Hitzige Debatte

Gewalt in Freibädern: Trend oder aufgebauschtes Problem?

Badegäste tummeln sich im Freibadbecken – da kann es schon mal zu Konflikten kommen.

Badegäste tummeln sich im Freibadbecken – da kann es schon mal zu Konflikten kommen.

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Manchmal ist noch alles in Ordnung. Dann, wenn die Zeit kurz still zu stehen scheint. Zum Beispiel im Freibad im niedersächsischen Lehrte. Ein Schwimmbecken mit Drei-Meter-Turm, Nichtschwimmerbecken mit Riesenrutsche, ein Volleyballfeld, Fußballtore auf der Wiese, Pommesbude. Es riecht nach Chlor und Frittenfett.

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Christian Sieronski sitzt an einem Dienstagmittag auf einer Bank am Beckenrand und schaut in die Sonne. Ein paar Köpfe gleiten durch das glitzernde Wasser. Auf der Rutsche tobt sich eine Gruppe Jungs im Grundschulalter aus. Einzelne Handtücher liegen verstreut auf der Liegewiese. Etwa 50 Leute sind an diesem 23 Grad warmen Vormittag in das Freibad gekommen.

„Unter der Woche ist alles ruhig“, erklärt Sieronski. „Aber am Wochenende oder in den Ferien, wenn‘s richtig heiß ist, haben wir hier über 2000 Badegäste.“ Seit zehn Jahren ist er Bademeister im Freibad Lehrte. Seitdem merkt er, dass sich etwas verändert hat. „Irgendwas ist da passiert in der Gesellschaft“, sagt er. Die Respektlosigkeiten nähmen zu. Die Autorität vom Bademeister dagegen ab.

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Sieronski erlebt das als eine Art Wettstreit unter pubertierenden Jungs. Es sei cool, keinen Respekt zu zeigen. „Das ist dann ein Spiel, wie weit man gehen kann, bis man rausfliegt.“ Doch im Vergleich zu den Berichten der letzten Tage über gewalttätige Auseinandersetzungen in anderen Freibädern seien das Kleinigkeiten.

Christian Sieronski hat am Dienstagvormittag im Freibad Lehrte einen entspannten Job.

Christian Sieronski hat am Dienstagvormittag im Freibad Lehrte einen entspannten Job.

Anlass für die Aufregung war die Räumung des Columbiabads in Berlin-Neukölln am Sonntag vor einer Woche, nachdem es dort zu Ausschreitungen unter Badegästen gekommen war. Auch im Prinzenbad in Berlin-Kreuzberg kam es wiederholt zu Auseinandersetzungen. Vor allem junge Migranten seien daran beteiligt, heißt es in den Berichten. Seitdem kocht eine Debatte über Integration, Männlichkeit und die allgemeine Sicherheit in Schwimmbädern.

Aufgeheizte Debatte

Boulevardmedien und AfD-Politiker sprechen von „ausufernder Gewalt“ und machen die sogenannte „unkontrollierte Migration“ dafür verantwortlich. Für Berlins Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) waren die Vorfälle so dramatisch, dass er persönlich das Prinzenbad besuchte, um medienwirksam Einlasskontrollen für die Bäder anzukündigen. Er erklärte, dass es sich bei den Unruhestiftern vorwiegend um „Wiederholungstäter“ handle, die die Freibäder „terrorisieren“. Das Thema erreichte schließlich die Bundesebene, als der neue CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann forderte, die Täter sollten zukünftig noch am selben Tag vor einem Richter stehen.

Die SPD kritisierte Linnemanns Vorstoß als „Populismus pur“. Das Problem, so sagen Kritiker, werde größer gemacht, als es ist. Laut Zahlen des Deutschen Städte- und Gemeindebunds (DStGB) gab es im Jahr 2022 etwa 2800 Freibäder in Deutschland. In den allermeisten hört man von derartigen Vorfällen nichts.

