Das Troubadix-Syndrom

Unerschütterlich von seinem Talent und dem Barbarentum aller Kritiker überzeugt: Barde Troubadix ist ein perfektes Beispiel für moderne Narzissten.

Unerschütterlich von seinem Talent und dem Barbarentum aller Kritiker überzeugt: Barde Troubadix ist ein perfektes Beispiel für moderne Narzissten.

Hannover. Der Barde kann nicht singen, nicht einen Ton. Wenn er zur Lyra greift, fallen die Vögel tot vom Himmel. Asterix weiß das, Obelix weiß das, das ganze Dorf weiß das. Das ganze Dorf? Nein. Troubadix selbst ist überzeugt, ein Goldkehlchen zu sein. Ein Star in spe, dessen Talent bloß verkannt wird. Dass diese Banausen ihn bei jedem Gelage an einen Baum fesseln, damit er das Fest nicht durch lyrische Ergüsse stört, ist für den gallischen Narzissten nur ein Beweis ihrer Barbarei.

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Die Welt ist voll von Troubadixen. Von Menschen, deren Selbstbewusstsein unerschütterlich scheint, obwohl alle Fakten Anlass zur Zurückhaltung böten. Von Gernegroßen, die jeden Rückschlag nicht etwa sich selbst ankreiden, sondern ihrer neidischen, ahnungslosen und undankbaren Umwelt. Ihr seid doch bloß unfähig, die Talente dieses Gottesgeschenks anzuerkennen, das da in eurer Mitte weilt! Die USA werden derzeit von einem solchen Gottesgeschenk regiert: Donald Trump ist der bekannteste Patient, der am Troubadix-Syndrom leidet. Eigene Fehler? Nicht doch. Die Medien. Die Demokraten. Die Eliten. Hillary. Alle sind schuld. Nur nicht Donald Trump.

Und Trump ist nicht allein. Erdogan. Orban. Putin. Ronaldo. Theresa May. Dieter Bohlen. Ihnen allen fehlt die Souveränität wirklich großer Menschen. Das Gespür für die Bedürfnisse der anderen. Frei nach Hermann Hesse: Narziss und Vollmund. Befallen sind nicht nur die Mächtigen. Soziologen warnen: Narzissmus wird zur Volkskrankheit. Das Heer der Blender, die sich von Blendern bereitwillig blenden lassen, schwillt an. Millionen nehmen nur noch zur Kenntnis, was ihnen schmeichelt und ins Selbstbild passt. Die Welt als Jagdplatz für den eigenen Vorteil. Soziale Medien sind die Tummelfelder für Selfie-Soziopathen im Sog des Selbst.

Schutzblase gegen geringes Selbstbewusstsein

Wir erleben die Instagramisierung des menschlichen Zusammenlebens: Wo die Wahrheit den Ansprüchen nicht genügt, kommen beschönigende Filter zum Einsatz, technische wie emotionale. “Unser Leben erscheint sehr viel interessanter, wenn es durch die sexy Facebook-Schnittstelle gefiltert wird“, schreibt US-Autor Jonathan Franzen. “Wir sind Stars unserer eigenen Filme.“ So wird die Welt jedes Einzelnen zum Zerrspiegelkabinett.

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Narzissmus ist eine Schutzblase der Seele. Sie verleiht Menschen mit geringem Selbstbewusstsein die Fähigkeit, Kränkungen und Enttäuschungen auszuhalten. Unentwegt spricht der Narzisst über sich selbst, blickt spöttisch auf Spötter, ist reizbar, nachtragend und kleinlich, wird eisig bei Witzen auf seine Kosten, fühlt sich von Natur aus im Recht und verpasst stets den Moment, in dem sein Eigenlob peinlich wird. Es ist eine emotionale Flucht nach vorn. Dampfend vor Selbstzufriedenheit saß Trump jüngst in seiner ersten Kabinettssitzung, während seine Minister sich in devoten Ergüssen über seine Großartigkeit ergingen. Studien zeigen, dass Männer eher Narzissten sind als Frauen, Westdeutsche eher als Ostdeutsche und Deutsche insgesamt eher als Chinesen.

