Interview | Berliner Friedhöfe - "Wir haben weniger Einnahmen, müssen die Friedhofsflächen aber trotzdem unterhalten"

Do 31.08.23 | 06:18 Uhr | Von Anna Bordel
  19
Symbolbild: Laub liegt auf den Gräbern einesFriedhofes (Quelle: dpa/Soeren Stache)
Bild: dpa/Soeren Stache

Für stillgelegte Friedhöfe werden neue Nutzungszwecke gesucht. Die Flächen möglichst grün zu halten sei wünschenswert, sagt der Geschäftsführer eines evangelischen Friedhofsverbands in Berlin. Trotzdem würden auch hochpreisige Wohnungen entstehen.

rbb|24: Herr Wagner, wieso wird in Berlin weniger Platz auf evangelischen Friedhöfen gebraucht?

Tillmann Wagner: Es ist ein berlinweites, sogar ein deutschlandweites Problem, dass sich durch die hohe Nachfrage an Feuerbestattung die Verhältnisse umgedreht haben. Früher hatten wir 93 Prozent Sargbestattungen und heute ist es genau umgekehrt. Wir haben bis zu 93 Prozent Urnenbestattungen und nur noch 7 Prozent Sargbeisetzungen.

Für einen Sarg brauchen wir eben eine Fläche von 1,10 Meter mal 2,20 Meter und für eine Urne 40 mal 40 Zentimeter. Neuerdings kommen auch andere Bestattungsangebote hinzu - zum Beispiel Friedwälder – die sich großer Beliebtheit erfreuen. Dadurch entstehen sukzessive Freiflächen auf den innerstädtischen Friedhöfen.

Zur Person

Tillmann Wagner, Geschäftsführer Ev. Friedhofsverband Berlin Stadtmitte (Quelle: Christian Hahn)
Christian Hahn

Tillmann Wagner ist Geschäftsführer im Evangelischen Friedhofsverband Berlin Stadtmitte seit 2019. Zum Verband gehören 46 Friedhöfe in der Hauptstadt, die 236 Hektar umfassen. Nicht die ganze Fläche wird noch als Bestattungsort gebraucht.

Wieso sind Freiflächen auf Friedhöfen ein Problem?

Für die Friedhofsträger stellt dies eine Herausforderung dar, weil die Flächen weiterhin unterhalten werden müssen. Wenn ich jetzt beispielsweise allein schon 18.000 Euro Straßenreinigungsgebühr für einen Friedhof im Jahr anfallen habe, aber kaum noch Gebühren über den Bestattungsbetrieb eingenommen werden, wird die Finanzierung problematisch.

Auch weitere Kosten kommen dazu. Die freien Friedhofsflächen müssen verkehrssicher gehalten werden sein, das heißt Baum- und Grünpflegekosten entstehen auch weiterhin.

Ist eine alternative Nutzung von Friedhöfen für den Evangelischen Friedhofsverband also wünschenswert?

Der Wunsch besteht natürlich, dass möglichst viel Friedhofsfläche als Grünfläche erhalten bleibt und da müssen wir Möglichkeiten prüfen, wie sich dies finanzieren lässt. Daraus, dass wir weniger Einnahmen haben, die Flächen aber trotzdem unterhalten werden müssen, ergibt sich ein gewisser Zwang wirtschaftlich zu denken.

Wenn sich Teilflächen, die wir nicht mehr brauchen, wirtschaftlich nicht mehr rechnen, dann müssen wir an manchen Standorten auch über eine bauliche Entwicklung oder eine Vergabe an beispielsweise Kleingartenvereine nachdenken, um damit den Erhalt der übrigen Friedhofsflächen zu sichern.

Also die ungenutzten Flächen zu verkaufen ist nicht das Ziel, sondern eher die Flächen zu behalten und wirtschaftlich zu machen, richtig?

Wenn es jetzt zum Beispiel um das Thema Bebauung geht, verkauft das Land Berlin selber inzwischen auch kein Land mehr, sondern gibt die Flächen im Erbbaurecht ab. Da hat sich die evangelische Landeskirche auch hinbewegt. Es wird nicht mehr verkauft, sondern es werden Flächen im Erbbaurecht auf Zeit abgegeben.

Sie haben eben gesagt, dass eine grüne Nutzung vor allem wünschenswert wäre, aber manchmal auch eine Bebauung angestrebt wird. Gibt es da bestimmte Bauzwecke, die Sie eher favorisieren als andere - Schulen, Büros, Wohnungen?

Das ergibt sich tatsächlich immer abhängig davon, wo sich der Standort befindet. Wir klären dann im Gespräch mit den Bezirken, ob es möglicherweise Bedarf für eine öffentliche Nutzung gibt, zum Beispiel als Schulstandort oder für eine Kita. Häufig ist es so, dass wir mit Stiftungen, mit gemeinnützigen Einrichtungen und anderen sozialen oder diakonischen Trägern ins Gespräch kommen.

