für Stunden und Tage aus dem kleibürgerlichen Untertanenmuff ins Licht einer geistigen Welt zu gelangen und die Verhältnisse zu überschreiten, an denen er litt. Die Freimaurerei versprach beides: Bei sich selbst zu beginnen und sich in Stufen zu einem gesitteten Menschen emporzuarbeiten und zugleich am ›Bau der Menschheit‹, an der Kultivierung des Menschentums mitzuwirken. Die Stadt Hof und ihre Umgebung blieben allerdings ein karger Boden für die empfindlichen Pflanzen des Geistes und einer freimaurischen Humanität.

Im 18. Jahrhundert bis zur Mitte des 19 Jahrhundert hatte die Freimaurerei als eine Vereinigung ehrwürdiger, edel gesinnter Bürger besonderen Respekt genossen. Sie hatte zu ihren Mitgliedern viele Prominente aus Kultur, Staatsverwaltung, Politik und Gewerbe gezählt. Die weltbürgerliche und philanthropische Orientierung hatte den Patriotismus der Freimaurer vor chauvinistischen und martialischen Auswüchsen bewahrt. Freimaurerei und Aufklärung hatten weitgehend identische Ziele. Freimaurer waren sich im Wesentlichen darin einig, dass Nation, Konfession und Geburt der wahren Humanität als höchstem Wert untergeordnet sein sollten. Zu den Zielen der Logen hatte die Überwindung ständischer und zunfteigener Schranken gehört. Freimaurerlogen hatten deshalb als Vorreiter demokratischer Prinzipien gegolten.

Profane und Eingeweihte

Der Weg von Mintzels Wohn- und Druckhaus am Maxplatz – es war in Hof an der Saale das zweite Stammhaus der Druckerdynastie Mintzel – zum Logengebäude war nicht weit. Er überquerte den Maxplatz, bog an der Michaeliskirche nach rechts in den Kirchplatz ein und ging über den oberen Teil der Ludwigstraße, der früheren Ersten Gasse, zum Gasthaus vor dem Oberen Tor. Vielleicht blieb er ab und zu am ehemaligen ersten Wohn- und Stammhaus der Drucker Mintzel stehen, am Haus Ludwigstraße 85, wie ich es später auf meinen Reisen nach Hof ebenso tat.

In der Loge ›Zum Morgenstern‹ galten, wie in der Freimaurerei allgemein, von Anfang an strenge Schweigeregeln, die vor Einmischungen und Kritik von außen schützen und dem inneren Zusammenhalt dienen sollten. Die Verschwiegenheitspflicht galt für die ›Tempelarbeit‹, also für die geheimen rituellen Lehren und Praktiken, für die Rituale und Symbole bei der Aufnahme von ›Suchenden‹ und für den Initiationsweg zur tieferen Selbsterkenntnis (Lehrling, Geselle und Meister).Der Übergang von einem Grad zum nächsten hat seine jeweils besonderen Rituale.

Initiation eines Suchenden in der Freimaurerei, Kupferstich von 1805, Frankreich; aus: Sonntagsblatt Nr. 45, 08.11.205, S. 5

In ihrer Tempelarbeit bildeten die Brüder eine hermetisch geschlossene Gemeinschaft, zu der Nichteingeweihte, sogenannte Profane, keinen Zutritt hatten. Jede Loge hatte in ihrem Gebäude oder in ihren Räumlichkeiten einen besonderen Sakralsaal. Was darin geschah und gesprochen wurde, war mit einem absoluten Tabu belegt. Diese unabdingbare Verschwiegenheitspflicht gilt bis zum heutigen Tag. Sie ist im Selbstverständnis der Logen der empfindlichste Punkt im Verhaltenskodex. Der entsprechende Paragraph des Logen-Gesetzes lautet: »Der Bund fordert gegen Nichtmaurer die strengste Verschwiegenheit; es bedarf daher mit keinem Uneingeweihten über die im Logenleben begründeten Kenntnisse und Gebräuche, weder im Allgemeinen noch Einzeln, gesprochen und viel weniger etwas davon mitgeteilt werden. Ein Gleiches ist in den wesentlichen Punkten von Seiten der Gesellen und Meister gegen Brüder, Lehrlinge und Gesellen zu beobachten.« (Quelle: Loge ›Zum Morgenstern‹).

