Ehemaliger politischer Shootingstar

Erst verschwunden, dann geschasst: das Rätsel um Chinas Außenminister Qin Gang

Chinas ehemaliger Außenminister Qin Gang.

Chinas ehemaliger Außenminister Qin Gang.

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Peking. Einem Monat nach seinem mysteriösen Verschwinden klärt sich das Schicksal von Chinas Außenminister Qin Gang zumindest ein bisschen auf: Am Dienstag stimmte der Ständige Ausschuss des Volkskongresses dafür ab, den 57-Jährigen aus seinem Amt zu entfernen. Ihm folgt nun sein Vorgänger Wang Yi.

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Chinas Außenminister seit Wochen verschwunden und aus Amt entfernt

Einen Monat lang rankten sich wilde Spekulationen über das Verschwinden des chinesischen Außenministers. Jetzt ist er sein Amt los.

Es ist zweifelsohne der wohl größte politische Skandal innerhalb des chinesischen Parteiapparats seit Jahren, und weiterhin bleibt die Gretchenfrage unbeantwortet: Warum Qin konkret geschasst wurde, ist nach wie vor unklar. Und auch wenn die Kommunistische Partei schon bald eine offizielle Erklärung nachreichen wird, gilt angesichts der dystopischen Intransparenz als überaus wahrscheinlich, dass die Weltöffentlichkeit wohl nie erfahren wird, was sich genau hinter den Kulissen zugetragen hat.

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Die meisten Beobachter sahen eine große Karriere für Qin Gang

Ein Blick zurück: Der in der nördlichen Provinz Hebei geborene Qin Gang galt als regelrechter Shootingstar innerhalb der Kommunistischen Partei. Zeit seiner beruflichen Karriere diente er fast durchgängig im Außenministerium, wo er bei den Pekinger Korrespondenten spätestens in den frühen 10er-Jahren in seiner Rolle als Sprecher auffiel: Bei den täglichen Pressekonferenzen des Ministeriums erarbeitete sich Qin Gang mit seinen konfrontativen und nationalistischen Antworten einen berüchtigten Ruf als chinesischer „Wolfskrieger“.

Doch der Diplomat konnte auch anders, wenn er denn wollte. In seiner Rolle als Botschafter in Washington, wohin er 2021 versetzt wurde, zeigte er durchaus Charme und Weltgewandtheit. Unvergessen bleibt sein Besuch beim NBA-Spiel der Washington Wizzards, als Qin Gang während der Pause locker ein paar Körbe auf dem Platz warf – selten hat man einen chinesischen Botschafter derart menschlich wahrgenommen.

Müssen wir unabhängiger von China werden?

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Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat uns vor allem eins gezeigt: Wirtschaftliche Verflechtungen mit autokratischen Staaten können den Westen am Ende teuer zu stehen kommen. Auf der anderen Seite ist gerade China ein wichtiger Handels­partner und Rohstoff­lieferant. Wie lange können wir uns das noch leisten? Oder müssen wir einfach lernen, damit zu leben?

Als Qin Gang Anfang des Jahres schließlich zum Außenminister ernannt wurde, war dies der letzte Beweis, dass der Spitzen­diplomat einen exzellenten Draht zu Staatschef Xi Jinping unterhielt. Die meisten Beobachter hätten damals darauf gewettet, dass Qin die Spitze seiner politischen Karriere noch längst nicht erreicht hat.

Nun ist es jedoch definitiv anders gekommen. Die Causa Qin Gang mag möglicherweise darauf hindeuten, dass es innerhalb des Führungs­zirkels unter Xi interne Streitigkeiten gibt. Doch letztlich war die Art, wie man den Fall handhabte, eine nonchalante Macht­demonstration des Staatschefs: Scheinbar unbeeindruckt von der Weltöffentlichkeit, die den leninistischen Sicherheits­apparat der Chinesen offen vor Augen geführt bekam, kümmerte man sich nicht um gesichts­wahrende Erklärungen – sondern ließ Qin Gang einfach spurlos verschwinden.

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China ist kein normaler Staat

Für die Außenpolitik des Landes wurde dessen Abwesenheit zunehmend zum Problem, das über das reine Image des Landes hinausging. Viele Regierungen zeigten sich hinter vorgehaltener Hand stark irritiert, mit was für einen Staat sie es zu tun haben.

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Und was bislang in der medialen Öffentlichkeit untergegangen ist: Die Reisen und offiziellen Termine Qin Gangs wurden bereits seit Wochen von Wang Yi übernommen – ein Politiker, der zwar einen hochrangigen Parteiposten innehat, aber zum damaligen Zeitpunkt keinerlei Regierungs­funktion mehr bekleidete. Mehr als deutlicher kann man nicht demonstrieren, dass China eben nicht wie ein „normaler“ Staat funktioniert, sondern einzig die Kommunistische Partei das Sagen hat.

Das Faszinierende an der Causa war, dass im hoch zensierten Internet Chinas einige Gerüchte über Qins Verbleiben nach wie vor auf den sozialen Medien zu lesen waren. Die prominenteste Theorie lautete, dass Qin Gang eine Affäre mit einer Hongkonger Fernseh­journalistin gehabt, ja möglicherweise sogar ein uneheliches Kind gezeugt habe. Auch von dekadenten Geschenken an die junge Frau war die Rede. Bestätigt ist bislang nichts davon.

Wang Yi, der damalige Außenminister von China, nimmt an einem Treffen mit US-Außenminister Blinken auf der indonesischen Urlaubsinsel Bali teil. Der seit einem Monat nicht mehr öffentlich aufgetretene chinesische Außenminister Qin Gang ist aus dem Amt entfernt worden. Sein Vorgänger Wang Yi soll erneut das Amt übernehmen.

Wang Yi, der damalige Außenminister von China, nimmt an einem Treffen mit US-Außenminister Blinken auf der indonesischen Urlaubsinsel Bali teil. Der seit einem Monat nicht mehr öffentlich aufgetretene chinesische Außenminister Qin Gang ist aus dem Amt entfernt worden. Sein Vorgänger Wang Yi soll erneut das Amt übernehmen.

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Geheimniskrämerei stößt auch beim Volk auf Kritik

Doch auch innerhalb der chinesischen Bevölkerung stieß die Geheimnis­krämerei des Staates zunehmend auf Kritik. „Jeder ist über etwas besorgt, kann es aber nicht öffentlich sagen“, schrieb selbst Hu Xijin, ein absolut parteitreuer Kommentator, auf der Online­plattform Weibo.

Am Dienstagnachmittag war zwar nicht bekannt, welches Fehlvergehen tatsächlich zu Qin Gangs Amtsenthebung geführt hat, doch ganz gleich, welche offizielle Erklärung nachgereicht wird: Es scheint fraglich, dass die Öffentlichkeit jemals mit Sicherheit sagen kann, was sich genau hinter den Kulissen zugetragen hat. Ähnlich war es auch beim Verschwinden anderer hochrangiger Personen – vom Unternehmer Jack Ma bis hin zur Tennisspielerin Peng Shuai.

Fakt ist jedoch: Dass sich mit dem neuen – und alten – Außenminister Wang Yi nun die diplomatische Linie des Landes ändern wird, gilt als unwahrscheinlich. Wenn überhaupt, dürfte der vor Selbst­bewusstsein berstende Nationalismus der Volksrepublik China nur weiter zunehmen. Wang schließlich gilt als noch lauterer Polterer verglichen mit Qin Gang.

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