Irritationen beim August-Bebel-Preis

Preisverleihung überraschend ohne den Ausgezeichneten – SPD-Größe Müntefering hatte schwere OP

Franz Müntefering im Februar 2021.

Franz Müntefering im Februar 2021.

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Berlin. Man hält im Willy-Brandt-Haus Ausschau nach ihm, aber man findet ihn nicht. Dabei ist er die Hauptperson am Montagabend. Die meisten Gäste haben ihn schon lange nicht mehr persön­lich erlebt und sind seinetwegen gekommen, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil wird die Laudatio halten, der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse die Verleihung des August-Bebel-Preises an ihn eröffnen. Um kurz nach 18 Uhr ist er es, der den unein­geweihten Zuhörerinnen und Zuhörern einen ordentlichen Schreck versetzt.

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Thierse hatte ihre forschenden Blicke bemerkt. „Franz Müntefering“, setzt dessen langjähriger Weggefährte an und wendet sich an das Publikum: „Sie haben ihn sicher schon mit den Augen gesucht“. Aber Franz Müntefering sei leider nicht da. Der 83-Jährige habe eine schwere Operation hinter sich und sei jetzt in der Reha. Schweigen im Saal. Betreten schauen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten zu Boden. In der Programmankündigung hatte doch gestanden: „Preisübergabe und Rede von Franz Müntefering, Bundesminister a. D.“ Offensichtlich wollte die SPD vorher keine Transparenz herstellen. Eine Reha nach einer schweren OP kommt nicht plötzlich.

Es heißt, es sei das Herz

Es wird erzählt, es sei das Herz, das Müntefering zu schaffen mache. Jenem Mann, der wie kaum ein anderer in der SPD für „heißes Herz und klare Kante“ steht. Die frühere Bundes­kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte ihn zu ihrer Auszeichnung mit dem höchsten deutschen Verdienstorden der Bundesrepublik neulich im Schloss Bellevue eingeladen. Aber auch diese Einladung konnte er nicht wahrnehmen. Müntefering ist salopp gesprochen Merkels Lieblings-Sozi, mit ihm hat sie ihre erste große Koalition gebildet, nachdem der abgewählte SPD-Kanzler Gerhard Schröder gemeint hatte, sie solle mal die Kirche im Dorf lassen, seine SPD werde in keine Regierung unter ihr eintreten.

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Thierse beginnt für manche vielleicht irritierend mit dem Sterben. Er zitiert aus dem 2010 erschienene Buch „Grimms Wörter“ von Günter Grass, in dem dieser über seine geplante Gründung der August-Bebel-Stiftung informiert– und vom Tod spricht: „Noch fremdelt er, wird aber vertrauter mit jeder schlafarmen Nacht. Ich weiß, auf ihn ist Verlass.“ Thierse sagt: „Das war die Ankündigung der August-Bebel-Stiftung.“ Grass habe sie gegründet und den Preis gestiftet, damit die Sozialdemokraten sich ihrer Wurzeln und Werte erinnerten und sich ihrer immer neu vergewisserten. An das, wofür August Bebel als einer der Begründer der deutschen Sozialdemokratie bis heute steht. Thierse, im sportlichen Anorak und mit gewohnt verwuschelten Haaren, hält eine nachdenkliche Rede und mahnt, die SPD müsse auch in diesen schwierigen Zeiten die Partei der Vermittlung von Hoffnung sein.

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Klug und stur - Müntefering, der Mann der klaren Ansagen

Heil würdigt Müntefering als großen Sozialdemokraten. Bundesminister, Vizekanzler, Parteichef. Fraktionschef. Immer wieder spricht Heil von Müntefering in der Vergangenheits­form. „Franz war nicht so“, „Einer, der die Partei nie aufgegeben hat, war Franz Müntefering“, „Er ist immer ein Sozialdemokrat gewesen“. Irgendwie macht sich eine Schwere breit bei dieser Preisverleihung ohne den Ausgezeichneten.

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Heiter wird es, als Münteferings Kunst der kurzen Sätze und klaren Ansagen zum Besten gegeben wird. „Man muss das Leben so nehmen wie es ist, aber man darf es nicht so lassen.“ Oder: „Opposition ist Mist“ oder „Fraktion gut, Partei auch, Glück auf!“ Heil sagt: „Es wäre schön, wenn Franz hier wäre.“ Dieser kluge, in der Sache harte, auch sture und warmherzige Mann. „Wir wünschen ihm vor allem eins: Gesundheit. Er wird gebraucht.“

Den August-Bebel-Preis nimmt schließlich Münteferings Frau Michelle entgegen. Sie liest seine Dankesrede vor. Er spricht darin von dem Menschenrecht auf Bildung, dem Klimawandel und der Gleichberechtigung von Frauen. Und er gibt nicht auf. „In zehn Jahren, da ladet ihr mich noch mal ein“, prophezeit er. Dann sei die SPD 170 und er 93 Jahre alt. Er sagt es nicht, aber man hat es im Ohr: Glück auf!

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