Mein Besuch eines Tempels – Ein verbotener Zutritt

Auf einer Reise nach Hof/Saale – es muss gegen Ende der 1980er Jahren gewesen sein – darf ich dort in den Tempel der gerechten und vollkommenen Sankt Johannisloge ›Zum Morgenstern‹ eintreten und das verborgene Innere der Loge kennenlernen. Der Meister vom Stuhl führt mich in den Raum, der Nichteingeweihten streng verschlossen bleibt.

Es ist nicht der gleiche Raum, in dem mein Ururgroßvater in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Meister gewirkt hat, doch gleicht der Mitte des 19. Jahrhunderts neu bezogene Raum in seiner inneren Ordnung und Symbolik den damaligen Verhältnissen. Die heilige Zahl Drei bestimmt die Raumeinteilung und den Standort der Dinge. Der Meister vom Stuhl sitzt ›im Osten‹, wo das Licht herkommt, an einem hohen Pult, vor ihm liegt auf der Tischfläche der Hammer, den er während der Sitzung führt. Zum Pult, das altarähnlich auf einer erhöhten Plattform steht, führen – wie in Kirchen – drei Stufen hoch. Über dem Meister vom Stuhl ist an der symbolischen Ostwand ein dreieckiger Leuchtkasten angebracht, auf dessen Glasscheibe das Auge Gottes erstrahlt. In Gott sehen die Logenbrüder, die Maurer, den höchsten und größten Baumeister, der die Welt erschaffen hat. Die Logenbrüder arbeiten am Tempelbau der Menschheit, ein jeder nach seinen individuellen Kräften. In der Ordnung der Logenbrüder herrscht eine strenge Platzordnung und Hierarchie. Zur Linken des Meisters vom Stuhl sitzt sein Erster Sekretär, zur Rechten der Zweite. Beide werden als Logenbeamte bezeichnet.

Gegenüber vom Meister vom Stuhl, ›im Westen‹ des Raumes, sitzt an den zwei Reihenende der Erste Aufseher auf der Seite der Meister und Gesellen, der Zweite auf der Seite der Lehrlinge. Die Aufseher haben über die genaue Einhaltung der Rituale zu wachen. Im langen Mittelfeld des Tempelraumes stehen drei Säulen, welche die drei Enden des Zirkels symbolisieren. Hammer und Zirkel stehen für die Werkzeuge der Maurer. Der Tempel wird nach mittelalterlichem Vorbild auch ›Bauhütte‹ genannt.

Im Raum waltet eine strenge Ordnung, alles hat seine Bedeutung, alles dient den Ritualen. Auf jeder der drei Säulen und auf jedem Tisch der Sekretäre und Aufseher steht eine Kerze. Wände, Stuhlpolster und Bemalungen sind in Preußischblau gehalten. Der Ablauf der Handlungen, der Reden und Gegenreden, folgt strengen Regeln. Für bestimmte Rituale sind besondere Licht- und Beleuchtungseffekte vorgesehen, sie reichen vom hell durchstrahlten Raum bis zum Verlöschen der Lichtquellen. So hat es mein Ururgroßvater erlebt, so ähnlich wird es auch heute noch praktiziert. Ich verdanke es wohl meinem Ururgroßvater, in einen Tempel geführt und mit dessen innerer Ordnung vertraut gemacht zu werden, wodurch der amtierende Meister vom Stuhl seine Verschwiegenheitspflicht verletzt. Mögen seine Freimaurerbrüder ihm dies verzeihen! In meinem Forscherleben hatte ich immer wieder das Glück, auf Akteure zu treffen, die mir Türen öffneten und Einblicke gewährten – wie 1967 mein Lehrer und Chef Prof. Dr. Otto Stammer den Eintritt in die Sozialwissenschaft, wie 1968 Franz Josef Strauß in die Arkana der CSU, wie mein Kollege Prof. Dr. Heinrich Oberreuter 1980/81 an der Universität Passau, wie der Meister vom Stuhl der Hofer Loge ›Zum Morgenstern‹. Wir brauchen im Leben kompetente Türöffner, um weiterzukommen.

