Mehr als 200 Unternehmen zeigen Interesse

Große Pilotstudie zur Viertagewoche: Welchen Aussagewert hat das Experiment?

Vier Tage arbeiten bei gleicher Bezahlung? Für wen sich dieses Arbeitszeitmodell eignet, soll eine groß angelegte Studie klären.

Vier Tage arbeiten bei gleicher Bezahlung? Für wen sich dieses Arbeitszeitmodell eignet, soll eine groß angelegte Studie klären.

Die erste Phase der deutschen Pilotstudie zur Viertagewoche hat begonnen. Derzeit gibt es mehr als 200 Unternehmen, die Interesse signalisiert haben, an dem Experiment teilzunehmen, heißt es von der Beratungsagentur Intraprenör, die das Projekt koordiniert. Damit könnte der Pilotversuch zum bisher größten Test der Viertagewoche weltweit werden. Vertreten seien Organisationen aus allen Branchen, auch große Industriebetriebe. Wie viele davon sich letztlich entscheiden, am Test teilzunehmen, ist aber derzeit noch offen.

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Wie das RND berichtete, werden die teilnehmenden Firmen über einen Zeitraum von sechs Monaten ihre Arbeitszeit von fünf auf vier Tage reduzieren, während das Gehalt gleichbleibt. Die Initiatoren versprechen sich davon einen ehrlichen Test, der auch dazu beitragen soll, die Diskussion über die Viertagewoche zu versachlichen. „Es gibt pauschale Fans und pauschale Kritiker. Mit der Pilotstudie wollen wir beide Seiten an einen Tisch bringen“, sagt Carsten Meier von der Beratungsfirma Intraprenör.

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Zweifel am Aussagewert der Studie

Doch es gibt auch Zweifel, wie aussagekräftig solche Tests sind. Selbst dann, wenn sie, wie zuletzt in Großbritannien, zu durchweg positiven Ergebnissen kommen. Dort konnte eine deutliche Verbesserung bei der Zufriedenheit, Gesundheit und Vereinbarkeit mit familiären Aufgaben festgestellt werden. Die Umsätze blieben dabei stabil.

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Ein häufiger Kritikpunkt lautet jedoch, dass solche Ergebnisse wenig überraschen, wenn nur Unternehmen teilnehmen, die der Viertagewoche positiv gegenüberstehen. Es komme bei den Studien zu einer Selbstselektion, sagt Philipp Frey, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse in Karlsruhe. Wenn nur Firmen mitmachen, die ohnehin Interesse an der Einführung einer Viertagewoche haben, würde das teilweise erklären, warum die Resultate so gut sind. „Hinzu kommt, dass vor allem kleine und mittlere Unternehmen teilnehmen, die agiler sind als Großkonzerne.“ Es werde auch nicht untersucht, wie sich vergleichbare Firmen im Versuchszeitraum entwickeln, die keine Viertagewoche eingeführt haben. „Aus wissenschaftlicher Sicht ist deshalb zu kritisieren, dass keine sauberen Vergleichsgruppen gebildet werden.“

Philipp Frey forscht seit Jahren zur Viertagewoche und hat die deutschsprachige Auswertung des britischen Pilotprojekts herausgegeben. Den Nutzen der Pilotstudien hält der Wissenschaftler für unbestritten. „Die Pilotversuche sollen primär zeigen: Die Viertagewoche ist möglich, wenn guter Wille da ist.“ Man könne nicht bestreiten, dass Unternehmen, die offen für das Modell sind, damit Erfolg haben. Die methodischen Einschränkungen würden mit begrenzten Ressourcen zusammenhängen. Die Projekte seien zivilgesellschaftlich getragen. Deshalb gebe es Limitierungen beim Forschungsdesign.

Pilotstudie beantwortet, wie das Modell funktionieren kann

Julia Backmann, wissenschaftliche Leiterin des Pilotversuchs, sieht das ähnlich. Die Forschungsfrage der Studie laute, ob und wie die Einführung der Viertagewoche bei einzelnen Organisationen funktionieren kann. Um das zu beantworten, sei die Stichprobe geeignet. Backmann weist darauf hin, dass eine positive Haltung in der Geschäftsführung auch nicht automatisch bedeute, dass alle Angestellten die Viertagewoche gut finden.

