Einfluss auf die kognitive Entwicklung

Wenn das Baby nicht kommt: einleiten oder abwarten?

Neugeborene haben größere Probleme mit längeren Hitzeperioden. Manche kommen wegen hoher Temperaturen sogar früher zur Welt.

Neugeborene haben größere Probleme mit längeren Hitzeperioden. Manche kommen wegen hoher Temperaturen sogar früher zur Welt.

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Die letzte Phase der Schwangerschaft ist für werdende Mütter oft nervenzehrend. Vor allem dann, wenn das Baby „überfällig“ ist und sich die Wehen einfach nicht einstellen wollen. Ist es dann besser, abzuwarten oder die Geburt mit einem wehenfördernden Mittel einzuleiten? Keine einfache Entscheidung, denn eine Geburtseinleitung sollte nicht überstürzt werden. Sie darf aber auch nicht zu spät erfolgen.

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Eine neue Studie deutet darauf hin, dass es sich negativ auf die Intelligenz von Kindern auswirken könnte, wenn deren Geburt zu früh eingeleitet wurde. Forscher und Forscherinnen der Universität Amsterdam hatten Daten von mehr als 200.000 niederländischen Kindern gesammelt und diese mit Informationen zu deren Geburt verglichen. Alle Kinder waren zwischen der 37. und 42. Schwangerschaftswoche gesund geboren worden, einige von ihnen nach einer Geburtseinleitung mit wehenfördernden Mitteln.

Die Kinder, deren Geburt eingeleitet worden war, schnitten im Alter von zwölf Jahren in Schultests durchschnittlich schlechter ab. Und 10 Prozent weniger Kinder aus dieser Gruppe bekamen eine Empfehlung für eine weiterführende Schule, die ihnen später ein Studium ermöglichen würde. Es sei möglich, dass die Hirnentwicklung bei einer eingeleiteten Geburt weniger ausgereift sei und die Kinder deshalb später schlechter in der Schule waren, mutmaßen die Autoren und Autorinnen der Studie. Babys gelten zwar etwa ab dem Ende der 37. Schwangerschaftswoche als körperlich ausgereift. Das Gehirn entwickelt sich aber bis zum Ende der Schwangerschaft und auch danach noch weiter.

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Leitlinie gibt Richtwerte vor

Doris Scharrel ist Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe und Landesvorsitzende des Berufsverbands der Frauenärzte in Schleswig-Holstein. Wie schätzt sie das Risiko für die Intelligenzentwicklung bei eingeleiteten Geburten ein? In der Studie gebe es einige Ungenauigkeiten, sagt Scharrel: „Es wurde zum Beispiel nicht unterschieden, ob die Geburten aus medizinischen Gründen eingeleitet wurden oder auf Wunsch der Frauen.“

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Auch werde die Intelligenzentwicklung durch viele verschiedene Faktoren beeinflusst. Bis zum Alter von zwölf Jahren seien die Kinder etlichen Einflussfaktoren ausgesetzt, die bei der Untersuchung nicht berücksichtigt worden seien. Grundsätzlich sei es aber möglich, dass eine Geburtseinleitung sich negativ auswirken kann. „Wenn eine Geburt künstlich ausgelöst wird, hat das immer auch Nachteile für Mutter und Kind“, sagt Scharrel. Deshalb sollte diese möglichst nur dann erfolgen, wenn sie medizinisch erforderlich sei, rät die Gynäkologin.

Die medizinische Leitlinie der Fachgesellschaften sieht in Deutschland vor, dass ab dem Überschreiten der normalen Schwangerschaftsdauer von 40 Wochen die Schwangerschaft überwacht werden soll. Ab der 41. Schwangerschaftswoche kann laut Leitlinie eine Geburtseinleitung angeboten werden, ab der Mitte der 41. Schwangerschaftswoche sollen Ärzte und Ärztinnen diese empfehlen. Dringend empfohlen werden soll die Einleitung ab der 42. Schwangerschaftswoche.

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Vorteile und Nachteile abwägen

Die Richtwerte basieren auf der aktuellen Studienlage und gelten dann, wenn Mutter und Kind gesund sind. Experten und Expertinnen gehen davon aus, dass die Einleitung der Geburt zu diesen Zeitpunkten sinnvoll ist, um die Gesundheit von Mutter und Kind nicht zu gefährden. Und dass der Vorteil einer Einleitung die möglichen Risiken dann überwiegt. Bei einer zu langen Schwangerschaftsdauer steige das Risiko für eine Totgeburt, andererseits werde durch die Einleitung der natürliche Verlauf der Schwangerschaft beeinflusst: „Die vermuteten Vorteile müssen mit den möglichen Nachteilen abgewogen werden“, schreiben dazu die Fachgesellschaften in ihrer Leitlinie.

Dabei gilt es zu vermeiden, dass eine Geburt nur deshalb eingeleitet wird, weil der Tag der Empfängnis und damit das Alter des Babys falsch berechnet wurden. Die Leitlinie sieht daher vor, schon zu Beginn der Schwangerschaft zu überprüfen, ob die Größe des Babys zu der angenommenen Schwangerschaftsdauer passt und diese, falls nötig, neu zu berechnen. Bei Schwangerschaftskomplikationen wie etwa einer Schwangerschaftsdiabetes, einem vorzeitigen Blasensprung oder einer zu großen oder zu geringen Fruchtwassermenge kann außerdem eine frühere Einleitung erforderlich sein, auch das ist in der Leitlinie festgehalten. Zudem lässt diese auch bei gesunden Schwangeren einen gewissen Spielraum zu.

Das sei gut so, denn jede Schwangerschaft sei individuell, sagt Scharrel. Manche Frauen hätten sogar ihre ganz persönliche Austragezeit, was natürlich erst bei mehreren Schwangerschaften auffällt. „Es gibt Mütter, bei denen jedes Kind zehn Tage nach dem errechneten Termin geboren wird, und deren Babys trotzdem nicht überreif sind“, sagt Scharrel.

Weniger Todesfälle bei früher Einleitung

Scharrel sieht keinen Grund, an den geltenden Richtlinien etwas zu ändern, auch die neue Studie stelle diese nicht in Zweifel. Wenn allerdings eine Einleitung aus nicht medizinischen Gründen gewünscht werde, sollte man sich der möglichen Risiken bewusst sein. Dass Geburtsmediziner und Geburtsmedizinerinnen selbst von den Richtlinien abweichen und unnötig oft einleiten, etwa wegen einer besseren Planbarkeit, glaubt Scharrel nicht. „Das war vielleicht vor 15 Jahren einmal so, inzwischen ist es allen bewusst, dass man das nicht tun sollte.“

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2020 war eine Cochrane-Review erschienen, die tendenziell für eine rechtzeitige Geburtseinleitung zu sprechen scheint. Forscher und Forscherinnen hatten Daten aus 34 Studien aus 16 verschiedenen Ländern neu ausgewertet, an denen insgesamt mehr als 21.500 Frauen teilgenommen hatten. Sie verglichen die Einleitung der Geburt ab der 37. Schwangerschaftswoche mit einer abwartenden Strategie, bei der meist erst nach Ende der 41. Schwangerschaftswoche eingeleitet wurde. Auf 1000 Geburten kamen bei einer frühen Geburtseinleitung 0,4 Todesfälle bei Babys rund um die Geburt, bei der späten Einleitung drei und es gab weniger Kaiserschnitte. Allerdings traten Totgeburten vor allem in der Risikogruppe der Schwangeren ab 40 Jahren und älter auf. Und wann genau der beste Zeitpunkt für eine Geburtseinleitung ist, darauf wollten sich die Autoren und Autorinnen der Cochrane-Review nicht festlegen. Es fehlten noch Daten zur neuronalen Entwicklung der Kinder, heißt es in der Studie.

Die neue Datenauswertung aus den Niederlanden spricht nun tendenziell dafür, dass eine längere Schwangerschaftsdauer besser für die neuronale Entwicklung ist. Eindeutig belegt ist das aber noch nicht. Christiane Schwarz ist Leiterin des Fachbereichs Hebammenwissenschaft am Institut für Gesundheitswissenschaften der Universität zu Lübeck. Ihre Einordnung der niederländischen Studie wurde beim Science-Media-Center veröffentlicht. „Bekannt ist, dass ungeborene Kinder generell von einer physiologisch langen Tragzeit – im Vergleich zur Frühgeburt – kognitiv profitieren“, so Schwarz. Weniger gut erforscht sei die Frage, die nun von der niederländischen Studie aufgeworfen werde: nämlich ob eine um wenige Tage künstlich verkürzte Schwangerschaftsdauer nachteilige Effekte auf das Kind habe. Schwarz hält es für möglich, dass die „individuell-optimale Reife“ einiger Ungeborener bei einer frühen Geburtseinleitung tatsächlich nicht erreicht wird. Die neue Studie werfe wichtige Fragen auf, so Schwarz. Zur Geburtseinleitung gebe es „widersprüchliche und fehlende Evidenz“. Es sei wichtig, in Zukunft genauer zu erforschen, ob durch Geburtseinleitung Totgeburten und Kaiserschnitte verhindert werden können, aber auch, welche negativen Effekte es auf die kindliche Entwicklung und die Geburtserfahrung gebe.

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