»Stirb und werde!« – Die Erhebung zum Meister

So mag es sich 1819 zugetragen haben: Die Logenbrüder, die bereits den Meistergrad erreicht haben, versammeln sich in dunklen Anzügen im Tempel, um am Ritual der Erhebung Mintzels zum Meister teilzunehmen. Sie tragen ihre Zylinder und Schürzen. Der Schurz gehört zur symbolischen Kleidung der Maurer bei ihrer Tempelarbeit. Der Zeremonienmeister »sorgt für die ritualgemäße Gestaltung der Logenarbeit und Feierlichkeiten.« Heute wird einer der Gesellen, der Buchdrucker und Zeitungsverleger Johann Heinrich Mintzel, zum Meister erhoben.

Zur symbolischen Kleidung gehören auch die weißen Handschuhe, die alle Grade als Zeichen ihrer Ehrfurcht tragen, wenn sie in ihren Arbeiten im Tempel eine höhere Welt suchen. Vorn sitzt an seinem Pult der amtierende Meister vom Stuhl. Am Westende des Tempels steht Mintzel. Die Sekretäre des Stuhlmeisters und die Aufseher haben Platz genommen. Der Stuhlmeister eröffnet mit drei Hammerschlägen das Ritual der Meistererhebung, das auf der so genannten Hiramslegende beruht. Der Legende nach war Hiram Abif König Salomons Meisterarchitekt gewesen, der den unvollendeten Tempel errichtet hatte (2. Chronik, 2,3ff). Hiram Abif war von drei Gesellen ermordet worden, weil er ihnen nicht die geheimen Erkennungsworte der Meisterschaft verraten hatte.


Erhebung eines Freimaurer-Gesellen zum Meister, Kupferstich, Ende 18. Jahrhundert;
aus: Sonntagsblatt Nr. 45, 8.11.2015, S. 6

Der Raum ist vom Schein der Kerzen matt erhellt. Schatten flackern über die Wände, Reden und Gegenreden raunen aus den Reihen von Platz zu Platz. Im Mittelteil des Raums steht auf einem sogenannten Arbeitsteppich eine mit einem schwarzen Tuch bedeckte Bahre, an deren Kopfende liegt ein schwarzes Kissen. Kandidat Mintzel senkt seinen Blick auf den Teppich und erkennt die dort abgebildeten Symbole des Todes. Er betrachtet den menschlichen Schädel und die gekreuzten Knochen. Im rituellen Drama werden die symbolischen Werkzeuge der Meistererhebung verwendet: Der Schlägel (Hammer) mit dem Hiram Abif erschlagen, der Spaten, mit dem sein Grab geschaufelt, der Sarg, in der seine Überreste gelegt, und der Akazienzweig, der auf seinem Grab geblüht haben soll. Der Meister vom Stuhl heißt den ›Todeskandidaten‹, sich zum Sterben auf die Bahre niederzulegen. Zwei Logenbrüder unterstützen ihn dabei. Feierliche Stille. Mintzel liegt regungslos da, lässt in sich den Gesellen absterben. Die zwei Logenbrüder decken ein großes schwarzes Tuch über seinen Kopf und Oberkörper. Sie treten gemessenen Schrittes zurück. Geselle Mintzel erlebt symbolisch den Tod Hirams. Die Maurer murmeln leise und getragen ihre Sinnsprüche der Verwandlung. Der Meister vom Stuhl tritt von seinem Sitz herab und schreitet auf die Bahre zu. Er erweckt den Toten und erhebt ihn im wörtlichen Sinne in den Meistergrad. Mintzel erfährt, wie sich seine Seele über seine inneren Feinde – Ignoranz, Begierde, Leidenschaft und Sünde – erheben kann. Er richtet sich mit Hilfe des Meisters vom Stuhl auf. Das schwarze Tuch wird dem Erhobenen feierlich vom Kopf gezogen. Mit seiner Geburt im Grade eines Meisters hat Mintzel eine neue Stufe der Versittlichung erreicht. Er wird wie der legendäre Hiram Abif das geheime Erkennungszeichen, durch das sich ein Meister identifiziert, niemals verraten und über seine rituelle Erhebung im Beisein profaner Personen niemals sprechen, auch nicht im engsten Familienkreis. Er wird das Mysterium im Herzen bewahren.

