„Rabiat – Scheißjob Lehrer“

Frustrierte Lehrerin erklärt in ARD-Doku, warum sie nur noch acht Wochenstunden arbeiten will

Nina Oehmichen ist gern Lehrerin. Vielleicht aber nicht mehr lange. Die Schwächen der Bildungspolitik zermürben sie.

Nina Oehmichen ist gern Lehrerin. Vielleicht aber nicht mehr lange. Die Schwächen der Bildungspolitik zermürben sie.

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„Einmal Lehrer werden – Wahnsinn!“ Früher war’s ein Wunsch, ein Traum, ein Ziel. Gleich nach Cowboy und Prinzessin oder Feuerwehrmann und Tierärztin. Heute ist es der Aufschrei des Albträumenden: „Lehrer werden? Bist du wahnsinnig?“ Wie konnte es so weit kommen? Und ist noch was zu finden, zwischen den Trümmern der deutschen Bildungspolitik, das Rettung verspricht? Reporterin Claudia Euen aus dem „Rabiat“-Reportagepool der ARD hat für „Scheißjob Lehrer?“ ein bisschen gewühlt.

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Greta Thunberg hat auch mal klein, das heißt allein, angefangen. Am 20. August 2018 setzte sie sich (ohne Klebstoff!) erstmals auf die Straße vor dem schwedischen Parlament und begann ihren Streik für mehr Klimaschutz. Witzigerweise war es ein Montag, aber es wurde daraus Fridays For Future, eine Bewegung, die Politiker unter Handlungsdruck bringt.

So gesehen haben Nora Oehmichen und ihre Mitstreiter von Teachers For Future noch alle Chancen. Sie sind nämlich auch fast alleine, als sie Stuttgart bei ihrer Demo für bessere Bildung „Hoch die Hände, Bildungswende!“, „Deutsche Schulsysteme machen nur Probleme“ ins Megaphon reimen oder Schilder wie „Aufrichten statt Unterrichten“ in Richtung der Fenster des Kultusministeriums recken.

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Womöglich fehlen viel mehr Lehrer als „nur“ 150.000

Es ist was faul im Staate der Denker und Dichter, der Lenker und Unterrichter. Lehrer scheint kein erstrebenswerter Beruf mehr zu sein. Jedenfalls wollen sich immer weniger den Beruf, der einst als Berufung verklärt war, antun. Nur die Hälfte der Lehramtsstudenten zieht das Studium durch. Dabei wird Nachwuchs – Stichwort: „Lehrermangel“ – von vielen händeringend ersehnt. Nur leider „nur“ bei Kollegen, Kindern und Eltern. Und die können sich die Lehrkräfte leider nicht schnitzen.

Lehrer sind rar. Die Politik sagt, es fehlen bundesweit 30.000. Gewerkschaften und Wissenschaftler vermuten, es dürften mindestens 150.000 sein, die „Dunkelziffer“ sei aber hoch. Unter anderem deshalb, weil die Ausschreibungen für offizielle Lehrerstellen nicht den Stand des Bedarfs widerspiegelten. „Wir hätten zuletzt acht Physik- und Mathelehrer benötigt, durften aber nur zwei ausschreiben“, erzählt ein frustrierter Schulleiter in der Reportage. Keine Gewähr, dass die Stellen gefüllt werden konnten.

Die Lehrer als Sündenböcke für die Fehler der Politiker

Natürlich ist, wie auch sonst, die Politik schuld. Klingt polemisch, ist aber so. Die ließ sich schon 2013 von fehlerhaften Schülerzahlenberechnungen durch das Statistische Landesamt übertölpeln, weil man dort, wie Kultusministerium Theresa Schopper (Baden-Württemberg) sagt, die „Binnenwanderung“, innerdeutsch wie europäisch, unterschätzt habe.

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Es war, so erinnert Claudia Euen, eine Bildungskrise mit Ansage. Viele Pensionierungen stießen auf steigende Geburten- und Zuwanderungszahlen. Das war seit einer Dekade bekannt. Nun fühlen sich Lehrer wie Julia Hehl (31) im Stich gelassen. Sie verbringt täglich 9,5 Stunden in der Schule, abends und am Wochenende Vorbereitung auf die nächsten Unterrichtsstunden und Korrekturen.

„Scheißjob Lehrer?“ Das wurde Julia Hehl nicht sagen, einst war es ihr Traumberuf. Aber es war kein angenehmer Beruf mehr. Sie hat gekündigt.