Es gibt auch viele Genossenschaften in Berlin, die aufgrund von Mitgliederzuwachs Flächen suchen. Es gibt darunter 11 kirchliche Genossenschaften, die zum Beispiel Flächen zur Errichtung von Seniorenheimen, für betreutes Wohnen, Einrichtungen für Jugendliche, für Menschen mit Behinderungen, aber auch für Flüchtlingsunterkünfte benötigen.

Also Luxuswohnungen entstehen nicht auf ehemaligen Friedhöfen?

In der Regel funktioniert sozial geförderter Wohnungsbau leider nicht ganz ohne hochpreisigen Wohnungsbau. Das ist bei den Entwicklern immer eine Mischkalkulation. Also wenn man einen hohen Anteil an sozialem Wohnraum schaffen möchte oder mietpreisgebundenen Wohnraum, dann muss es sich ja irgendwie anders finanzieren und deswegen geht das in der Regel auch nicht ohne Anteil an hochpreisigem Wohnraum.

Wenn Sie sich mit einem Investor zu einem Bau entschlossen haben, welche Hürden können bis zu einem fertigen Gebäude noch eine Rolle spielen?

Denkmalschutz, Naturschutz, aber auch die Interessen des Bezirks oder von Anwohnern. In solchen Planungen spielt das Thema Beteiligung der Öffentlichkeit immer mit. Insgesamt ist das Thema Erhalt von Grünflächen und klimafreundliche Stadt sehr wichtig. Mittlerweile ist es in Berlin schwierig, eine nicht versiegelte Fläche zu bebauen. Und wenn wir das tun, müssen wir uns dabei immer an den grünen Strukturen orientieren, die es auf dem Friedhof gibt.

Die Mehrzahl unserer Friedhöfe sind alle aufgebaut wie ein großes Handtuch, was wiederum in einzelne Quadrate oder Rechtecke aufgeteilt ist und zwischen diesen Rechtecken laufen immer eine Hauptallee in der Mitte und dann Queralleen mit schmaleren Wegen.

Unser Ziel ist immer, diese grünen Wege und die Baumstruktur zu erhalten. Auf einem denkmalgeschützten Friedhof ist es nahezu unmöglich zu bauen. Und auch das Thema Naturschutz geht immer mit einher. Da werden unheimlich viele Gutachten gefordert über die auf der Fläche vorhandene Flora und die Fauna. Es werden Artenschutz-Gutachten, Bodengutachten und Lärmschutzgutachten benötigt.

Einige Vorhaben befinden sich in der Planung. Ist schon absehbar, auf welchem Friedhof als nächstes gebaut wird?

Im Moment ist nahezu Stillstand. Das hängt mit den Neuwahlen zusammen, weil wir uns erst mit den neuen Gesprächspartnern zusammenfinden müssen und so weiter. Alle Dinge, die im Verfahren waren, müssen nochmal neu durchdacht werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Anna Bordel von rbb|24.

Beitrag von Anna Bordel

19 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 19.

    Nordsee wäre näher liegend, aber da könnte die Urne durch de Tide wieder ungewollt anlanden

  2. 18.

    " Und das ist ein Todsicherer Job. "
    stimmt, aber nur für das Bestattungsunternehmen , die herkömmliche Erdbestattungen sind so teuer geworden, dass sich immer mehr Menschen um Alternativen kümmern. Hinzu kommt die Grabpflege für Jahrzehnte ,und dann irgendwann die lapidare info der Friedhofsverwaltung : Ruhezeit abgelaufen , aber mit Verlängerungsangebot

  3. 17.

    Ich habe schon meine Seebestattung in der Ostsee verfügt.

  4. 16.

    Ich dachte gestorben wird immer. Und das ist ein Todsicherer Job.
    Vielleicht sollte man sich ja neue Einnhamequellen ausdenken oder die Gebühren erhöhen.
    Ich hätte gern eine Gruft für meine Familie. Gehnt nicht, weil nicht erlaubt. Für kein Geld der Welt.

  5. 15.

    Steuereinnahmen 2022
    Bund 337,2 Mrd. €
    Länder 384,5 Mrd. €
    Gemeinden 134,0 Mrd. €
    insgesamt 895,7 Mrd. e
    Quelle: https://www.destatis.de/DE/Themen/Staat/Steuern/Steuereinnahmen/_inhalt.html

  6. 14.

    Scheinbar haben alle Länder ein Steuereinnahmeproblem, so das vieles auf der Strecke bleibt, was bitter nötig wäre. Im Gegenteil beim Bund, der steht vor fast 1 Billion Euro Steuereinnahmen und sitzt drauf als würde es ihm allein gehören. Hier müssen mal langsam Steuereinnahmequellen umverteilt werden. Wenn die Gewerbesteuer um über 50% einbricht, dann muss der Bund die Kraftstoffsteuer an die Länder abtreten. Oder ist in diesem Land jedes Gesetz und jede Ordnung wie in Stein gemeißelt?

  7. 13.

    Zum Laubharken würden sich sicher Ehrenamtler finden lassen. Ist doch ein schönes Betätigungsfeld für alle, die sich im Umwelt- und Klimaschutz nützlich machen wollen.