Aus seiner Sicht habe ich etwas Ungeheuerliches gewagt, nämlich aufgrund meines Tempelbesuches, von Berichten, die doch nach außen gedrungen sind, und mit etwas Fantasie seinen rituellen Tod und seine Erhebung zum Meister so zu erzählen, wie er sie damals erlebt haben könnte. (A. Mintzel 2011: Von der Schwarzen Kunst zur Druckindustrie, Band II, S. 89–133).

Die Passauer Freimaurerloge ›Zu den vereinigten drei Flüssen‹

Auf einem anderen Weg habe ich in der Dreiflüsse-Stadt Passau die dortige Freimaurerei kennengelernt. In Passau gibt es nebeneinander und scharf getrennt voneinander zwei Logen: Die Freimaurerloge ›Zu den vereinigten drei Flüssen‹ e.V. i. Or. [im Orient – A.M.] Passau und den Freimaurer-Orden. Erstere versteht sich als humanistischer Männerbund ohne religiös-konfessionelle Bindung. Nach ihrem Selbstverständnis ist die Loge ›Zu den vereinigten drei Flüssen‹ den Grundideen der Humanität, Toleranz, Freiheit und Gleichheit verpflichtet. Sie tritt unter ihrem Meister vom Stuhl öffentlich mit eigenen Veranstaltungen auf. Der Orden ist dagegen strikt religiös-konfessionell ausgerichtet und meidet jede Art und Form des öffentlichen Auftritts. Er verhält sich wie ein Geheimbund. Während sich die Frage der Öffentlichkeitsarbeit beim Orden erst gar nicht stellt, ist sie bei der Loge ›Zu den vereinigten drei Flüssen‹ zu einem Brennpunkt ihres Selbstverständnisses geworden. Was darf aus dem geselligen Innenleben und über das brüderliche Wirken der Loge an die Öffentlichkeit gelangen und auf welchem Weg? Und was unterliegt der absoluten Verschwiegenheitspflicht? Wo liegt die Grenzlinie? Die vier Grundregeln, die ›vier alten Pflichten‹, sind streng vorgegeben: die Verschwiegenheitspflicht, die politische und religiös-konfessionelle Neutralitätspflicht (Überparteilichkeit und Überkonfessionalität), die Treuepflicht gegenüber Staat und Obrigkeit (die Pflicht, ein guter Staatsbürger zu sein) und die Pflicht, Nachsicht mit den Fehlern der Brüder zu üben. Die brüderliche Handlungsmaxime der Nachsicht korrespondiert mit dem Gebot: »Verachte deinen Bruder nicht wegen seiner Schwächen, sondern suche ihn zu verbessern.« Zu den Verschwiegenheitspflichten gehörte bisher auch die unabdingbare Pflicht, seine Logenzugehörigkeit und die seiner Freimaurerbrüder in der profanen Welt nicht zu offenbaren, die Mitgliedschaft also geheim zu halten.