Und ist das so schlimm? Heißt es nicht in der Bibel: “Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“? Ist Selbstliebe nicht die Voraussetzung für die Liebe überhaupt? Nicht, wenn sie abhängig macht. Wenn sie Lebenspartner, Kollegen und Wähler quält. “Die Eigenliebe bringt mehr Wüstlinge hervor als die Liebe“, schrieb Jean-Jacques Rousseau. Trotzdem belohnt die moderne Gesellschaft Geltungssucht: Die Medien stürzten sich auf das Phänomen Trump wie Wespen auf den Erdbeerkuchen. Das Fernsehen spiegelt und befeuert den Trend mit TV-Egotrips wie “Deutschland sucht den Superstar“, “Die Höhle der Löwen“, “Der Bachelor“ und unzähligen Reality-Shows, in denen stets der beste Verkäufer seiner selbst gewinnt. So entsteht eine Spirale der Egomanie.

Nicht jeder mit Selfie-Stick ist ein Narzisst

Die Medienmaschinerie dürstet es geradezu nach Narzissten und Histrionikern – übertrieben emotionalen Menschen, die auf der ständigen Suche nach Aufmerksamkeit und Bestätigung exzentrisch wirken. Und Teenager kopieren, was sie sehen: Erst seit wenigen Jahren fächeln sich eskalierende Schulmädchen mit flatternden Händen Luft zu und hauchen “Oh mein Gott!“

Aber nicht jeder, der einen Selfie-Stick hält, ist ein Narzisst. Er betreibt nur eine moderne Form der Identitätssuche und Rückversicherung. Zum Narzissten wird er erst, wenn er sich den anderen dabei überlegen fühlt. Der römische Dichter Ovid erzählte die antike Sage vom Jüngling Narziss, der einst die Liebe einer Frau verschmähte und dafür mit unerfüllbarer Selbstliebe zu seinem Spiegelbild im Wasser bestraft wird. Die Herzen von Männern und Frauen fliegen ihm zu – aber er ist unfähig zur Erwiderung. Die Nymphe Echo und Narziss’ Verehrer Ameneios nehmen sich das Leben. Im Tod verwandelt sich der Narzisst dann in eine schöne Blume – eine Narzisse.

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In der Seele des Menschen gebe es “eine natürliche Sehnsucht, das Objekt fortwährender Beobachtung zu sein, überall Bilder von sich selbst zu erblicken“, schrieb der englische Essayist William Hazlitt schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts – 200 Jahre vor der Handy-Frontkamera. Der “Wert“ eines Individuums, sein Ansehen, pendelt sich nach dem Urteil seiner Umwelt ein wie ein Marktpreis. Ein geringes Selbstbewusstsein und der Wunsch, geliebt zu werden, sind also höchst geeignete Motoren für eine Showkarriere. “Mein Vater hat mir nie gesagt, dass er mich liebt“, sagte Michael Jackson mit Tränen in den Augen vor Oxford-Studenten. “Ich bin das Produkt eines Mangels an Kindheit.“

Immunisiert gegen Kritik

Ein Trick der Psyche: Narzissmus immunisiert gegen die Kritik, ein Narzisst zu sein. Als Krankheitsdiagnose (ICD F60.8) existiert die “narzisstische Persönlichkeitsstörung“ erst seit 1980 – seit dem Beginn des ersten Ich-Ich-Ich-Jahrzehnts also, das Jahrhundertnarzissten wie Prince, Madonna, Axl Rose und Michael Jackson hervorbrachte. “Karriere ist etwas Herrliches“, hat Marilyn Monroe mal gesagt, “aber man kann sich nicht in einer kalten Nacht an ihr wärmen.“

Ein Grund für die Jagd des Narzissten nach Glamour und Aufmerksamkeit – sagt der Berliner Philosophieprofessor Byung-Chul Han – liege darin, dass Innerlichkeit und Einkehr in der medialen Verwertungskette keinen Resonanzboden fänden. Stattdessen bestimmten Sichtbarkeit und Oberflächlichkeit den Alltag, in dem sich lauter narzisstische Ichs im Leerlauf befänden, die sich selbst fremd sind. So entsteht statt Selbstbewusstsein eine kollektive Selbstbewusstlosigkeit.