  8. 12.

    Weil die Friedwälder viel Laub produzieren, dass ist viel Arbeit bei einen großen Friedhof. Im richtigen Wald stört das keinen, da liegt das Laub friedlich ohne weitere Kosten.

  9. 11.

    Eine schöne Idee: Auf den Friedhöfen gibt es immer auch Bäume. Warum forstet man dort nicht auf und schafft Friedwäldchen?

  10. 10.

    Also doch mehr Versiegelung statt Schwammstadt. Friedhöfe, so hausbacken diese sind, manche findens schön, und gut für die Natur sind sie allemal.

  11. 9.

    Wenn die Babyboomer sterben, wird man dann die Häuser abreißen, um wieder Friedhofsfläche zu schaffen?
    Auf den Friedhöfen gibt es immer auch Bäume. Warum forstet man dort nicht auf und schafft Friedwäldchen?

  12. 8.

    Die Kirchen haben beraten, ob sie oder nicht die Alten- und Pflegefürsorge nach staatl. vorgegebenem Muster fortführen sollten – und haben die Ökonomie gewählt. Also, die Oberen. Die Gemeinde folgt ja dem Hirten.

    Anders die Frauenklöster, die in den 70ern nach interner Beratung über Kunstdünger und Ertragsoptimierung (Quantität) beschlossen haben, beim symbiotischen Klostergarten zu bleiben, heute nennt man so etwas bio und perma. Qualität und naturverbunden.

    zu "warum bleibt die Kirche bei alternativen Lösungen nicht konsequent der christlichen Linie treu?"

  13. 7.

    Sorry, aber mit kommt mehr als das Frühstück hoch, wenn ich lese "Investoren, Entwickler, Träger, Bestattungsbetrieb, Wirtschaftlichkeit". Dass solches Land überhaupt aus der Verwaltung der Allgemeinheit gegeben wird, finde ich skandalös.
    Alles rund ums Menschsein und die Natur muss unberührt bleiben, aber die Verwirtschaftlichung vereinnahmt alles, auch das letzte bisschen Natur, Gemeinsinn, Pietät …
    Allein, dass Land ein Wirtschafts-/Erbstück sein solle, ist mittelalterlich. Drüben überm Teich gibt es das nun auch schon für Wasser!?!!! Es gibt den Zertifikatehandel für Luft-Verschmutzungsrechte !!!!! Die Industrien greifen nach dem Innersten, Eigentlichsten des Menschen – Big Data.
    Die traurige Friedhofsgeschichte hierzulande ist nur ein anschauliches Beispiel für die gesellschaftl. Entwicklung.
    Übrigens: Alle im persönlichen Umfeld, die Urnenbestattung gebucht haben, wollten eigentlich Edrbestattung, aber nicht die Nachkommen belasten, da Sterben in D. ein so teures Produkt

  14. 6.

    Wer bestimmt die Stillegung der Friedhöfe? Warum werden sie nicht, wie in Rostock oder Stuttgart in Parks umgewandelt, statt Bebauungspläne zu schmieden?
    Die Würde des Menschen ist unantastbar, bis über den Tod hinaus.. Von wieder ausbuddeln war nicht die Rede.

  15. 5.

    Ich will die Urne nicht umbetten,sondern nur verlängern. Bei allen anderen Grabarten ist das möglich, nur nicht beim Urnenreihengrab.Das verstehe,wer will?!Zumal der halbe Friedhof nicht belegt ist.

  16. 4.

    Dass wirtschaftlicher Druck Veränderung erfordert, ist klar. Was ich nicht verstehe: warum bleibt die Kirche bei alternativen Lösungen nicht konsequent der christlichen Linie treu? Nein, es ist nicht akzeptabel, dass Wohnungen im Luxussegment neben Sozialwohnungen gebaut werden dürfen. Bitte mal Kante zeigen, das wäre mal ein schönes, motivierendes und spirtuell aufbauendes Signal nicht nur an die Schäfchen der Kirche, zu denen auch ich noch gehöre, sondern an alle Menschen, die den neoliberale Zeitgeist mit seinen menschenfeindlichen Auswirkungen immer neu schaffender Ungleichheit gehörig auf die Nerven geht. Aber von einer Kirche, die bereits aus der evangelischen Kirche ausgetretenen Politkern gegen Geld erlaubt, mit Pomp und Gloria in ihrem Haus zu heiraten - von der ist da wohl nicht mehr viel zu erwarten.

  17. 2.

    Jammern,keine Kohle.Aber Urnenreihengräber dürfen nicht verlängert werden.

  18. 1.

    Die deutsche Friedhofsordnung muss überarbeitet werden. Andere Länder machen es besser. Wenn man zBsp die Urne im eigenen Garten haben will ist das verboten. Das es unter Bestatter eine gewisse Struktur gibt ist auch allg. bekannt. Alles auf Gewinn statt Anteilnahme getrimmt. alte Grabsteine werden auch weiterverkauft und aufgearbeitet. Die Steine sind im Baumarkt für 1% erhältlich

Nächster Artikel