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Aus der Antwort auf eine Anfrage der AfD im Berliner Abgeordnetenhaus zum Thema „Sicherheit in Berliner Freibädern“ ergibt sich für das Jahr 2022 keine Zunahme von Gewaltdelikten in Berliner Freibädern im Vergleich zu den Vor-Pandemie-Jahren 2018 und 2019.

Der Medienwissenschaftler Thomas Hestermann von der Hochschule Macromedia in Hamburg sagt: „Die aktuelle Berichterstattung erweckt den Eindruck, diese Einzelfälle würden für einen Trend stehen.“ Zweifellos gebe es Massenschlägereien in Freibädern, die habe es aber auch schon vor 13 Jahren gegeben. „Das weckt Zweifel daran, dass das Phänomen, das wir gerade diskutieren, wirklich neu ist.“

Hestermann forscht zur Berichterstattung über Gewalttaten. Er vergleicht die Medienberichte mit der Polizeistatistik. „Ein Trend lässt sich aus den Befunden nicht ableiten“, erklärt er im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Die aktuelle Aufregung ist der Spiegel der öffentlichen Aufmerksamkeit. Und diese Aufmerksamkeit ist kurzlebig und wenig verlässlich, wenn es darum geht, Trends abzuleiten.“

Bäderbetriebe: Kein Anstieg von Gewalttaten

Stichprobenartige Anfragen des RND bei Bäderbetrieben und Städten in Deutschland zeigen ein ähnliches Bild. Eine Zunahme der Anzahl von Gewalttaten lässt sich den Angaben zufolge in den meisten Freibädern nicht beobachten. Aus Essen heißt es beispielsweise, man nehme die Badesaison bisher so wahr wie im Vorjahr. Die Stadt Stuttgart erklärt, es habe einige Vorfälle von sexueller Belästigung gegeben, Massenschlägereien oder Ähnliches aber „glücklicherweise nicht“.

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Auch in den städtischen Bädern in Hannover habe man keine solche Ereignisse zu verzeichnen. Ebenso wenig wie in Kiel und Wolfsburg, wie Sprecherinnen und Sprecher der Stadt jeweils bestätigen. Und aus Dortmund heißt es von einer Sprecherin der Badebetreiber Sportwelt gGmbH: „In den letzten Jahren haben bei uns in den Bädern die Gewalttaten oder Auseinandersetzungen nicht zugenommen.“ Im Gegenteil: Wie die Polizei Dortmund mitteilt, seien die Einsatzzahlen in Freibädern für das Jahr 2023 bisher „deutlich rückläufig“.

Die Dresdner Bäder GmbH beobachtet zwar vermehrt Auseinandersetzungen für die Bäder „im Stadtzentrum sowie in sozialen Brennpunktgebieten“. Allerdings gehe es oft nicht um das Ausüben von körperlicher Gewalt, sondern „um den Aufbau von Drohszenarien – gegenüber unseren Gästen als auch gegenüber unserem Personal“, wie ein Sprecher mitteilt. Das Verhalten gehe überwiegend „von Besuchern mit Migrationshintergrund aus“. Auf Nachfrage heißt es, dazu, ob ein Gast einen Migrationshintergrund habe, gebe es „keine belastbaren Zahlen“ – „die Mitarbeiter schätzen das ein.“

Deeskalationstrainings für ihre Mitarbeitenden

Um mit brenzlichen Situation besser umgehen zu können, haben einige Bäderbetriebe bereits Sicherheitspersonal eingestellt. Andere Bäder bieten Deeskalationstrainings für ihre Mitarbeitenden an. Auch Christian Sieronski aus dem Freibad Lehrte hat bereits an einem dieser Trainings teilgenommen. Allerdings sagt er: „Das war eher ein Seminar für Büroangestellte und nicht spezifisch für das Schwimmbad. Das werden wir so nicht brauchen.“

Im Umgang mit den Gästen sei allgemein Fingerspitzengefühl gefordert. Er sei so etwas wie „das Mädchen für alles“. Einen Sicherheitsdienst gibt es im Lehrter Freibad nicht. „Noch nicht“, sagt Sieronski. „Momentan kommen wir noch ohne externe Hilfe zurecht.“ Ob das so bleibt, wisse er nicht.

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