Was tun gegen die Leere? Ruhm dient als Ausweg. Ruhm verspricht Distanz zur Masse der Nichtberühmten. Wer berühmt ist, der hebt sich ab vom Mittelmaß, der steht auf einem unsichtbaren Sockel aus Bewunderung. Tausende jagen diesem diffusen Traum nach. “Ich muss berühmt sein, sonst bin ich niemand“, sagte der US-Musiker James Hetfield von der Hardrockband Metallica. Dabei erleben Millionen im Kleinen den uralten Konflikt der Großen: Entweder, man verweigert ihnen die Anerkennung. Dann stapfen die gekränkten Prinzessinnen bebend vor Zorn aus dem “DSDS“-Studio und jammern über die Inkompetenz von Dieter Bohlen. Oder sie werden zerrissen zwischen Mensch und Image, zwischen Selbstbild und Fremdbild.

Wenn Erfolg wichtiger ist als Selbstachtung

Irgendwann, wenn der eigene Instagram-Account mit dem eigenen Leben nichts mehr zu tun hat, wird’s kritisch. “Ein Image und ein Mensch sind zweierlei“, sagte Elvis Presley. “Ich bin es leid, Elvis zu sein. Wenn dein Kopf zu groß wird, bricht er dir den Hals.“ Dagegen hilft kurzfristig die Erhöhung der Dosis. “Der Teil meines Verstandes, in dem die Vernunft beheimatet ist, brüllt immer lauter: Robbie, hör’ endlich auf mit dem Popstar-Mist“, sagte Robbie Williams zu Beginn seiner Karriere. “Aber noch antwortet mein Ego: Gib mir mehr von dem Wahnsinn!“

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Doch nach Williams’ Wahnsinn streben in Pop und Politik eben auch völlig unbegabte Narzissten. “Wenn Reichtum einen höheren Rang einnimmt als Weisheit, wenn Bekanntheit mehr bewundert wird als Würde, wenn Erfolg wichtiger ist als Selbstachtung, überbewertet die Kultur selbst das ,Image‘, und man muss sie als narzisstisch ansehen“, schrieb der US-Psychotherapeut Alexander Lowen. Das Troubadix-Syndrom ist ein Massenphänomen.

Die Dosis macht das Gift

Die Quelle des Übels liegt auch im Bemühen verunsicherter Eltern, ihren Kindern Selbstbewusstsein einzuimpfen. Alle Väter und Mütter kennen die Beispiele von Familien, in denen Kinder selbst bei falschen Mathelösungen enthusiastisch gelobt werden, damit sie “keine Frustrationserlebnisse haben“. Ein verheerender Erziehungsfehler. Die Forschung zeigt: Die Selbstidealisierung von Kindern hat ihren Ursprung im überdrehten Lob ihrer Eltern. Solche Kinder kennen im Leben kein höheres Ideal als sich selbst. “Kinder glauben ihren Eltern, wenn die ihnen sagen, sie seien besser als andere“, sagt der Psychologe Brad Bushman. Gut für die Karriere. Schlecht für das Leben.

Für Alice Miller sind Depression und Größenwahn zwei Seiten derselben Medaille. Beides entstehe, wenn Kinder Ventile suchten für Gefühle, die sie nie äußern konnten – auch deshalb, weil sie die ihnen eingeimpfte Großartigkeit ständig beweisen zu müssen glaubten. Kinder reagieren fast identisch auf chronisch lobende und emotional kalte Eltern: mit Hunger nach Wertschätzung und Aufmerksamkeit. Das Bemühen der Eltern, ihr Kind zu stärken, erzeugt genau das Gegenteil. Die Dosis macht das Gift.

“Ist das nicht der Wahnsinn, was mein Donald geschafft hat?“, rühmte Fred Trump seinen Zweitgeborenen 1977. Da hatte er ihn gerade mit einer Million Dollar Startkapital ausgestattet. Donalds älterer Bruder Freddy hörte solches Lob nicht. Er starb 1981 an Alkoholmissbrauch.

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Ein krächzender Barde auf Weltreise: In “Asterix im Morgenland“ (Band 28) singt Troubadix den Regen herbei.

Ein krächzender Barde auf Weltreise: In “Asterix im Morgenland“ (Band 28) singt Troubadix den Regen herbei.

Von Imre Grimm

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