„Scheißjob Lehrer?“ Das wurde Julia Hehl nicht sagen, einst war es ihr Traumberuf. Aber es war kein angenehmer Beruf mehr. Sie hat gekündigt.

Aber nicht mehr lange, sie hat gekündigt. Verbeamtung hin wie her. Denn die ist auch nicht mehr die große Verlockung, sondern trug mit zum sinkenden Image-Level in der frustrierten Gesellschaft von Nichtlehrern bei. Die Vorturteile: „wenig arbeiten, ordentlich Kohle, im Sommer Ferien, sorglos leben, krankfeiern.“ Das trifft, was Julia Hehl an Frust abbekommt: „Man ist immer der ‚faule Lehrer‘, der für die Systemfehler, die andere begangen haben, verantwortlich gemacht wird.“

Lehrer pro Woche nur 15 Stunden da – Schüler 40

Die bildungspolitisch aktive Nora Oehmichen ist auch in der Schule engagiert, ihr Unterricht soll lebhaft, interessant sein, sie erarbeitet sich, zum Beispiel in Ethik, auch Themen außerhalb des offiziellen Stoffplans. Nur leider ist sie nicht so oft da. Sie reduzierte einst wegen ihrer kleinen Kinder ihr Pensum.

Die Kinder sind jetzt groß, Oehmichen ist schon insgesamt 17 Jahre dabei. Aber so viel Lehrermangel ist dann doch nicht, dass sie selber wieder aufstockt. Eher möchte sie gerne weiter reduzieren. Was den Vorgaben der Politik zuwiderläuft: Die fordert nämlich weniger Teilzeit.

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Oehmichen möchte künftig nur noch acht statt zuletzt 15 Stunden in der Schule arbeiten, sich stattdessen mehr „bildungspolitisch engagieren“. Das ist ein eherner Vorsatz, aber irgendwie auch seltsam konterkarierend, wenn man bedenkt, dass die Kinder 40 Stunden vor Ort sind und täglich als „Themenallrounder“ perfekt performen sollen.

Oehmichen und Co. treiben ambitionierte Reformgedanken nach Straffung und Entrümpelung der erzkonservativ-starren Schulpläne um. Das ist gut. Unter anderem auch die Abschaffung der Benotung. Ob dies das Wundermittel ist? Und generell: Kann die Schlacht um die Rettung der Bildung und des Lehrerberufs am Megafon gewonnen werden?

Deutsche „Kreidezeit“ trotz der Digitalisierung

Vielleicht doch eher dort, wo entschieden wird, wie mit Lehrkräften aus dem Ausland umzugehen ist. Die, selbst wenn sie einst in Syrien oder Afghanistan an Schulen unterrichteten und/oder studierten, werden hierzulande jahrelang hingehalten, bis sie dürfen, was sie gerne täten: helfen, unterrichten, arbeiten. Fidaa Alsilek floh 2016 aus Syrien nach Deutschland. Der studierte Englischlehrer kämpfte jahrelang um seine Anerkennung, bis er 2020 endlich loslegen durfte.

Fidaa Alsilek, studierter Englischlehrer aus Syrien, arbeitet heute als Seiteneinsteiger an einer Sekundarschule in Stendal.

Fidaa Alsilek, studierter Englischlehrer aus Syrien, arbeitet heute als Seiteneinsteiger an einer Sekundarschule in Stendal.

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Das lange und zermürbende Warten hat ihn „enttäuscht“. „Verwundert“ hat ihn, was er dann in seiner Schule vorfand, von der er „alles tippitoppi“ à la Made in Germany erwartete: „Ich hatte zuvor nie mit Kreide gearbeitet. In Syrien haben wir schon vor dem Krieg mit Black- oder Whiteboard gearbeitet.“ Willkommen im digitalen Neandertal.

Claudia Euen kann am Ende von „Scheißjob Lehrer?“ auch nur appellieren, nicht lösen. „Es ist zwecklos, an einem System festzuhalten, das so nicht mehr funktionieren kann“, sagt sie und fordert hülsenhaft „mehr Teamwork, mehr future skills, mehr Nachhaltigkeit auch im Lernen“ und dazu auf, „Lehrkräfte wertzuschätzen“. Wünschen sich die Schüler (von den Lehrern) übrigens auch. Könnte man glatt mal drüber reden. Wenn sie mal gemeinsam da wären.

RND/Teleschau

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