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Bei der Auswertung würden außerdem nicht nur Einstellungen abgefragt, sondern objektive Ergebnisse gemessen, wie etwa die Umsatzentwicklung, Krankenstände oder die Zahl der Kündigungen im Versuchszeitraum. Die Unabhängigkeit der wissenschaftlichen Begleitung sei ebenfalls nicht gefährdet, sagt die Professorin der Universität Münster. Das Pilotprojekt werde zwar von der Organisation 4 Day Week Global initiiert, die eine positive Einstellung zur Viertagewoche habe. „Unsere Begleitung erfolgt aber ohne finanzielle Zuwendungen oder ergebnisorientierte Vorgaben.“

Thema ist vielschichtiger als oft angenommen

Der Arbeitszeitexperte Guido Zander ist zurückhaltender bei der Bewertung der Pilotstudien. Zander hat gerade das in Fachkreisen viel diskutierte Buch „Wundermittel 4-Tage-Woche?“ veröffentlicht. Das Thema sei vielschichtiger als häufig angenommen, sagt er. Die Ergebnisse der bisherigen Studien seien nicht beliebig auf alle Unternehmen übertragbar. In Großbritannien hätten vor allem Firmen aus Branchen wie Dienstleistung, IT, Marketing und Kultur teilgenommen. „Ich würde mich freuen, wenn in Deutschland eine relevante Anzahl der Teilnehmer aus der Produktion, dem Gesundheitswesen und dem Handel dabei wären.“

Zander hält es für ausgeschlossen, dass das Modell überall zu mehr Produktivität führt. Pauschale Forderungen nach einer Einführung der Viertagewoche kann er nicht nachvollziehen. Sie sei immer dann gut, wenn sich die Arbeit auf vier Tage umverteilen lasse. „Im Handwerk ist es beispielsweise ohne Weiteres möglich, an vier Tagen länger zu arbeiten und damit eine Baustellenanfahrt zu sparen.“ In administrativen und wissensintensiven Berufen sei es sogar möglich, so viel Zeit einzusparen, dass durch mehr fokussiertes Arbeiten die gleichen Ergebnisse in weniger Zeit erzielt werden.

Viertagewoche muss flexibel sein

Problematisch werde es aber, wenn es darum gehe, Zeiträume zu besetzen. „In Schichtbetrieben, Krankenhäusern und im Handel geht es darum, rund um die Uhr zu produzieren, Patienten zu betreuen oder Öffnungszeiten abzudecken. Wenn alle einen Tag weniger arbeiten, fehlt die Kapazität, diese Zeiträume zu besetzen.“ Zander hält die Fixierung auf die Viertagewoche deshalb für problematisch und das Modell für zu unflexibel. „Es kann durchaus entspannter sein, in fünf Tagen durchschnittlich 36 Stunden zu arbeiten und bei Gelegenheit mal eine Viertagewoche zu haben. Oder je nach Bedarf und Wunsch kürzere, flexiblere Tagesarbeitszeiten.“

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Die Pilotprojekte von 4 Day Week Global würden allerdings genau diesen Zweck verfolgen, individuelle Lösungen für einzelne Unternehmen zu finden, sagt Julia Backmann von der Uni Münster. „Generell ist die Kritik, das Modell sei zu starr, für die Viertagewoche genauso wenig zutreffend wie für die Fünftagewoche.“ Es gebe bei beiden Modellen keinen Grund, die vorhandene Arbeitszeit nicht flexibel zu gestalten.

„Allerdings ist es schon eine berechtigte Frage, warum die optimale Arbeitszeit gerade bei 32 Stunden pro Woche liegen sollte. Auf theoretischer Ebene gibt es zumindest keinen klaren Grund dafür“, so die Forscherin. Die optimale Arbeitszeit sei für verschiedene Berufe und Unternehmen unterschiedlich und hänge auch von der jeweiligen Lebenssituation und ‑phase der Beschäftigten ab. Beide Modelle, die Viertagewoche und die Fünftagewoche, müssten deshalb in der Praxis flexibel sein.

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