Die Passauer Loge ›Zu den vereinigten drei Flüssen‹ ist dabei, ihr Erscheinungsbild an die Erfordernisse der Medien- und Kommunikationsgesellschaft anzupassen (PNP Nr. 198, 27.08.2016, S. 20). Sie lockert die Verschwiegenheitspflicht dadurch auf, dass sie die Grenzen zwischen Geheimnis und Öffentlichkeit auf den rituellen Bereich der Tempelarbeit zurücksteckt und die profanen Teile ihrer Veranstaltungen öffentlich ankündigt und für Interesssenten zugänglich macht. Sie bietet Diskussionsforen, beteiligt sich an öffentlichen Aktionen und ermöglicht es ihrem Meister vom Stuhl, Interviews zugeben. Mit seinen von den Logenbrüdern zugelassenen Auftritten geht der Meister vom Stuhl »aus seiner Deckung«. Auch anderen Logenbrüdern wird gestattet, in begrenzter Weise aus der Deckung der Loge zu treten und sich als Freimaurer zu erkennen zu geben. In ihrer Gratwanderung zwischen Verschwiegenheitspflicht und Öffentlichkeit gilt allerdings umso nachdrücklicher das Prinzip der Diskretion. Kein Freimaurer ist befugt, die Identität eines Bruders preiszugeben. Der Meister vom Stuhl, Franz Josef Gotzler, hat in einem Interview mit der Passauer Neuen Presse die grundsätzliche Handhabung der Deckung so erläutert: »Doch selbst wenn ich als Vorsitzender die Öffentlichkeitsarbeit forciere, gewähre ich dennoch jedem Bruder die Möglichkeit der Deckung. Die Brüder können nach außen gehen, wie ich es tue, müssen aber nicht. Viele haben noch immer Angst vor Restriktionen, wenn ihre Mitgliedschaft publik wird. Auch wenn es nicht sehr wahrscheinlich ist, zumindest was die nichtreligiöse Entourage betrifft.« (PNP Nr. 198, 27.08.2016, S. 20). Mit anderen Worten im Umkehrschluss: die religiösen – sprich katholischen – Mitglieder der Loge haben in Passau nach wie vor mit kirchlichen und gesellschaftlichen Restriktionen zu rechnen. Wird eine Mitgliedschaft entdeckt und angezeigt, können Missgunst und Diskriminierung sogar bis zur Existenzgefährdung führen. Unter vorgehaltener Hand wird in der Loge von einem aktuellen Fall berichtet, der die Ängste katholischer Freimaurer vor Entdeckung verstärkt hat. Die meisten katholischen Freimaurer ziehen es deshalb vor, in der Deckung ihrer Loge zu bleiben. »Protestanten haben dagegen relativ wenige Probleme mit der Freimaurerei«, so Gotzler.

Auf der Seite der evangelischen Kirche hat es im Gegensatz zur römisch-katholischen keine Unvereinbarkeitserklärungen und keine scharf abwehrende Frontstellung gegen die Freimaurerei gegeben. In ihrer Tutzinger Erklärung vom Oktober 1973 hielten beide Seiten fest, dass das freimaurische Gottesverständnis und ethische Wollen trotz offener Fragen keine Unvereinbarkeit mit der evangelischen Glaubenslehre begründe: »Die Entscheidung über die Mitgliedshaft in der Freimaurerei muss dem freien Ermessen des Einzelnen überlassen werden.«

Lokal-Gesetze für die […] St. Johannis-Loge zum Morgenstern im Or. Hof, Titelblatt


Lokal-Gesetze für die […] St. Johannis-Loge zum Morgenstern im Or. Hof, Maur. Grundsätze

»diese widerliche Plage … vernichten« (Papst Leo XIII., 1884)

