Eine etwas andere Lovestory

Von Wellen und vom Wollen – der Liebesfilm „Wild wie das Meer“ mit Cécile de France

Begehren einander unbändig: Maxence (Félix Lefebvre) und Chiara (Cécile de France). Szene aus dem Liebesfilm „Wild wie das Meer“.

Begehren einander unbändig: Maxence (Félix Lefebvre) und Chiara (Cécile de France). Szene aus dem Liebesfilm „Wild wie das Meer“.

Der Schrecken über das eigene Tun ist ihr förmlich ins Gesicht geschrieben: „Das ist nie geschehen“, herrscht Chiara ihren beinahe noch jugendlichen Liebhaber Maxence an. Sie weiß selbst nicht so genau, wie es am Rande dieser Party zum Seitensprung gekommen ist. Chiara (Cécile de France) eilt zurück zur Feier und schmiegt sich in die Arme ihres ahnungslosen Ehemanns Antoine (Grégoire Monsaingeon).

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Es bleibt nicht beim One-Night-Stand mit dem Azubi

Aber bei diesem One-Night-Stand mit dem Auszubildenden Maxence (Félix Lefebvre) bleibt es nicht. Kaum ist der Lokalpolitiker Antoine von der windumtosten französischen Atlantikinsel zu Verhandlungen über Fischereirechte nach England aufgebrochen, erliegen Chiara und Maxence erneut der gegenseitigen Anziehungskraft. Es ist Chiara, die den ersten Schritt tut. Ob in der kleinen Kajüte ihres Hummerfangboots oder in Chiaras Schlafzimmer: Das sexuelle Begehren, kombiniert mit spielerischer Unbeschwertheit, ist stärker.

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Und plötzlich ändert sich die Stimmungslage in Héloïse Pelloquets Liebesfilm mit dem unglücklichen, weil kitschverdächtigen deutschen Titel „Wild wie das Meer“, der im französischen Original „La Passagère“ (Die Passagierin) heißt. Das Erschrecken in Chiaras Gesicht wandelt sich in Lust, ja, Freude. Was ist, wenn ihr Ehemann in wenigen Wochen zurückkehren wird?

Chiaras Kollegen fühlen sich dem betrogenen Ehemann verbunden

Die Beziehung bleibt nicht lange ein Geheimnis in diesem Mikrokosmos – gedreht hat Regisseurin Pelloquet auf Noirmoutier, wo sie aufgewachsen ist und wo sie auch all ihre Kurzfilme gedreht hat. Chiara stößt auf heftige Ablehnung der Kollegen, die sich ihrem abwesenden Ehemann verbunden fühlen. Er habe doch in jedem Hafen eine Geliebte gehabt, kontert sie die erbosten Vorwürfe eines Freundes.

Regisseurin Pelloquet hat ihren Spielfilm-Erstling als „Anti-Bovary“-Geschichte betitelt. Soll heißen, dass hier weibliche Untreue keine Strafe und auch keine Schuldgefühle nach sich zieht. Überkommene gesellschaftliche Regeln für ehebrechende Frauen gelten im 21. Jahrhundert nicht mehr.

Liebesfilm mit neuem Blick auf das Geschlechterverhältnis

Unverkennbar hat gerade in den vergangenen Jahren eine neue Perspektive auf das Geschlechterverhältnis Einzug gehalten im Kino. Ein bisschen Ironie steckt schon darin, dass das auch mit einem Mann in einem US-Gefängnis zu tun hat, der als Sexualstraftäter den Rest seines Lebens wohl hinter Gitter verbringen wird. Erst der tiefe Fall des Studiochefs Harvey Weinstein hat dem Kino einen Push verliehen und dabei geholfen, die Beziehungen zwischen Männern und Frauen auf der Leinwand neu zu sortieren – nicht nur in den USA, sondern gerade auch in Frankreich, wo Frauen lange als Objekte der Begierde ausgestellt wurden.

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Gerade lief auf deutschen Leinwänden „Im Herzen jung“, noch so eine französische Geschichte zwischen einer älteren Frau und einem jüngeren Mann. Ein Arzt findet die Liebe seines Lebens bei einer 70-Jährigen. Dass Männer sich in fortgeschrittenem Alter zu jüngeren Frauen hingezogen fühlen, ist nicht nur in der Wirklichkeit, sondern besonders auch im französische Kino eine beliebte Spielart. In „Im Herzen jung“ drehte Regisseurin Celine Tardieu das Stereotyp um.

Umgekehrte Liebesgeschichten haben Konjunktur

Und nun wieder so eine quasi umgekehrte Liebesgeschichte, dazu in einem ungewohnten Umfeld: Chiara ist Fischerin, wettergegerbt, zupackend und seefest. Maxence ist ein junger Mann aus gut situiertem Hause „mit Bediensteten“, wie Chiara anfangs abfällig bemerkt.

Erst einmal kotzt sich der junge Mann auf dem schaukelnden Boot die Seele aus dem Leib. Allmählich aber erarbeitet er sich Chiaras Respekt – und Maxence ist seinerseits fasziniert von dem Selbstbewusstsein und der Stärke der so viel Älteren, die sich in dieser rauen Männerwelt behauptet. Von Fischer(innen)romantik keine Spur: Es ist harte körperliche Arbeit, wenn die Austernkörbe aus dem Meer gezogen werden oder der zappelnde Fang in den Bassins verteilt wird.

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Für Regisseurin Pelloquet spielt der Altersunterschied keine Rolle

Der Altersunterschied spielt in diesem Film praktisch keine Rolle, weder für die beiden noch für die Regisseurin – und damit auch fürs Kinopublikum nicht. Die Konsequenzen ihres Tuns ändern nichts an Chiaras Handeln. „Du hast schon immer getan, was du wolltest“, wird Ehemann Antoine nach seiner Rückkehr zu ihr sagen. Ganz klar ist dabei nicht, ob in dem Satz eher Bewunderung oder doch Kritik steckt. Vielleicht resigniert er auch über das veränderte Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern.

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Immer wieder wird diese so selbstverständliche Liebesbeziehung durch Totalen aufs Meer auf Distanz gerückt. Den herannahenden Wellen sind menschliche Verfehlungen egal.

Wie hätte so eine Liebesgeschichte im Kino wohl noch gar nicht allzu langer Zeit geendet? Die junge Regisseurin Pelloquet findet einen verblüffend unspektakulären Schluss. Nur so viel: „Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich euch beide behalten“, sagt Chiara ihrem Ex-Ehemann Antoine. Und der schaut in einer Mischung aus Verblüffung und Schmerz zurück

„Wild wie das Meer“, Regie: Héloïse Pelloquet, mit Cécile de France, Félix Lefebvre, Grégoire Monsaingeon, 94 Minuten, FSK 12

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