Rettet dieser Film das Kino?

„Moby Dick“ mit Hightech: James Camerons zweite „Avatar“-Expedition

Sie kämpfen für Pandora: Sam Worthington als Jake Sully und Zoe Saldana als Neytiri in einer Szene des Films „Avatar 2: The Way Of Water“.

Sie kämpfen für Pandora: Sam Worthington als Jake Sully und Zoe Saldana als Neytiri in einer Szene des Films „Avatar 2: The Way Of Water“.

Stellen wir uns kurz vor: Das Great Barrier Reef wäre nicht von Klimaerwärmung und Pestiziden bedroht, der Amazonasurwald nicht durch Brandrodungen gefährdet, der Ozean nicht voller Plastikmüll. Die Erde: ein einziges Naturparadies.

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Wohin wir auch blicken: Überall kreucht und fleucht es, flattern Vögel, pulsieren Quallen, zuckeln Seepferdchen. Liegen wir im wogenden Gras, lassen sich propellerartige Samen auf uns nieder. Des Nachts bewegen wir uns im Wasser inmitten von fluoreszierenden Fischlein. Wer will, schwimmt im gegenseitigen Einvernehmen mit Walen, reitet auf Delfinen, fliegt auf Drachen.

Fliegt auf Drachen? Nun ja, die eben beschriebenen Arten sind ganz eigenwillige Modifikationen der erdgeschichtlichen Evolution. Alles sieht hier nur so ähnlich aus, wie wir es aus den schönsten Tierdokumentationen kennen, zugleich aber auch anders. Wir befinden uns auch gar nicht auf der Erde, sondern auf dem fernen Mond Pandora.

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13 Jahre nach seinem ersten „Avatar“-Film – und mit sieben Jahren Verspätung zum ursprünglich angekündigten Termin – nimmt uns Regisseur James Cameron mit auf seine zweite Expedition zu den blauen, katzengleichen Wesen mit Wespentaille und langem Schweif. Und so viel lässt sich schon nach wenigen Minuten in dem mehr als drei Stunden langen, aber nicht überlangen 3D-Spektakel „Avatar: The Way of Water“ (Kinostart: 14. Dezember) sagen: Die Seherlebnisse sind überwältigend.

In diesem Film ist das zwischenzeitlich beinahe von der Leinwand verschwundene dreidimensionale Kino mehr als ein überschätzter Spezialeffekt. Ob es aber zum Wiederaufleben von 3D reicht, wie sich Cameron das erhofft? So viele perfektionistische Bilderfinder wie ihn gibt es nicht, die uns in ein einzigartiges Universum eintauchen lassen. Cameron hat Biologen eine eigene Fauna und Flora für Pandora kreieren lassen (und Linguisten eine eigene Sprache).

Avatar: Kolonisatoren von der Erde

13 Jahre sind auch auf Pandora vergangen: Der ehemalige Soldat Jake Sully (Sam Worthington) hat endgültig seinen menschlichen Körper verlassen und ist zu den Na‘vi-Wesen übergewechselt. Mit Neytiri (Zoe Saldana) hat er eine Patchworkfamilie gegründet. Drei eigene und zwei adoptierte Kinder sind darunter, eines in Na‘vi- und eines in Menschengestalt. Sie alle werden für ihren Mond kämpfen.

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Dabei könnte das Leben mit der Natur so friedlich auf Pandora sein, gäbe es da nicht eine andere (selbst)zerstörerische, aggressive, überhebliche Art. Und das sind wir Menschen. Erneut landen Raumschiffe auf Pandora, aus denen Marines im digitalen Na‘vi-Avatar-Look klettern. Die Erde ist inzwischen unbewohnbar. Nun soll ein neuer Planet dran glauben.

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Die Kolonisatoren haben zwei konkrete Aufgaben: den Planeten auszubeuten und den Überläufer Jake Sully zu töten. Dieser flieht mit seiner Familie aus dem Dschungel zu einem verwandten Meeresvolk, das über schwimmtaugliche Schwänze und flossenähnliche Gliedmaßen verfügt. Jake ahnt es noch nicht, aber er wird den Krieg zu seinen Mitbrüdern und Mitschwestern bringen.

Camerons Avatar erinnert an Jonas und der Wal

Regisseur Cameron hat viel Zeit gehabt, sich eine Fortsetzung auszudenken. Genaugenommen sind sogar schon mindestens vier Sequels in Vorbereitung. Aber schon in diesen Film packt er alles hinein, was ihm zum Thema Wasser einfiel.

Ein bisschen „Jonas und der Wal“-Touch gefällig oder doch ein bisschen Hightech-„Moby Dick“? Cameron zitiert sogar seinen eigenen „Titanic“-Film, wenn ein metallenes Schlachtschiff ächzend und knirschend im Meer versinkt.

Die Jagd auf die walartigen Säuger dürfte Greenpeace auf den Mast bringen, so fies ist sie ersonnen: Eine Mutterkuh wird mit Luftkissen an ihren Flossen harpuniert. So kann sie nicht mehr abtauchen. Aus dem Kopf des toten Tieres wird ein Sekret abgesaugt, das dem menschlichen Altern entgegenwirkt.

Man könnte meinen, Cameron habe einen aufrüttelnden Begleitfilm für die rückständigsten Teilnehmer der gerade laufenden Weltnaturkonferenz in Montreal drehen wollen: Der Homo sapiens kann kaum anders, als sich für seinesgleichen zu schämen und Besserung gegenüber allen Mitgeschöpfen zu geloben.

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Den Na‘vi-Teenagern kommt gewissermaßen die Aufgabe der „Letzten Generation“ zu: Sie gebieten den Eindringlingen Einhalt. Diese jugendlichen Aktivisten sind allerdings nicht so rücksichtsvoll, mit Kartoffelbrei zu werfen.

Für schauspielerische Spitzenkräfte wie Sigourney Weaver oder Kate Winslet ist die hier angewendete Performance-Capture-Technik undankbar: Gesichtsausdruck und Bewegungen werden über einen mit Marker gespickten Spezialanzug abgetastet und auf die digitale Na‘vi-Hülle übertragen. Da bleibt wenig Schauspielkunst übrig – erst recht bei Weaver, die einen Teenager verkörpert.

Den Artenschwund wird Cameron mit seinem Film kaum aufhalten können, aber die Kinorettung wäre ja auch schon mal was. Die globale Branche hofft darauf, dass der geschätzt 350 Millionen Dollar teure Pandora-Ausflug das Publikum vor die Leinwände zurückholt.

„Avatar: The Way of Water“, Regie: James Cameron, mit Sam Worthington, Zoe Saldana, Kate Winslet, Sigourney Weaver, 193 Minuten, FSK 12

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