Sehr früh hatte hingegen die Freimaurerei den Zorn und die Abwehr der römisch-katholischen Kirche hervorgerufen. Von 1738 bis 1918 hatten zwölf päpstliche Stellungnahmen die Freimaurerei verurteilt, weil sie antiklerikale Ziele verfolge und eine humanitär-deistische Weltanschauung vertrete. Papst Leo XIII. verteufelte sie 1884 in seiner Enzyklika Humanum Genus, ›Über Wesen und Gefahr der Freimaurerei‹, als ein Werk des Satans. Die Freimaurerei schmiede ein Komplott gegen die Kirche, sie sei eine »verhängnisvolle Pest«, die ausgemerzt gehöre. In ihren wahnwitzigen und finsteren Bestrebungen offenbare sich »Satans unaustilgbarer Hass und Rachedurst gegen Jesus Christus«. Spätere Bemühungen, die alte kirchliche Gegnerschaft zu entschärfen, blieben ohne Erfolg. Die sogenannte Lichtenauer Erklärung von 1970, in der sich beide Seiten nähergekommen schienen, erhielt keinen verbindlichen Rechtscharakter. Als Präfekt der Glaubenskongregation stellte Joseph Kardinal Ratzinger noch 1983 fest, dass ein Katholik, der Freimaurer geworden sei, weiterhin im Stande der schweren Sünde lebe und automatisch von der heiligen Kommunion (Eucharistie) ausgeschlossen sei. Daran habe auch der 1983 novellierte Codex Iuris Canonici, das kanonische Kirchenrecht, nichts verändert. Noch heute verbreiten die katholische Kirche und ihre Meinungsführer aberwitzige und abstruse Gerüchte über das, was Freimaurer ihrer Meinung nach treiben und anstreben. Nach wie vor gilt das Verdikt von 1884: »Die Sekte ist eben ihrem ganzen Wesen und ihrer innersten Natur nach Sünde und Schande, darum ist es nicht erlaubt, ihr beizutreten und in irgendeiner Weise behilflich zu sein.« Die katholische Kirche sieht bis zum heutigen Tag in der Freimaurerei eine gegen sie und ihre Lehre gerichtete Sekte: wehe dem katholischen Freimaurer, der sich aus der Deckung seiner Loge wagt! Er muss mit erheblichen Unannehmlichkeiten rechnen.

Freimaurerische Umtriebe an der Universität Passau?

Die katholische Frontstellung gegen die Freimaurerei hatte sich auch beim Streit um das Passauer Universitätsemblem, im Madonnen-Streit, gezeigt. Die Universität hatte bei ihrer Neugründung 1978 die gegenreformatorische Kampf-Ikone der ›Maria vom Siege‹ zu ihrem Emblem erkoren. Der universitätsinterne Antrag, diese zweifelhafte Übernahme zurückzunehmen und ein konfessionsneutrales Emblem einzuführen, war 1990/91 von fundamentalistischen katholischen Kreisen Passaus aufs Heftigste kritisiert worden. In der katholischen Diffamierungskampagne war sofort der Verdacht ausgestreut worden, in der Universität seien Freimaurer am Werk. Die Antragsteller waren in der Passauer Neuen Presse verdächtigt worden, freimaurerisches Gedankengut in die Universität hineinzutragen: »Nun erregt auch das Bildnis der Heiligen Jungfrau im Siegel der Universität Passau Anstoß. Für sie, die weise Jungfrau, Mittlerin aller Gnaden, der Siegerin in allen Schlachten Gottes, ist in einer modernen Universität, in der Liberalismus und freimaurischer Humanismus regieren soll, natürlich kein Platz mehr.« (PNP Nr. 257, 07.11.1990, S. 22) Die Freimaurerei blieb für viele Katholiken eine Schreckgestalt des Bösen.

Der Meister vom Stuhl der Passauer Loge ›Zu den vereinigten drei Flüssen‹ verriet über die Sozialstruktur der Loge: »Vom Handwerker bis zum Professor ist alles dabei« (PNP Nr. 198, 27.08.2016, S. 20). Wehe die Mitgliedschaft eines Professors wäre im Madonnen-Streit der Universität Passau ruchbar geworden! Schon eine Verdächtigung hätte genügt, um den Zorn der Glaubenseiferer zum Wallen zu bringen und den ›Sünder‹ öffentlich zu brandmarken und zu verdammen.

An der Universität Passau hat die ›Siegerin in allen Schlachten Gottes‹ allerdings ihre Schlacht gegen eine angeblich falschverstandene Wissenschaft verloren (siehe Kap. 29 und 30). In der Frage des römisch-katholischen Glaubens- und Kultsymbols konnten die gegensätzlichen weltanschaulichen, religiös-konfessionellen und wissenschaftstheoretischen Anschauungen nicht versöhnt, geschweige denn eine gemeinsame inhaltliche Lösung gefunden werden. Es blieb nur die pragmatische Entscheidungsalternative: Konsens durch Verfahren. Und dies hieß: Abschied von der ›Maria vom Siege‹, Einführung eines konfessionsneutralen Logos.

 


					

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert