Arbeit und Erschöpfung

„Man muss sich entscheiden, die Signale der Überlastung zu hören“

Zeit für Muße ist gefragt: Erschöpfung, Ängste, Konzentrationsprobleme, wer die Überlastungssymptome nicht rechtzeitig wahrnimmt, läuft Gefahr, unter der Erschöpfung zusammenzubrechen.

Zeit für Muße ist gefragt: Erschöpfung, Ängste, Konzentrationsprobleme, wer die Überlastungssymptome nicht rechtzeitig wahrnimmt, läuft Gefahr, unter der Erschöpfung zusammenzubrechen.

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Frau Dudzinski, Sie berichten in Ihrem Buch, dass Sie seit zwei Jahren an den Folgen einer Corona-Infektion leiden und nicht mehr als zwei Stunden am Stück arbeiten können. Wie darf ich mir Ihren Arbeitstag vorstellen?

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Ich muss zunächst sagen, dass ich ein sehr selbstbestimmtes Leben führe. Die meisten Menschen können nicht so arbeiten wie ich. Ich führe ein eigenes Unternehmen. Es gibt keine Führungskraft, die mich stresst, und ich arbeite zu Hause. In der Regel arbeite ich zwei Stunden am Stück und lege mich danach hin – je nach Kopfschmerzen mit oder ohne Tabletten. Vielleicht schlafe ich, vielleicht döse ich, vielleicht weine ich. Nach ein paar Stunden Pause arbeite ich dann noch mal zwei Stunden, und so verteilt sich das über den Tag, mit zwei, maximal drei Arbeitsblöcken.

Wie genau äußern sich die Symptome Ihrer Erkrankung?

Ich habe chronische Kopfschmerzen, Erschöpfungszustände, Konzentrationsschwierigkeiten, ich bin sehr verpeilt, wenn man das so harmlos formulieren möchte. Ich habe Wortfindungsstörungen, ich vergesse Termine, ich vergesse Gegenstände, ich verliere ganz viel. Das kennen sicher viele Menschen, dass so etwas vorkommt. Bei mir ist das Ausmaß ein ganz anderes.

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Krankschreibung oder volle Leistung

Wie lässt sich das mit dem Tagesgeschäft Ihres Unternehmens vereinbaren?

Es gibt Phasen, in denen ich den Bogen überspanne, weil mehr Aufgaben anstehen oder weil ich denke: Och, jetzt geht es mir besser, ich kann wieder so arbeiten wie vorher. Dann sagt mein Körper: Haha, nein. Dann liege ich wieder drei oder vier Tage flach. Ich merke in Phasen, in denen mehr los ist, dass ich bestimmte Notbremsen ziehen muss.

Was sind körperliche Warnsignale, an denen Sie erkennen, dass Sie gegensteuern müssen?

Das hat viel mit Selbstwahrnehmung zu tun. Man muss sich auch entscheiden, die Signale der Überlastung zu hören. Es gehört aber auch Kommunikation dazu. Ich gehe sehr transparent damit um und sage dann zum Beispiel: „Ich habe Bauchschmerzen bei dieser Idee.“ Wenn es körperlich bergab geht, bekomme ich Kopfschmerzen, die Wortfindungsstörungen werden stärker. Die vorletzte Stufe ist, dass ich sehr gereizt bin, danach kommt nur noch eine depressive Episode, in der ich an meinem Zustand verzweifle.

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Uns wird eingeredet, dass nur harte Arbeit zum Erfolg führt. Und wenn du nicht erfolgreich bist, hast du nicht hart genug gearbeitet.

Es haben nicht alle Berufstätigen die Möglichkeit, eine Pause einzulegen, wenn es nötig ist. Hängt das auch damit zusammen, dass Arbeitgeber immer 100 Prozent verlangen, wenn jemand am Arbeitsplatz erscheint? Gibt es nur die Alternativen Krankschreibung oder volle Leistung?

Nein. Wir können nicht jeden Tag das Gleiche leisten. Wir können schlecht geschlafen haben. Wir können schlechte Nachrichten bekommen haben. Es gibt noch viele weitere Dinge: den Zyklus, Kinderbetreuung oder manche Aufgaben fallen an manchen Tagen einfach schwerer.

Zur Person: Martha Dudzinski leitet die Swans-Initiative, eine gemeinnützige Organisation, die sich für berufliche Chancen von Studentinnen und Akademikerinnen mit Einwanderungsgeschichte einsetzt. Davor war sie Pressesprecherin für Mercedes-Benz, Referentin im Bundespresseamt und freie Journalistin. Ihr Buch „Konsequent 60 Prozent“ (s. u.) ist am 23. April 2024 erschienen.

Zur Person: Martha Dudzinski leitet die Swans-Initiative, eine gemeinnützige Organisation, die sich für berufliche Chancen von Studentinnen und Akademikerinnen mit Einwanderungsgeschichte einsetzt. Davor war sie Pressesprecherin für Mercedes-Benz, Referentin im Bundespresseamt und freie Journalistin. Ihr Buch „Konsequent 60 Prozent“ (s. u.) ist am 23. April 2024 erschienen.

Was lebt die Führungskraft vor?

Offenbar fällt es aber nicht nur Arbeitgebern, sondern auch Beschäftigten schwer, das zu akzeptieren. Manche arbeiten sogar während einer Krankschreibung weiter. Sie schreiben auch von eigenen Ansprüchen und Selbstüberforderung. Ist Leistungsdruck eine Frage der Einstellung?

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Nein. Viele Menschen haben ein hohes Pflichtbewusstsein und oft ein schlechtes Gewissen. Wir denken immer, es ist noch nicht schlimm genug. Wenn mein Bein gebrochen ist, dann kann ich ja immer noch tippen.

Aber dieser Druck, den wir uns selbst machen, kommt ja nicht von irgendwoher. Uns wird eingeredet, dass nur harte Arbeit zum Erfolg führt. Und wenn du nicht erfolgreich bist, hast du nicht hart genug gearbeitet. Dann kommen auch noch existenzielle Ängste hinzu.

Welche Fürsorgepflicht sehen Sie bei den Arbeitgebern, um Beschäftigte vor Überlastung zu schützen?

Ich würde zuerst einmal schauen: Was wird von der gesamten Institution offiziell vorgegeben? Und dann, was die einzelnen Führungskräfte vorleben. Vielleicht gibt es Gesundheitsangebote und Veranstaltungen des Betriebsrats. Aber das bringt mir nichts, wenn die Führungskraft kein Verständnis dafür hat und nicht empathisch mit den Kraftreserven des Teams umgeht.

Hat die Erkrankung verändert, wie Sie über Leistung denken?

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Ich habe gemerkt, wie allgemeingültig das ist, was ich erlebe. Wir sind alle überlastet. Auch wenn meine Belastungen und Symptome anders sind, geht es viel mehr Menschen so, als wir vielleicht häufig denken.

Ich muss in vielen Situationen daran erinnern, wie es mir geht, da man es mir nicht immer ansieht. Das ist ja das Problem bei vielen unsichtbaren Erkrankungen. Sie werden häufig unterschätzt.

Eine harte Lektion war, dass sich das bei mir auf absehbare Zeit nicht ändern wird. Es ist auch nicht so, dass ich einmal gelernt habe, auf meinen Körper zu hören, und seitdem läuft es. Ich muss diesen Kampf jeden Tag ausfechten. Manchmal gewinne ich, manchmal gewinnt das Pflichtbewusstsein, und dafür bezahle ich dann einen Preis. Dann ärgere ich mich darüber, dass ich nicht gut genug aufgepasst habe, oder darüber, dass das eben meine Grenzen sind.

Beschäftigte werden alle vier Minuten in ihrer Tätigkeit unterbrochen.

Ständig abgelenkt: „Erschöpfte Menschen können sich nicht konzentrieren“

Beschäftigte werden alle vier Minuten in ihrer Tätigkeit unterbrochen. Doch es gibt einfache Möglichkeiten, wieder konzentriert zu arbeiten. Was wir gegen die ständige Ablenkung tun können, und was passiert, wenn wir im Flow sind.

Ständig im Rechtfertigungsmodus

Erleben Sie, dass Ihre Situation nicht ernst genommen wird, oder gibt es Situationen, in denen Sie Ihre Erkrankung selbst kleinreden?

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Beides. Man ist ständig im Rechtfertigungsmodus nach innen und nach außen. Ich mache immer noch vieles, was von außen nach viel Arbeit und Erfolg aussieht. Es sind immer noch gute, sichtbare Ergebnisse da. Und wenn ich auf einer Party herumspringe, sieht niemand, welchen Preis ich dafür zahle, dass ich hier heute einmal aktiv war. Niemand sieht mich die nächsten drei Tage.

Wie gehen Sie damit um?

Ich habe mir angewöhnt, sehr offensiv zu kommunizieren. Ich muss in vielen Situationen daran erinnern, wie es mir geht, da man es mir nicht immer ansieht. Das ist ja das Problem bei vielen unsichtbaren Erkrankungen. Sie werden häufig unterschätzt. Ich bin deshalb auch härter geworden, weil ich merke, dass es sonst nicht ernst genommen wird. Der Vorteil ist aber, dass es mir dadurch auch leichter fällt, anderen zu raten, dass sie besser für sich sorgen. Es müssen nicht alle die gleichen Fehler selbst machen.

Können Sie zum Abschluss noch einen Einblick in Ihre medizinische Behandlung geben?

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Es ist viel Arbeit. Die Kommunikation mit den Krankenkassen, Termine bei Ärztinnen und Ärzten, Medikamente und Behandlungsmethoden, das ist sehr kräftezehrend. Ich war beim Lungenarzt, bei einer Neurologin, habe mich zigfach untersuchen lassen. Ich habe Antidepressiva, Betablocker, Cortison, Nahrungsergänzungsmittel und Nikotinpflaster ausprobiert.

Ich stehe jetzt an dem Punkt, an dem ich alles ausprobiere, was niedrigschwellig ist. Aber ich habe keine Kraft mehr, mich behandeln zu lassen. Ich werde auch nicht alles daran setzen, meine offizielle Long-Covid-Diagnose zu erhalten. Ich kann nur sagen, dass ich einen Haufen Symptome habe, die im Volksmund als Long Covid bekannt sind. Und das bisschen Kraft, die ich habe, nutze ich, um mein Leben fortzuführen.

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